Finanzanalysten, Ökonomen, Bankiers, Börsenexperten: Sie alle warnen, dass es an den Aktienmärkten noch schlimmer komme als bislang. Das sind goldene Zeiten für Contrarians, die antizyklisch investieren. Wie hat doch schon der berühmteste Contrarian, Warren Buffett, gesagt? «Sei gierig, wenn andere ängstlich sind.»

Ich glaube zwar nicht, dass wir den Boden bereits erreicht haben. Eine finale Ausverkaufswelle in den nächsten Monaten würde mich jedenfalls nicht überraschen. In den tiefen Aktienkursen ist allerdings bereits viel Negatives eingepreist.

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Was tief fällt, muss zwar nicht wieder hochsteigen. Doch die mittelfristigen Chancen für eine Erholung gerade bei manchem «Fallen Angel» sind gut. Eile beim Einstieg tut nicht not. Doch wer Mut hat und geduldig ist, für den eröffnen sich bald gute Einstiegschancen. Es zahlt sich aus, bereits heute jene Aktien ins Auge zu fassen, die einem interessant erscheinen.

Stabilität ist teuer

Zu den gefallenen Engeln zählt Givaudan: Seit Anfang Jahr haben die Aktien 40 Prozent an Wert verloren. Am Geschäftsgang liegt es nicht: In den ersten neun Monaten stellte sich das Umsatzplus des Genfer Konzerns auf 6,7 Prozent. Ertragszahlen wurden keine veröffentlicht. Für die Kursverluste verantwortlich ist vielmehr, dass die Anleger nicht mehr bereit sind, überhöhte Preise für Blue Chips zu bezahlen. Inzwischen stellt sich das geschätzte Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für 2023 und 2024 auf 26 respektive 23. Das ist zwar immer noch relativ teuer, doch haben Qualität und Stabilität nun mal ihren Preis.

Das Unternehmen, umsichtig geführt von Konzernchef Gilles Andrier (61) und Verwaltungsratspräsident Calvin Grieder (67), wartet seit Jahren mit einer soliden Entwicklung auf; das Wachstum ist zwar nicht exorbitant, dafür stetig, gekoppelt mit hohen Margen. Daran wird sich sogar während einer Rezession wenig ändern. Der Genfer Konzern ist Marktführer in den Bereichen Aromen und Riechstoffe. Dieses attraktive Geschäft ist relativ resistent gegen konjunkturelle Einbrüche. Die steigenden Rohstoffpreise kann Givaudan dank der starken Marktposition auf die Kunden abwälzen.

Mittelfristig ist ein organisches Umsatzwachstum von jährlich rund fünf Prozent angesagt, der freie Cashflow dürfte über zwölf Prozent der Verkäufe erreichen. Damit bleibt ausreichend Spielraum für weitere Dividendenerhöhungen. Die Aktien des Westschweizer Konzerns sind keine Himmelsstürmer, doch zählen sie für mich zu den attraktivsten Papieren unter den defensiven Werten.

Vorzeigefirma

Nicht weniger heftig unter die Räder gekommen ist Medacta. Die Valoren wurden im Jahresvergleich gegen 50 Prozent nach unten geprügelt. Die Parallele zu Givaudan: Auch für Medacta wurden noch im letzten Jahr Mondpreise bezahlt. Die Euphorie ist verflogen. Dabei läuft es für die Medtech-Firma, die in der Südschweiz in zwei Fabriken künstliche Gelenke herstellt, recht gut. Nach einem Rücksetzer im Pandemiejahr 2020 resultierte im vergangenen Jahr wieder ein Umsatzzuwachs von einem Fünftel, im ersten Semester dieses Jahres wurde ein Plus von 19 Prozent registriert. Die Erträge allerdings hinkten dieser Entwicklung hinterher – eine vorübergehende Erscheinung.

Für mich ist Medacta ein Vorzeigeunternehmen der Schweizer Medtech-Branche. Die Aussichten sind exzellent, die Produkte laut Experten state of the art. Positiv ist auch die Innovationsfreude der Tessiner; so werden Operationen mit hochmodernen interaktiven 3-D-Diensten unterstützt oder Chirurgen am firmeneigenen Institut weitergebildet. Mir gefällt zudem, dass Medacta trotz des Börsengangs von 2019 eine Familienfirma geblieben ist. Der Clan von Gründer und Präsident Alberto Siccardi (78) hält immer noch 69,5 Prozent der Aktien und besetzt wichtige Posten in der Firma. Die Aktien sind mit einem KGV von 22 für nächstes und 18 für übernächstes Jahr wieder auf Kaufniveau.

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Im Auge des Sturms

Immer wieder werde ich gefragt, ob denn Swiss Re die Ausschüttung halten könne. Ich verstehe die Nervosität jener Investoren, die sich eine Super-Dividendenrendite von 7,9 Prozent ins Portfolio holten. Denn für den führenden Rückversicherer läuft es harzig. Der Konzern leidet unter hohen Kosten, einer schwachen Profitabilität und einer Häufung von teuren Naturkatastrophen. So sorgte der Hurrikan «Ian», der im Herbst über Florida hinwegfegte, im dritten Quartal für einen Verlust von 500 Millionen Dollar. Solche Katastrophen häufen sich, die Schäden werden immer teurer.

Zum sechsten aufeinanderfolgenden Mal verdient Swiss Re auch im laufenden Jahr die Ausschüttung von 1,87 Milliarden Dollar nicht. Wie lange der Verwaltungsrat dem Schwund der Kapitalreserven noch zusehen wird, ist offen. Dabei ist die Dividendenrendite das einzige Argument, das für die Aktien des Zürcher Rückversicherers spricht. Ich halte mich deshalb lieber an Papiere, die neben einer saftigen Rendite in absehbarer Zeit auch Chancen auf eine Kurserholung bieten, beispielsweise Zurich Insurance, Julius Bär, Helvetia, Adecco, Holcim und andere. Zwar sind da und dort leichte Schnitte bei der Ausschüttung nicht auszuschliessen, doch auch dann bleiben immer noch attraktive Renditen.