«Première» hiess die Uhr von Chanel, die 1987 präsentiert wurde. 2022 kam jetzt die Neuauflage der Originalausgabe, unverändert bis auf einige Nuancen: die Farbe des Golds etwa, eine Retusche am Verschluss, Details. Die Ankündigung der Neuauflage ging durch die Medien der ganzen Welt, ein Beweis, wenn es denn einen bräuchte, für die Universalität von Chanel. Und der Beweis dafür, dass Première eine besondere Uhr ist – ein Stück, welches den Eintritt von Chanel in die Uhrmacherei markierte, wie Marianne Etchebarne betonte, die Internationale Direktorin für Produktmarketing, Kunden und Kommunikation für Uhren und Schmuck.

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Die Geschichte von Première ist im Vergleich zum Haus Chanel noch jung, aber sie geht auf dieselben Wurzeln zurück. Sie fasste von Anfang an alles zusammen, was den Chanel-Stil ausmacht. Die achteckige Form des Gehäuses wurde vom Verschluss des Flakons von Chanel N°5 übernommen, der wiederum von der Place Vendôme inspiriert ist, dem Nabel des weltweiten Luxus, wo Gabrielle Chanel praktisch ihr ganzes Leben verbrachte. Sie lebte 34 Jahre lang in einer Suite des «Ritz», nur wenige Schritte entfernt. Das doppelreihige, mit Lederschnüren geflochtene Kettenarmband, schwarz auf Gold, stammt von der Tasche 2.55 aus dem Jahr 1955. Marianne Etchebarne fügt einen Hauch von Unantastbarkeit hinzu: «Première steht für die gesamte Chanel-Philosophie. Sie wurde geschaffen, um Weiblichkeit auszudrücken und von Frauen getragen zu werden.» 

Vorder- und Rückseite der Neuauflage der Première

Die originalgetreue Neuauflage der Première von 2022.

Quelle: Chanel

Oberflächlich betrachtet ist die Geschichte bekannt. Der öffentliche Auftritt von Première markierte Chanels kommerzielle Expansion in der Uhrenbranche. In der Geschäftslogik machte es Ende der 1980er Jahre durchaus Sinn, einen Fuss in die Schweizer Uhrenindustrie zu setzen. Die Uhr war eben aus dem Fegefeuer der 1970er Jahre gekommen und auf dem Weg ins Luxussegment. Nicolas Hayek brachte den Produktionsapparat wieder auf Vordermann, die grossen Pariser Marken begannen zu investieren, die Uhr war wieder im Trend. Chanel hatte ihren Platz auf diesem Schachbrett, auf dem die Pariser Mode damals noch weitgehend unterrepräsentiert war.

Die Zeit hat der Entscheidung von 1987 Gestalt verliehen. 1993 erwarb Chanel die Manufaktur G&F Châtelain in La Chaux-de-Fonds. Im Jahr 2000 brachte Chanel das Modell J12 auf den Markt, das sich zum Klassiker mauserte. Und in jüngerer Zeit wurde Chanel neben Tudor und Breitling Partner der Manufaktur Kenissi. Langfristigkeit ist ohnehin Bestandteil der Chanel-Kultur, und die Uhrenabteilung ist ein Beispiel dafür: In 35 Jahren gab es nur zwei künstlerische Leiter, den ersten, Jacques Helleu, und den aktuellen, Arnaud Chastaingt.

Für das Narrativ ist Première unweigerlich mit Jacques Helleu verbunden, der nach Coco Chanel der Grundpfeiler der Marke war. Eine grosse Figur der Chanel-Kultur, der die Chanel-Codes in die heutige Zeit übersetzt hat. Als 18-Jähriger trat er 1968 in das Haus ein und sollte es nie wieder verlassen. Er war da, «um den Gout zu regeln», er orchestrierte das Image, die Kommunikation und den Stil.

Chanel-Uhr, Première

Die Première im Jahr 1987.

