Der Mann hatte zwei gute Jobangebote in der Tasche: Er hätte zu Breitling wechseln können. Oder zu Cartier. Doch stattdessen ging der damals 26 Jahre alte Jean-Sébastien Bolzli 2003 zu Aerowatch, einer damals kaum bekannten kleinen Nischenmarke im jurassischen Saignelégier.

Natürlich war ein guter Grund für den Entscheid, dass die Marke seinem Vater gehörte. Doch reizvoll und entscheidend war vor allem, dass Aerowatch damals nur Taschenuhren produzierte. Es gab also Handlungsbedarf – und Raum für neue Ideen, denn allein mit Taschenuhren, das war Vater Denis Bolzli klar, konnte die Marke nicht in eine rosa Zukunft blicken.

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Jean-Sébastien Bolzli von Aerowatch schlägt mit der Milan ein neues Kapitel auf.

Jean-Sébastien Bolzli von Aerowatch schlägt mit der Milan ein neues Kapitel auf.

Quelle: ZVG

19 Jahre später, Mitte November 2022: Jean-Sébastien Bolzli steht im Uhrenmuseum der Chronometrie Beyer an der Zürcher Bahnhofstrasse. Er präsentiert die neuste Kreation der Marke, die Kollektion «Milan» – eine sportlich-elegante Uhr, welche mit integriertem Metallband (1480 Franken) oder mit Lederband/Kautschuk ausgeliefert wird (1390 Franken). Das Spezielle daran: Die Uhr hat einen Götti – René Beyer, Inhaber des ältesten Uhrengeschäfts und prominente Figur der Branche, hat das Projekt von Anfang an unterstützt. «Es war an der Zeit», sagt er, «dass für die Marke ein neues Kapitel aufgeschlagen wird.»

Beyer und die Familie Bolzli, muss man wissen, sind schon lange miteinander freundschaftlich verbunden, die Marke aus Saignelégier baute zum Beispiel bis heute die Uhren, die das Beyer-Logo auf dem Zifferblatt haben – Beyer war vor 17 Jahren die erste Marke, die ihre eigenen Zeitmesser bei Aerowatch fertigen liess. Damit ist jetzt Schluss: «Aerowatch soll allein fliegen können», sagt René Beyer, der die Marke insofern aber weiter unter seine Fittiche nimmt, als er sie neuerdings unter dem Namen Aerowatch in seinem Geschäft anbietet.

Milan: Eine Uhr aus den Freibergen 

Die neue Uhr mit 41 Millimeter Gehäusedurchmesser hat ein blaues Zifferblatt mit feinem Tannennadel-Dekor. Tannen sind die wichtigste Baumart in den Freibergen, wo Aerowatch beheimatet ist. Auch das Gegengewicht des Sekundenzeigers zeigt eine stilisierte Tannennadel. Motorisiert wird die Uhr vom Sellita-Kaliber SW200-1 in der edelsten Variante mit gebläuten Schrauben und 26 Rubinen. Und die Kollektion soll weiter ausgebaut werden, eine Uhr mit zweiter Zeitzone zum Beispiel ist in der Pipeline.

Uhrenhändler René Beyer und die Familie Bolzli von Aerowatch sind seit Jahren freundschaftlich verbunden.

Uhrenhändler René Beyer und die Familie Bolzli von Aerowatch sind seit Jahren freundschaftlich verbunden.

Quelle: ZVG

Rückblick: Aerowatch war 1910 von der Familie Gutmann in La Chaux-de-Fonds gegründet worden. 1942 übernahm Maxime Crevoisier in Neuenburg, dann dessen Sohn Georges. Der Patron kannte Denis Bolzli von gemeinsamen Sitzungen bei der Féderation Horlogère und bot ihm 2001 die Marke an. «Das wäre doch etwas für deine Söhne», argumentierte er.

Vater Denis Bolzli, der als Agent für Maurice Lacroix die Schweizer Distribution aufgebaut und 250 Verkaufspunkte betreut hatte, war alles andere als ein Novize in der Branche. Und er berief bald seine Kinder ins Unternehmen: Tochter Adeline für Administratives, Sohn Fred-Eric für Technisches sowie Design. Und den Ältesten, Jean-Sébastien, als Global Sales Marketing Manager.

