Er hat sich aus der Welt der Big Four verabschiedet, der vier grossen Revisions- und Beratungsfirmen PwC, KPMG, EY und Deloitte. Und seine eigene Firma aufgebaut. Mit einem kleinen Team von sieben Mitarbeitern und zwei externen Kollegen tritt Hubert Baumgartner inzwischen erfolgreich gegen die Branchenleader an. Im BILANZ-Ranking der Top-Steuerexperten und -Treuhänder 2023 belegt er mit Exantum den ersten Platz in der Sparte der kleinen Unternehmen mit bis zu neun Mitarbeitenden. Insgesamt werden von den schweizweit mehr als 12 000 Firmen in der Branche 113 Steuerberater und 35 Anwaltskanzleien ausgezeichnet.

Oft sind es Start-up-Gründer, Influencer oder digitale Nomaden, die am Zürcher Standort oberhalb des Hegibachplatzes bei Baumgartner anklopfen. Sie schätzen die kurzen Drähte und die schnelle Erreichbarkeit, wenn dringend etwas geklärt werden muss. Hier gibt es keine mondänen Eingangshallen wie bei den grossen Buchprüfern, keine vor Bedeutung strotzenden Empfangsschalter. Zur Begrüssung kommt der Bürohund, ein gutmütiger Mischling, der sich alsbald unter dem Sitzungstisch zum Schlafen legt.

Baumgartner trägt ein schnittiges Hemd, Designerbrille und zwei Uhren. Nicht weil seine Zeit besonders knapp ist – er hatte einst als Finanzexperte in der Uhrenbranche gearbeitet, bevor er zu KPMG ging und weltweit unterwegs war. Steuerberater, das ist eben gerade kein knochentrockener Job, ausgeführt von grauen Pedanten; so strahlt es zumindest das Auftreten des 55-Jährigen aus.

Peniblere Prüfer

Kreativität ist durchaus erwünscht. Denn wegen der steigenden Komplexität sind Standardlösungen immer weniger gefragt. Entsprechend breit ist die Spanne der Dienste von Exantum: Es geht los mit diversen Beratungsleistungen, führt über das Aufsetzen von Arbeitsverträgen, das Führen von Lohnbuchhaltungen und reicht bis hin zum Abwickeln von sämtlichen Sozialversicherungen, zum monatlichen Reporting, zu den Jahresabschlüssen und der gesamten Buchhaltung für Geschäftskunden. Steuern sind bei praktisch jeder Geschäftshandlung ein Thema. «Jede Transaktion in einem Unternehmen muss nach steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten beurteilt werden.»

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Nun steigen nicht nur die Anforderungen an die Buchprüfer. Spricht man mit verschiedenen Experten, beschäftigt sie ein Thema besonders: Die Steuerämter ziehen die Schraube an, der Fiskus greift härter durch.

Diese Beobachtung macht neben Baumgartner auch Manuel Vogel, VR-Präsident von A&O Kreston, einer unter anderem auf Revision, Treuhand, Steuern und Beratung für nationale und internationale Player spezialisierten Firma mit 70 Mitarbeitern, die im BILANZ-Ranking bei den mittelgrossen Unternehmen vorne mitmischt. Laut Vogel hat sich die Beziehung zwischen Steuerpflichtigen und Steuerverwaltung eingetrübt. «Steuerprüfungen finden nicht nur häufiger statt, sie werden oftmals auch wesentlich penibler durchgeführt.»

Vom Paulus zum Saulus

Die Sichtweise hat sich gedreht: Früher seien die Ämter davon ausgegangen, dass sich der Steuerpflichtige regelkonform verhält. Heute werde er teils fast schon als Feind betrachtet, als jemand, der mit Sicherheit etwas nicht korrekt deklariert – vom Paulus zum Saulus.

Und so verlangen die Behörden oft schon bei der Veranlagung eine ellenlange Liste von Dokumenten. «Damit erhöht sich der administrative Aufwand teilweise massiv für die Steuerpflichtigen, insbesondere für KMUs», sagt Vogel. Und obendrein verspiele die Steuerverwaltung so einen wesentlichen Faktor für die Ansiedlung von neuen Firmen.

So haben BILANZ und Statista ermittelt

Diese Entwicklung gibt auch Baumgartner von Exantum zu denken. Bis vor zwei Jahren hatte er nämlich kaum Konflikte mit den Behörden erlebt. «Inzwischen gibt es in 40 Prozent der Fälle Einsprachen gegen die Veranlagungsverfügungen», sagt Baumgartner. «Man kommt kaum noch zu dem, was man eigentlich erledigen möchte: der Beratung.»

