Das Interview mit Tim Stracke, Co-Chef und -Gründer von Chrono24, findet online statt – und beginnt auf die Sekunde um 9 Uhr. Entspannt sitzt Stracke in T-Shirt und mit Dreitagebart vor dem Screen, trinkt Mineralwasser aus der Literflasche, lacht viel und erzählt viel. Punkt 10 Uhr ist Schluss, weil er das Sitzungszimmer freigeben muss.

Herr Stracke, Cristiano Ronaldo ist neu Investor von Chrono24. Wie haben Sie das hingekriegt?

Wir haben vor längerer Zeit entschieden, dass wir gerne auch sehr einflussreiche Uhrensammler im Gesellschafterkreis haben wollen, und eine Liste mit Namen erstellt. Ronaldo stand da ganz oben. Einer unserer Gesellschafter konnte einen Kontakt zu einem von Ronaldos Managern herstellen. Wir haben die Idee präsentiert, er hat das Dossier an Ronaldo geschickt, und drei Monate später – ich hatte das gedanklich schon abgeschrieben – kam eine Mail, dass Cristiano gern einsteigen würde.

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Sie haben ihn persönlich getroffen und spielen das nun gross mit Beweisfoto. Was hat das gekostet?

Nichts. Er gibt uns Geld, nicht wir ihm.

Ein super Marketingcoup sind Deal und Bild alleweil.

Wir haben keinen Marketingdeal mit ihm abgeschlossen. Dass wir ihn persönlich in Lissabon treffen konnten, hat uns gefreut und war super. Da haben wir vor allem über seine Uhrensammlung gesprochen, die bekanntlich recht eindrücklich ist.

In der Mitteilung zum Deal wird der Fussballer zitiert als einer, der Chrono24 schon vorher gekannt und genutzt hat. Tummelt sich jemand mit seinem Budget und Geschmack auf so einer Plattform?

Wer sich für Uhren interessiert, kennt Chrono24, unabhängig von Geld und Geschmack.

Was waren die Knackpunkte bei den Vertragsverhandlungen mit Ronaldo?

Ich glaube, er hätte gerne noch mehr Geld investiert.

Cristiano Ronaldo

Der neue Chrono24-Investor Cristiano Ronaldo (r.) mit Tim Stracke – Foto mit Strahlkraft, dank Social Media.

Quelle: PD

Mehr Geld, mehr Einfluss – das wollten Sie nicht?

Gegen mehr Einfluss hätten wir uns gar nicht gesperrt. Aber inzwischen müsste man dafür schon sehr grosse Summen in die Hand nehmen. Chrono24 wird mittlerweile mit über einer Milliarde Euro bewertet.

Wie kommen Sie auf die Milliardenbewertung?

Die Bewertung wurde vorgenommen im Zug der grossen Finanzierungsrunde, die im Jahr 2021 stattgefunden hat. Seither haben sich sowohl Umsatz als auch Profitabilität sehr positiv entwickelt.

Können Sie «sehr positiv» konkretisieren?

Der Umsatz ist um 50 Prozent höher. Mehr kommunizieren wir nicht. Wir sind ja glücklicherweise noch nicht börsengelistet, unser Unternehmenswert wird nicht täglich festgestellt, und ich muss nicht jeden Morgen als Erstes den Börsenticker studieren, um zu sehen, wie gut es unserem Unternehmen geht.

Was versprechen Sie sich konkret vom neuen Investor?

Der Grund, warum wir uns für Ronaldo entschieden haben, war nicht Geld, sondern er als Person: Er ist vertrauenswürdig und ein Uhrenkenner …

… und hat aktuell 596 Millionen Followers auf Instagram. Wie wirkt sich das aus auf Zugriffs- und Umsatzzahlen von Chrono24?

Die Zugriffszahlen haben weltweit zugelegt und in Ländern, in denen stärker kommuniziert worden ist, etwa in Portugal, Deutschland und den USA, ganz besonders. Wie sich das auf die Käufe auswirkt, wird sich zeigen. Auf unserem Marktplatz kostet eine Uhr im Schnitt zwischen 7000 und 8000 Euro. Das gibt keiner einfach mal so aus, nur weil Ronaldo News hat. Die Tatsache, dass er bei uns investiert hat, wird das Vertrauen in Chrono24 stärken.

Wie läuft das Geschäft so?

Im vergangenen Jahr hat unser Umsatz um 50 Prozent zugelegt. Dieses Jahr sehen wir ein deutlich geringeres Wachstum, auch weil die Preise gewisser Modelle von Patek Philippe und Rolex erst nahezu explodiert und dann eingebrochen sind – mit entsprechendem Effekt auf unser Transaktionsvolumen.

Sie haben darauf rasch reagiert und 65 Leute entlassen. Nicht gerade kreativ.

Nicht kreativ und dazu sehr schmerzhaft, zumal wir in den zwei Jahren davor aggressiv eingestellt hatten. Als der Markt langsamer wurde, haben wir unseren Status quo unter die Lupe genommen und realisiert, dass wir hier und dort nicht richtig aufgestellt waren. Der Personalabbau war ein strategischer, kein finanzieller Entscheid.

