Die meisten Firmen sehen ihre Mitbewerber als Konkurrenten, mit denen sie sich in einem scharfen Wettbewerb befinden. Produktentwicklung, Marktbearbeitung und der Aufbau von Informationssilos – alles soll zentral gesteuert und kontrolliert werden. Auch profitieren will man gerne ganz alleine. Dieses radikale Konkurrenzverhältnis kommt aber nach Meinung von Christoph Birkholz, dem Co-Präsidenten von Impact Hub Switzerland, einer Netzwerkorganisation, die unter anderem Startups fördert, an seine Grenzen.

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«Gerade die grossen Themen unserer Zeit – Klimakrise, regenerative Medizin, allgemeine künstliche Intelligenz – lassen sich in einer komplett digitalisierten Welt nur noch in Kooperationen anpacken», sagt er. In einem kürzlich erschienen Sammelband mit dem Titel «Ecosystem Innovation» wird diese These von verschiedenen Seiten analysiert und die Chancen dieser Innovationsform werden herausgearbeitet. «In Ökosystemen kann sich eine Spezies nur dann entwickeln, wenn andere Spezies sich ebenfalls entwickeln.

Kooperation statt Konkurrenz

Dies lässt sich auf die Wirtschaft übertragen, wo Firmen eben nicht immer nur im gegenseitigen Wettbewerb stehen, sondern gleichermassen auch zusammenarbeiten müssen, um erfolgreich zu sein. Die traditionelle Idee von Konkurrenz werde so mit der Idee der Kooperation bereichert», so Birkholz.

Oliver Gassmann, Professor an der Universität St. Gallen, schreibt, dass Ökosysteme nichts Neues in der Wirtschaft seien. Aufgrund der Digitalisierung wurden sie aber viel effizienter und effektiver. «In der Zukunft wird es schwieriger sein, zwischen Wettbewerbern und Chancen zu unterscheiden. Es wird schwieriger, zu überleben, wenn man keine Partnerschaften eingeht». Getrieben werde die Entwicklung von Digitalisierungstrends: reduzierten Transaktionskosten, miteinander verbundenen Produkten, mehr Daten und intelligenteren Algorithmen.

«Ecosystem Innovation» wird herausgegeben von Kickstart Innovation AG, Christoph Birkholz, Katka Letzing, Zsofia Molnar. Das Buch hat 161 Seiten. Es ist online und gedruckt erhältlich.

Zudem habe sich das Konsumentenverhalten dahingehend verändert, dass man die verschiedenen Wertschöpfungsketten integriert betrachten müsse, weil die Konsumenten keine Fragmentierung, die für sie umständlicher ist – etwa durch mehrfache Registrierung – akzeptieren.

Firmen könnten den Datenmengen und den immer anspruchsvolleren Kundenverhalten nicht mehr alleine begegnen, sie könnten aber gemeinsam darauf reagieren, so Gassmann. Er beobachtet das dahinterliegende Konzept von Open Innovation bereits seit zwanzig Jahren. «Aber es gibt immer noch viel ungenutztes Potenzial, wie Firmen ihre Innovationsprozesse für die Aussenwelt zugänglicher machen können.»

Richtiger Mindset

Denn damit das Konzept von Open Innovation und Ecosystem Innovation erfolgreich sein kann, müssen Firmen etwas abbauen, was über viele Jahrzehnte gewachsen und verfestigt wurde: «Bei Ecosystem Innovation lässt sich aber nicht mehr jeder Schritt kontrollieren. Werte und Verhaltensweisen wie Zuverlässigkeit, Fairness und Transparenz nehmen an Bedeutung zu, wohingegen die Bedeutung starrer Regeln abnimmt», erklärt Birkholz.

Bei Kickstart, einem Förderprogramm für Startups, entstünden beispielsweise innovative Pilotprojekte zwischen Technologie-Startups, Grossunternehmen und öffentlichen Institutionen. Da braucht es sowohl den richtigen Mindset als auch die passenden «Werkzeuge», um die Kooperation nicht schon zu ersticken, bevor es überhaupt richtig losgeht. Hier haben grosse Player häufig noch Nachholbedarf.

Klar ist: Jede Firma ist bereits ganz natürlich in einem Ökosystem verwurzelt, meistens einfach der eigenen Branche und deren Einflussfaktoren. Entscheidet sich ein Unternehmen, sich aktiver in diesem Ökosystem zu positionieren, hilft es nach Angaben von Birkholz und einem Expertenteam von PWC, wenn zuallererst die derzeitige und die künftige Rolle im jeweiligen Ökosystem erkannt und definiert wird. Weiter müssen mögliche Partner identifiziert und Partnerschaftsregeln entwickelt werden.

Neue Gegengeschäfte

Ein Ökosystem-Mapping, also die grafische Darstellung des Ökosystems, das Kundenbedürfnisse und systemische Leitplanken definiert, ist hilfreich. Um die über Jahre gewachsene Einstellung zu ändern, dass jede Firma im Geheimen nur an ihren Ideen arbeitet und alleine vom Kundenkontakt profitiert, muss auch die Firmenkultur verändert werden.