Viele seiner Kunden sind grenzüberschreitend tätig. Baumgartner kennt sich besonders mit den rechtlichen Nuancen im DACH-Raum aus. Zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es selbst bei banalen Themen wie Geschäftsessen teils grosse Unterschiede: Lädt man in der Schweiz ein, lässt man schnell einmal ein paar hundert Franken springen.

Ganz normal. Lädt man in Deutschland ein, wird es je nach Hierarchiestufe problematisch, wenn die Speisen mehr als 25 Euro pro Person kosten. Die Einladung könnte als Bestechung taxiert werden.

Siedelt sich nun ein Jungunternehmen aus Deutschland in der Schweiz an, hat es andere Sorgen als extrapingelige Steuerämter. «Wenn die Behörden etwas beanstanden, gehen sie wohl oft davon aus, dass der Fall zu klein sei und der Kunde nicht dagegen vorgehen werde.»

Doch geht man nicht dagegen vor, wird es schwieriger, diesen Punkt in den Folgejahren zu korrigieren, also nimmt man ein Verfahren in Kauf. Und das wiederum wirkt als Kostentreiber für Baumgartners Kunden, sprich die Start-ups, die sich eigentlich lieber mit der Skalierung herumschlagen als mit Steuerbehörden.

Zu spüren bekommt die härtere Gangart auch Tax Partner, die den ersten Platz in der Kategorie bis 249 Mitarbeitende belegt. Das Steuerklima habe sich verändert, sagt Stephan Pfenninger, der 1997 zusammen mit acht Partnern von EY abwanderte und mit ihnen die auf Steuerrecht spezialisierte Boutique gründete. «Es ist inzwischen schwieriger, zu verhandeln und mit den Behörden einen Konsens zu finden», sagt er.

Der Kundenstamm von Tax Partner besteht aus Unternehmen, beispielsweise Banken, Energiefirmen, Medienhäusern und Immobilienunternehmen. Aber auch aus den Familien hinter den Unternehmen sowie Privatpersonen in steuerlich komplexen Situationen.

Unbeliebte Überraschungen

Tax Partner begleitet ihre Kunden etwa bei der laufenden Steuerplanung – mit dem Ziel, den steuerbaren Gewinn zu optimieren. Risiken geht Pfenninger dabei aber nicht ein, im Gegenteil: «Wir wollen die Kunden nicht durch allzu kreative Steueroptimierungen exponieren.» Man wolle nicht einfach möglichst viel rausholen, sondern vor allem böse Überraschungen vermeiden. Und doch kommen sie immer mehr vor. So sieht auch er eine Zunahme von Rechtsverfahren.

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Er vermutet, dass dabei auch die Pandemie eine Rolle spielt. «Viele Unternehmen haben Verluste gemacht, und das hat zu Steuerausfällen geführt, die nun wieder hereingeholt werden müssen.» Dieses Phänomen habe man auch nach der Finanzkrise 2008 festgestellt. Zudem dürfte der politische Druck auf die Steuerämter zugenommen haben, beeinflusst auch von den steuerlichen Entwicklungen in EU und OECD.

Das Vertrauen schwindet

Nachweisen lässt sich dieser von anderen Experten bekräftigte Eindruck indes nicht direkt. Zumindest im Kanton Zürich hat die Anzahl der mit Rechtsmitteln angefochtenen Veranlagungen im Jahr 2021, verglichen mit 2019, nicht zugenommen. Allerdings spiegeln die öffentlichen Zahlen die Gesamtheit der Steuererklärungen – wie es gesondert für Unternehmen aussieht, ist dabei nicht ersichtlich.

Daniela Schneeberger, FDP-Nationalrätin und Präsidentin des Verbands Treuhand Suisse, sagt, dass der Druck seitens der Behörden kantonal sehr unterschiedlich sei. «Die Steuerämter haben schon seit Längerem begonnen, die Schrauben anzuziehen.» Früher habe es zudem mehr Vertrauen in die Selbstdeklaration gegeben. Eine Beobachtung, die sich mit jener von Kreston-VRP Manuel Vogel deckt.

Daniela Schneeberger, Nationalraetin FDP-BL, portraitiert am 5. Dezember 2019 in Bern. (Foto Parlamentsdienste)

Daniela Schneeberger, Präsidentin Treuhand Suisse «Die Steuerämter haben schon seit längerem begonnen, die Schrauben anzuziehen.»

