Der Vormittag ist vorbei, die Mittagspause naht und die Pendenzenliste mahnt: kein Haken bei den wichtigen Aufgaben. Dasselbe kurz vor Feierabend: Man ist sehr beschäftigt, doch das Wichtige bleibt unerledigt und wird auf morgen verschoben. Ein Paradebeispiel für Prokrastination, das chronische Aufschieben. Auswege daraus liefert ein Blick ins Gehirn.

Tief im Inneren unseres Gehirns arbeitet das limbische System: Es steuert Gefühle, Motivation, Belohnung und Stressreduktion. Die Amygdala («Mandelkern») bewertet Reize emotional und reagiert blitzschnell, wenn uns etwas unangenehm erscheint, wie etwa die Steuererklärung, eine Präsentation oder ein schwieriges Mitarbeitergespräch. Gleichzeitig springt das Belohnungssystem an. Es sucht die schnelle Erleichterung und offeriert Fluchtwege: «Trink zuerst einen Kaffee» oder «Morgen ist es besser, da sind weniger Sitzungen». Aufschieben und Ablenkung verschaffen uns einen kleinen Dopaminstoss, wodurch wir uns sofort besser fühlen – für den Moment. Was folgt, ist das quälende schlechte Gewissen wegen der Pendenzen.

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Die Gastautorin

Katja Unkel ist Gründerin der Firma Managing People AG, die Führungskräfte und Organisationen berät, coacht und trainiert.

Grund dafür ist unser präfrontaler Cortex im Grosshirn. Er plant, reflektiert, wägt ab und trifft Entscheidungen. Daher wissen wir, dass es klüger wäre, das schwierige Gespräch heute vorzubereiten statt morgen auf den letzten Drücker. Hier liegt das Dilemma: Die aufwendigen Prozesse des präfrontalen Cortex arbeiten langsamer und brauchen mehr Energie. Das limbische System reagiert impulsiv und schnell. Evolutionsbiologisch ist das sinnvoll, denn rasches Reagieren sichert das Überleben. Im modernen Arbeitskontext führt es jedoch dazu, dass Dringendes oder Angenehmes das Wichtige oft aussticht.
Zudem entsteht eine Gewohnheitsschleife: Jedes Aufschieben wird mit einem kurzfristigen Gefühl der Erleichterung belohnt. Dieses interne «Gut gemacht» verstärkt das Verhalten. Mit jeder Wiederholung trainieren wir uns das Ausweichen an. Prokrastination wird zum Standardprogramm. Was tun?

Erstens: Das Gefühl zu benennen, hilft. Zum Beispiel so: «Ich traue mir diese Aufgabe nicht zu» oder «Dieses Mal muss ich perfekt reagieren». Das mindert die Alarmbereitschaft der Amygdala, gibt dem präfrontalen Cortex wieder Raum, zu denken, und rationale Lösungen rücken näher – etwa mit der Erinnerung, dass man Ähnliches schon einmal bewältigt hat oder dass Perfektion nicht nötig ist.

Zweitens: das Denken bewusst umgehen oder den Einstieg radikal verkleinern. Oft hilft es, einfach anzufangen, ohne weiter nachzudenken. Dann ist der schwierigste Schritt getan: der Anfang. Wem das nicht gelingt, kann die Zehn-Minuten-Regel anwenden. Man definiert ganz kleine zehnminütige Teilschritte, oder, wenn das zu kompliziert ist, man hört schlichtweg nach zehn Minuten auf. Probieren lohnt sich, denn beides senkt die Einstiegshürde, und unser Gehirn verbucht einen Erfolg. Das motiviert für den nächsten Abschnitt, sodass wir dranbleiben.

Drittens: Freundlichkeit statt Härte. Strenge Selbstkritik verstärkt negative Gefühle und damit das Aufschieben. Ein sachlich-freundlicher Ton («Komm, meist geht es schneller als gedacht») wirkt nachweislich motivierender als innere Schelte. Man kann den Leitsatz «Einfach anfangen!» als persönliches Motto wählen, der zum festen Anker wird.

Unser Gehirn bewertet schnelle Entlastung höher als spätere Vorteile. Wer die eigenen Emotionen reguliert, kleine Einstiege wählt und Belohnung an Fortschritt koppelt, überwindet das reflexhafte Aufschieben und geht zum bewussten Handeln über – Zufriedenheit inklusive.