Die «Not invented inhouse»-Mentalität müsse weg. Wichtig zu verstehen: Man muss als Teilnehmer eines Ökosystems seine Ideen nicht verschenken oder Dienstleister für jemanden werden, ohne dass man etwas im Gegenzug bekommt. Dieses «Gegengeschäft» könnte sich nur anders, später oder in Form einer neuen Chance zeigen.

Drei Beispiele für Ökosystem-Innovationsprojekte

PWC und NTD

Das Produkt: Die Software Phrend wurde von PWC und Neurotransdata (NTD) entwickelt und verbindet künstliche Intelligenz (KI) und Analysetechnologie mit medizinischen Erkenntnissen. Phrend ermöglicht die effektivere und kostengünstigere Behandlung von Multipler Sklerose (MS).

Das Ökosystem: Die personalisierte Gesundheitslösung Phrend basierte auf einem «Human Centred Design»-Ansatz. Patienten, Ärzte und führende Universitäten wurden eng in die Entwicklung eingebunden, um für das deutsche Ärztenetzwerk NTD eine optimale Gesundheitslösung zu bauen, mit speziellem Fokus auf den Arzt-Patienten-Dialog. Das Tool verwendet einen KI-gesteuerten Prognosealgorithmus, der sekundenschnell und unter Berücksichtigung der zehn wichtigsten, für MS klinisch relevanten Patientenmerkmale individualisierte Prognosen für die Behandlung ermittelt.

Der Nutzen: Die mehrfach preisgekrönte Software ist die erste Applikation, die personalisierte Prognosen über die Wirksamkeit von Behandlungsmöglichkeiten für Menschen mit MS erstellen kann. Die Applikation ist in ein patientenzentriertes, datenbankgestütztes Ökosystem namens Destiny eingebettet und liefert Patienten und Ärzten eine datenbasierte Zweitmeinung. Die einfache Integration in das bestehende Spitalumfeld brachte dem Projekt viel Lob.

Axa und Veezoo

Das Produkt: Der Versicherer Axa und das Jungunternehmen Veezoo arbeiten im Bereich künstliche Intelligenz zusammen. Gemeinsam lancierten sie einen intelligenten dialogbasierten Assistenten, der grosse Datenmengen aufbereiten und Fragen dazu beantworten kann.

Das Ökosystem: Axa und Veezoo haben ihre Zusammenarbeit 2016 im Rahmen des Kickstart-Accelerator-Programms begonnen. Voran ging ein informelles Get Together. Seither haben sie den intelligenten Assistenten bereits im Rahmen eines Pilotprogramms erfolgreich getestet. Die Software stammt dabei von Veezoo. Die Firma ist eine Ausgliederung der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH). «Die Zusammenarbeit mit einem Startup ist eine Bereicherung für uns alle und fördert das Denken out of the box», erklärte Claudia Bienentreu, Leiterin des Axa-Innovation-Managements, bei der Vorstellung des Produkts.

Der Nutzen: Der gemeinsame intelligente Assistent von Axa und Veezoo soll nun von Axa-Beratern im Aussendienst eingesetzt werden. «Indem Veezoo die Daten anschaulich und schnell aufbereitet, erhält unser Aussendienst eine professionelle und effiziente Unterstützung in seiner täglichen Arbeit», schreibt Martin Studer, Head Sales Development & Controlling bei Axa. Ein weiterer Rollout ist möglich.

Swisscom und Fintechdb

Das Produkt: Fintechdb ist eine Datenbank und ein Marktplatz für Fintechs. Er hilft Unternehmen bei der Suche, dem Verständnis und dem Vergleich von Fintech-Angeboten und verbindet Konzerne mit Startups. Fintechdb hat eine Reihe von Tools entwickelt, um den Markt und seine Entwicklung zu verstehen und zu tracken. Das Team besteht aus zwei italienischen Schulfreunden, Dario Ferrando (CDO) und Gregorio Gasperi (CTO), die Alex Beck (CEO) in Berlin trafen, um Fintechdb zum Leben zu erwecken.

Das Ökosystem: Swisscom, Gründungspartnerin von Kickstart, traf Fintechdb während des Innovationsprogramms 2018 von Kickstart und vereinbarte eine Partnerschaft. Swisscom und FinTechdb arbeiten gemeinsam an einer neuen Art, den Schweizer Fintech-Markt abzubilden und über ihn zu informieren. Zudem ist es ihr Ziel, die Swiss Fintech Map von Swisscom, die in diesem Jahr ihren sechsten Geburtstag feiert, auf eine neue Stufe zu heben.

Der Nutzen: Während Swisscom für den Inhalt verantwortlich war, entwickelte Fintechdb einen Algorithmus, der eine automatische Kartenerstellung ermöglicht, und digitalisierte die Datenbank. Weitere Projekte, die aus der Kooperation entstanden sind, sind in der Pipeline, wie die Partner Swisscom und Fintechdb verlauten lassen.

Stefan Mair
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