Heisst, Chrono24 war falsch aufgestellt?

Ein Beispiel: Wir hatten ein Team von 14 Recruitern. Nun, da wir die Einstellungen drastisch reduziert haben, brauchten wir aber nicht 14. Anderes Beispiel: Japan ist inzwischen der drittwichtigste Markt für uns, die Dynamik ist dort hoch. Aber dort fehlt es an Personal.

2021 war eine Serie-C-Finanzierungsrunde – der Börsengang steht also an. Ihr Fahrplan?

Dass wir public gehen wollen, haben wir schon vor ein paar Jahren entschieden. Das aktuelle Marktumfeld ist dafür nicht geschaffen. Glücklicherweise brauchen wir derzeit auch kein Geld. Kann sein, dass das IPO 2024 stattfindet, vielleicht auch erst in zwei, drei Jahren.

Hatten Sie bei der Gründung von Chrono24 vor Augen, was aus der Plattform bis heute geworden ist?

Gar nicht. Für mich persönlich ist es ein Stück weit auch richtig surreal. Die Plattform wurde vor 20 Jahren gegründet, 2010 habe ich Chrono24 mit meinen beiden Kompagnons gekauft. Wir haben uns gegenseitig versprochen, nicht mehr als 15 Mitarbeiter zu haben. Wir haben weder gedacht, dass der Markt so viel hergibt, noch hatten wir vor, so gross zu werden. Der Uhrensektor hat in den letzten zehn Jahren extrem zugelegt, und wir sind in einen Sog geraten. Irgendwann standen wir vor der Frage: richtig gross werden oder ein kleines, feines, profitables Unternehmen bleiben? Wir haben uns für «richtig gross» entschieden.

Heute führen Sie den grössten Onlinemarktplatz für Uhren. Was wollen Sie noch?

Wir sind noch lange nicht in allen Ländern führend. Das zu erreichen, ist unser erklärtes Ziel.

Hochfliegend

10 Mio. User

besuchen Chrono24 – im Monat.

1 Mrd. Fr.

betrug der Marktwert der Onlineplattform 2021.

180 Mio. Fr.

hat Chrono24 seit 2015 in drei Finanzierungsrunden eingesammelt.

> 0,5 Mio. Uhren

von knapp 40'000 Händlern und Privatpersonen sind auf Chrono24 im Angebot.

Wie wirkt sich auf Ihr Geschäftsmodell aus, dass Rolex, der wichtigste Umsatzbringer auf allen Plattformen, nun ins Geschäft einsteigt und Uhren aus Vorbesitz selber zertifiziert und diese ausschliesslich offiziellen Partnern überlässt?

Das schafft Vertrauen und hilft, noch mehr Leute für Secondhanduhren zu begeistern. Leute, die gegenüber diesem Markt noch skeptisch sind, werden bereit sein, für eine Rolex-zertifizierte Uhr 25 bis 30 Prozent mehr zu bezahlen, als sie bei Chrono24 kosten würde. Beim nächsten Kauf werden sie sich dann aber vielleicht schon überlegen, ob sie diese hohe Prämie wirklich zahlen möchten. Rolex nimmt Chrono24 möglicherweise Marktanteile weg. Möglicherweise schafft die Marke aber auch einen neuen Markt respektive wird den Markt vergrössern. Wir stehen dem Ganzen jedenfalls sehr positiv gegenüber.

Und das bei Ihren Ambitionen? Es entgeht Ihnen Umsatz.

Der Umsatz mit Gebrauchten beträgt aktuell 20 bis 25 Milliarden Euro und wird sich gemäss Analysten in den nächsten zehn Jahren verdreifachen, sodass wir dann einen Markt von 100 Milliarden Euro haben werden. Das ist ein ganz schön grosser Kuchen. Aber klar, wir gehen auf jeden Fall davon aus, dass Rolex einen substanziellen Marktanteil ergattern wird.

Und das tut Ihnen nicht weh?

Wie gesagt: Der Markt ist gross genug, dass auch wir weiter wachsen können.

Wer eine von Rolex zertifizierte Secondhanduhr kauft, kann sicher sein, dass sie echt ist. Chrono24 gibt keine Garantien.

Keine Garantien stimmt nicht ganz. Wir haben 3500 Händler, die bei uns Uhren verkaufen und die wir sehr sorgfältig prüfen. Abgewickelt werden die Käufe auf einem Treuhandkonto. Und wir garantieren, dass wir jederzeit das Geld zurückschicken, wenn eine Transaktion nicht ist wie erwartet, eine Uhr zum Beispiel kleiner ist als erwartet.

Das kommt vor?

Nicht mal selten. Der Käufer entscheidet bei Chrono24 erst, nachdem er die Uhr in der Hand hat, ob er sie behalten oder zurückgeben möchte. Sein Geld bleibt treuhänderisch bei uns, bis er es freigibt.

