Es ist eine Selbstverständlichkeit: Bei einer Entscheidung gilt es abzuschätzen, was die Folgen sein werden. Man denkt einen Schritt weiter. Im Schach wird dies zur Perfektion getrieben. Schachspieler gehen Dutzende von Zügen im Voraus durch, bevor sie sich für den nächsten Zug entscheiden.

Leider scheint diese Fähigkeit in wirtschaftspolitischen Debatten abhandengekommen zu sein. Auch hier wäre es angebracht, zu antizipieren, was die Folgen von Massnahmen sein könnten. Wie im Schach ist dies nicht einfach, da verschiedene Szenarien denkbar sind. Hinzu kommt die grosse Anzahl von Mitspielern. Doch würde es einigen Debatten schon enorm helfen, wenn zumindest ein Schritt in die Zukunft gedacht würde.

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Ein erstes Beispiel stammt aus dem Arbeitsmarkt. Wie kann das Problem des Fachkräftemangels gelöst werden? Die Schweizer Unternehmen meldeten gemäss dem Bundesamt für Statistik zuletzt 124'000 offene Stellen. Würde sich dieses Problem lösen lassen, wenn 124'000 Frauen und Männer einwandern und diese Stellen besetzen?

Das Thema Migration ist hochkomplex. Einen Schritt weiterzudenken, führt bei dieser spezifischen Frage aber zu einer klaren Antwort: nein. Die zusätzlichen Arbeitskräfte und ihre Familien werden in der Schweiz leben und konsumieren. Das heisst, sie sorgen für zusätzliche Nachfrage nach Servicemitarbeitenden und Zugbegleitern, Ärztinnen und Pflegepersonal, Polizisten und Steuerbeamtinnen, Lehrpersonen und Pfarrern und so weiter und so fort. Auch wenn die aktuell offenen Stellen besetzt werden können, entstehen damit zahlreiche neue offene Stellen. Allgemein formuliert: Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist eine äusserst dynamische Grösse. Mit Zuwanderung den Fachkräftemangel zu beheben, ist illusorisch – und trotzdem gehört dies zur klassischen Argumentation von Politikern, Verbänden und anderen Interessenvertretern.

Adriel Jost ist Ex-SNB-Mitarbeiter, Fellow am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik (IWP) in Luzern und Präsident des Thinktanks Liberethica.

Ein zweites Beispiel sind Subventionen für bestimmte Sektoren. So wurde die Branchenorganisation Schweiz Tourismus vom Bund im vergangenen Jahr mit insgesamt 74 Millionen Franken unterstützt. Als Begründung wird angeführt, dass die Tourismusbranche für Wertschöpfung und Arbeitsplätze sorgt und darum der Bund die Nachfrage für die Schweiz als Reiseland ankurbeln soll. Als Beweis werden Wertschöpfungsstudien benutzt, die aufzeigen, wie gross der «ökonomische Fussabdruck» der Branche ist und wie wichtig dementsprechend die Unterstützung.

Was aber würde passieren, wenn die Subventionen wegfielen? Die Wertschöpfung fiele damit nicht weg. Entweder würde der Staat die eingesparten Gelder selbst anders ausgeben oder durch Steuersenkungen mehr Mittel bei den Steuerzahlern belassen, die diese produktiv einsetzen könnten. Die Unternehmen der Tourismusbranche müssten ihre Preise anpassen, um die zusätzlichen Marketingkosten zu decken. Falls sie dadurch nicht mehr konkurrenzfähig wären, würden sie ihre Geschäftsstrategie ändern oder von anderen Unternehmen verdrängt werden, die weiterhin für Wertschöpfung sorgen. Drohungen über den Wegfall von Arbeitsplätzen bei einer Reduktion von Subventionen sind darum im Normalfall nicht glaubwürdig – und dennoch im politischen Alltag offensichtlich überzeugend.

Es gäbe viele weitere Beispiele. Was passiert etwa in einem nächsten Schritt, wenn Mietpreise nicht mehr erhöht werden dürfen? Und was, wenn der Staat den grossen Banken verspricht, bei Liquiditätsengpässen im Notfall auszuhelfen, um Finanzkrisen zu vermeiden? Gut gemeint ist in der Wirtschaftspolitik häufig nicht gut gemacht. Es lohnt sich, einen Schritt weiterzudenken.

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