Jean-Sébastien Bolzli brachte einen gut gefüllten Erfahrungs-Rucksack mit in die jurassischen Freiberge. Der gelernte Uhrmacher hatte für Maurice Lacroix in Deutschland im After-Sales-Service gearbeitet, dann im Verkauf und im Atelier der Chronometrie Beyer in Zürich. Und schliesslich mit Severin Wundermann bei Corum, als diese Marke ihre besten Zeiten erlebte. Dazu kam ein berufsbegleitendes Wirtschaftsstudium.

Heute ist Aerowatch eine neu aufgestellte Marke. Man produziert zwar weiterhin Taschenuhren – ein Geschäft, das erstaunlich stabile Zahlen verzeichne. Die Taschenuhren gibt es zum Beispiel in einer Spezialserie mit alten, aufgefrischten Hebdomas-Werken, die nicht zuletzt dank ihrer grossen, zifferblattseitig platzierten und mithin sichtbaren Unruh viele Freunde finden und mit einer Gangreserve von acht Tagen aufwarten. Auch die Hebdomas-Uhren gab es – in edleren Deklinationen – als Beyer-Uhren.

Heute machen Armbanduhren allerdings 90 Prozent des Geschäftes aus. Als Erstes wurde die Kollektion 1942 eingeführt, angelötete Bügel-Bandanstösse und eine grosse Krone in Zwiebelform spielen mit der Herkunft der Marke und erinnern stark an Taschenuhren. Später gab es skelettierte Uhren, es folgten Damenuhren, Heritage-Modelle und auch Fliegeruhren. Preislich liegt man bei 300 bis 800 Franken für Quarzmodelle, bei 800 bis 8000 Franken für Uhren mit einem mechanischen Kaliber.

Eine Uhr, sieben Zeitzonen

«Wir versuchen, ausgetretene Pfade zu meiden und eigene, kreative Lösungen anzubieten», sagt Jean-Sébastien Bolzli. Beispiel dafür ist unter anderem das Modell 7 Time Zone auf Basis eines Unitas-6497-1-Kalibers mit einem hauseigenen Modul. Neben der Zeit im eigenen Land als Hauptanzeige kann auf sechs kleinen Zifferblättern die Zeit in sechs Städten dieser Erde abgelesen werden. Nochmals eine Uhr, die es – leicht modifiziert – auch als Beyer-Uhr zu kaufen gab.

Eine Spezialität von Aerowatch: Uhr mit sieben Zeitzonen.

Eine Spezialität von Aerowatch: Uhr mit sieben Zeitzonen.

Quelle: ZVG

Dass die Kosten für solche Spezialitäten nicht aus dem Ruder laufen, ist unter anderem das Verdienst von Bruder Fred-Eric Bolzli. Der Uhrenkonstrukteur und Chefdesigner achtet bei seinen Kreationen auf vielseitig einsetzbare Bestandteile – die gleichen Gehäuse können zum Beispiel für verschiedenste Modelle verwendet werden.

Gehäuse werden übrigens zugekauft, wie auch die Werke, Zeiger oder Zifferblätter, Aerowatch hat nie behauptet, eine Manufaktur zu sein. Für die Assemblage werden zwischen 15 und 20 Leute beschäftigt, das Unternehmen baut in guten Zeiten rund 15’000 bis 20’000 Uhren pro Jahr.

Bei der Distribution setzt Aerowatch weiterhin auf Partner mit klassischen Uhrengeschäften – 120 bis 130 Verkaufspunkte sind es in der Schweiz, ganz bewusst auch ausserhalb der grossen Magnete Zürich oder Genf, also in Sion, Delémont, Thun, Schaffhausen etc. «Orte», wie Jean-Sébastien Bolzli sagt, «die von einigen grossen Marken vernachlässigt werden.» International ist man in 45 Ländern an 450 bis 500 Verkaufspunkten präsent.

Bleibt die Frage nach dem Namen: Die Marke Aerowatch hat ungeachtet ihres Namens lange Zeit keine Fliegeruhren produziert. Hingegen gab es schon früh Aerowatch-Werbeplakate mit Blériot-Doppeldeckern, die um den Eiffelturm flogen, als Sujet. «Die Fliegerei war damals eine aufregende Sache und stand für Modernität und Fortschritt», sagt Bolzli. Das habe man wohl mit dem Namen verbinden wollen. |