Quelle: Parlamentsdienste

Ein anderes Problem sieht Schneeberger, die selbst Treuhänderin und Partnerin einer Treuhandfirma mit rund 30 Mitarbeitern ist, in der Entwicklung, dass die Behörden immer weniger zwischen kleinen Firmen und grossen Konzernen unterscheiden. «Es werden zunehmend Vorschriften, die für Grosskonzerne gelten, kleinen und mittelgrossen Unternehmen übergestülpt.» Beispielsweise bei den Standards zur Wirtschaftsprüfung.

Allerdings: Man muss den Steuerämtern zugestehen, dass auch für sie die Komplexität zunimmt. Und so intensiviert sich der Schlagabtausch zwischen Steuerexperten und -behörden. Da wird dann etwa darüber gestritten, was ein marktgerechter, für die Steuern relevanter Zinssatz ist, wenn die Gesellschaft A der Gesellschaft B ein Darlehen gibt. Unlängst hat Tax Partner für die sehr kniffligen Fälle mit René Matteotti ein akademisches Schwergewicht an Bord geholt; Matteotti ist Professor für schweizerisches, europäisches und internationales Steuerrecht an der Universität Zürich. Die Steuerfirmen rüsten auf.

Mehr Druck auf Konzerne

Nötig ist das nicht zuletzt wegen des steigenden internationalen Drucks auf die Unternehmen. Eine attraktive Besteuerung war stets ein Standortvorteil der Schweiz. Doch das ändert sich bald. Im Parlament wird aktuell diskutiert, wie die von der OECD geforderte Mindestbesteuerung von 15 Prozent umgesetzt werden soll. Betroffen sind international tätige Unternehmen mit Umsätzen von mehr als 750 Millionen Euro, gemäss Bundesrat 2000 Firmen.

Zur Abstimmung dürfte es im Frühsommer 2023 kommen. Für PwC Schweiz, die unter den Big Four im BILANZ-Ranking den ersten Platz belegt, ist die Reform bereits ein grosses Thema. «Viele Firmen beschäftigt das schon jetzt», sagt Dieter Wirth, PwC-Partner und Leiter der Abteilung Tax and Legal mit 800 Mitarbeitenden in der Schweiz.

«Ob wir die neue Steuer einführen oder nicht, spielt für die international tätigen Konzerne keine grosse Rolle», sagt er. «Wenn die Schweiz diese Steuern nicht erhebt, tut es ein anderes Land.» Also sei es besser, wenn die Schweiz diese Reform umsetze.

Klein, aber fein

Sieger der Big Four Dieter Wirth leitet bei PwC die Abteilung Tax and Legal mit 800 Mitarbeitenden in der Schweiz.

Quelle: Roger Hofstetter

Für eine Verkomplizierung in Steuerthemen sorgen laut Wirth aber auch die Blockbildung in der EU und der Brexit. Der rechtliche Rahmen werde zunehmend zersplittert. Zudem kommen laut Wirth immer mehr Lenkungsabgaben dazu, die von den Firmen beachtet werden müssen, etwa Plastik-Taxen oder CO2-Abgaben. «Das ist inzwischen ein riesiges Regelwerk.»

Andererseits können Unternehmen immer mehr Subventionen anmelden. Und so entsteht ein ganz neuer Bereich für Experten: «Nur schon um zu verstehen, wo man für was genau welche Subventionen bekommt.» Den Trend, dass der Staat vermehrt manche Geschäftstätigkeiten mit Subventionen belohnt und manche mit Abgaben bestraft, sieht Wirth auch in die Schweiz überschwappen.

Die Nachteile der künftig höheren Besteuerung wegen der OECD-Steuerreform dürften laut Wirth vor allem mit Kompensationen abgefedert werden. «Wenn wir mit attraktiven Steuern nicht mehr gleich punkten können, müssen wir die Standortattraktivität anderweitig erhöhen.» Wie das geschehen soll, wird nun zur grossen Herausforderung für die Branche.

Dieter Wirth plädiert dazu für eine Stützung des hiesigen Forschungsstandorts, besonders für Bereiche wie Life Sciences, Financial Services und Softwareentwicklung. «Wir müssen uns überlegen, wie wir kompetitiv bleiben können.» Damit attraktive Standorte wie Grossbritannien, die Niederlande, Irland und Singapur uns nicht davonziehen.