Quelle: Chanel

Gabrielle Chanel verkehrte mit der Avantgarde, Cocteau, Picasso, Djagilew, Strawinsky etc. Jacques Helleu verbandelte Chanel mit der Kunst, der Fotografie, der Bühne und dem Kino der folgenden Jahrzehnte. Er brachte die Musen ins Spiel, Schauspielerinnen, Models und Sängerinnen: Catherine Deneuve, Inès de la Fressange, Vanessa Paradis. Und er holte die grossen Namen der Bildgestaltung, der Fotografie und der Regie ins Boot: Richard Avedon, Guy Bourdin, Dominique Issermann, Jean-Paul Goude.

Jacques Helleu wurde zum «Auge» von Chanel, zum Hüter des Blicks. Und er richtete diesen Blick auf die Uhrmacherei, als er mit der Konzeption von Première begann. Er war kein Designer, aber er überliess – selbst wenn die Uhr ein technisches Objekt ist – der Technik auch nie die Oberhand.

Première kam zu einem besonderen Zeitpunkt in der Geschichte von Chanel. Denn 1987 stand das Haus bereits seit vier Jahren unter der künstlerischen Leitung von Karl Lagerfeld, der den Auftrag hatte, die Marke zu sanieren. Diversifizierung war erstens offensichtlich Teil der Strategie, und Lagerfelds Ankunft entsprach zweitens auch einer starken Fokussierung auf die emblematischsten Elemente des Chanel-Stils, wie er heute wahrgenommen wird.  Première ist in diesem Kontext zu sehen. Nur reicht dies noch nicht aus, um die Uhr als Zeitobjekt zu verstehen und der aktuellen Neuauflage zum 35-Jahr-Jubiläum Sinn zu geben.

Ines de la Fressange trägt die erste Première-Uhr

Die Première drückte 1987 eine grosse Weiblichkeit aus.

Quelle: Chanel

Blenden wir also zurück ins Jahr 1987. Marianne Etchebarne war damals noch nicht bei Chanel, aber sie erinnert sich an die Einführung von Première: «Die Uhr drückte eine extreme Weiblichkeit aus. Die Verbindung mit dem Chanel-Universum – dem Parfum, der Tasche – war sofort da.» In ihrer Erinnerung war Première ganz anders als die meisten Uhren für Frauen damals, die vorab «angepasste Männeruhren» waren. Der Unterschied war nicht nur formal und ästhetisch, sondern auch in der Herangehensweise begründet: «Chanel näherte sich der Uhrmacherei nicht mit Uhrmacher-Codes.»

Vielleicht hat der Unterschied primär mit der Erinnerung zu tun: Was wäre, wenn Première vor allem ein Erinnerungsobjekt wäre, ein Memorial am Handgelenk? Anders gefragt: Sind die Chanel-Codes nicht dazu da, eine Brücke zwischen den aktuellen Kollektionen und dem Erbe von Gabrielle Chanel zu schlagen? Ist die Geschichte nicht dazu da, die Kreation zu nähren?

Eine formale Prüfung widerspricht dieser These nicht. Woraus besteht die Première? Aus einem Viereck mit geschliffenen Ecken, einem kleinen Mineralmonolithen auf einem schwarzen, stummen Hintergrund, der als Zifferblatt dient und dessen Hauptelement der Schriftzug «Chanel» in goldenen Buchstaben ist. Die Uhrentechnik ist auf ihre Essenz reduziert: das Herkunftszeichen («Swiss») und zwei Zeiger, Stunde und Minute, ebenfalls goldfarben. Die Stabzeiger sind breit, und ihre abgerundeten Enden verhindern absichtlich ein genaues Ablesen der Zeit. Als ob die Berufung der Uhr darin bestünde, den Fluss der Zeit zu illustrieren und unverrückbar in die Gegenwart zurückzuführen. Wie die Chanel-Codes, die von weit her kommen, aber immer zeitgemäss bleiben.

 

Dieser Artikel erschien zuerst bei «Watch around».

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