Sie haben 2023 das Thema Compliance auf der Agenda. Woran arbeiten Sie konkret?

Wir haben eine grosse Betrugs-Abteilung und sind nun dabei, Dinge, die wir seit Jahren ohnehin tun, zu formalisieren und zu institutionalisieren. Für uns läuft das unter dem Kapitel «IPO-Readiness-Massnahme».

Und wann schrillen bei den Betrugsspezialisten die Alarmglocken?

Wir legen nicht offen, wie wir prüfen, wohin wir schauen. Auch nicht, was ein Händler erfüllen muss, bevor wir ihn auf der Plattform zulassen. Nur so viel: Wir haben sehr strikte Regeln, lehnen viele ab. Schon der kleinste Zweifel reicht für einen negativen Entscheid.

Die Händler sind ja zugleich auch Ihre Konkurrenten.

Einerseits, wir streiten uns ja um die gleichen Kunden. Andererseits sind die Uhrenhändler, die bei uns auf der Plattform gelistet sind, unsere Partner. Auf globaler Ebene sehe ich keinen einzigen Marktplatz, der unsere Abdeckung hat. Wir haben knapp zehn Millionen User pro Monat, schätzungsweise jeder zweite Luxusuhrenliebhaber nutzt unsere Plattform.

Was ist mit eBay?

Produktseitig hat sich eBay in den letzten Jahren positiv entwickelt, nachdem sie zehn Jahre lang nicht das Potenzial gehoben haben, das sie hätten heben können. Aber international sind sie längst nicht so präsent wie wir. Und insbesondere im Bereich der teuren Uhren haben wir einen deutlich grösseren Marktanteil als sie.

Wie wichtig ist der sogenannte Graumarkt für Chrono24?

Wichtig, wobei wir nicht mehr von Graumarkt sprechen. Darunter verstand man vor fünf Jahren noch den Markt, auf dem man neue Uhren günstig kaufen konnte. Heute ist es der Markt, wo man, statt sieben Jahre auf eine Uhr zu warten, sie sofort kaufen kann, gegen Aufpreis. Er funktioniert klassisch nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage und reguliert sich auch so: Als sich die Preise im April, Mai letzten Jahres nach unten bewegten, hatten wir auf unserer Plattform ein substanziell gestiegenes Angebot, und die Preise kamen weiter ins Rutschen. Das war für Marktteilnehmer, die auf weiter steigende Preise gesetzt hatten, schmerzhaft, zumal die Korrekturen nach unten typischerweise viel schneller passieren als die rauf.

Die Art von Ernüchterung schadet Ihrem Geschäft. Welches sind Ihre Erwartungen für das laufende Jahr?

Prognosen waren für uns noch nie so schwierig wie für 2023. Die ganz optimistischen treffen aktuell nicht ein, weil viele der Käufer noch in Wartestellung sind. Ich bin gespannt darauf, was nach dem Sommer passiert, wenn sich in den Köpfen der Leute manifestiert hat, dass die Talsohle erreicht ist.

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Ist sie erreicht?

Vieles deutet darauf hin. Wir sehen jetzt seit sechs Monaten sehr stabile Preise vor allem bei Rolex-Modellen. Wir erwarten, dass die Preise mit der nach wie vor hohen Inflation langfristig generell wieder steigen werden. Auch, weil die Uhrenhersteller ihre Preise in den letzten zwölf Monaten stark angehoben haben. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um Uhren zu kaufen.

Gibt es schon Anzeichen für den Aufwärtstrend?

Die Rolex Datejust 41 ist eine der meistgehandelten Referenzen bei Chrono24. Und da sehen wir immer wieder steigende Preise. Bei vielen der sehr teuren Uhren gibt es nach wie vor nicht so viele Transaktionen, weil alle abwarten.

Und was sehen Sie in der fernen Zukunft?

Wir glauben an ein sehr, sehr grosses Marktwachstum. Chrono24 steht noch am Anfang.

Chrono24 am Anfang – Sie scherzen.

Gar nicht. Wir sind wie gesagt noch nicht in allen Ländern Marktführer. Und in China, wo das Internet bekanntlich komplett anders funktioniert und wo es sehr hohe Zollschranken gibt, sind wir noch nicht wirklich aktiv.

Denken Sie immer nur an grösser? Oder auch an besser?

Daran arbeiten wir auch. Als TechUnternehmen werden wir uns immer weiterentwickeln. Noch bieten wir nicht besonders viele Services. Unsere Händler lieben es zwar, Uhren zu kaufen und zu verkaufen. Aber die müssen dafür auch eine ganze Menge Dinge tun, die keinen Spass machen. Da können wir uns viel vorstellen. Zum Beispiel in Bezug auf die Unterstützung bei der Logistik. 70 Prozent der Transaktionen auf Chrono24 sind länder-, 30 Prozent sogar währungsübergreifend. Und irgendwann, wer weiss, ist Chrono24 eine Art Operating System für den gesamten Markt gebrauchter Uhren.

Iris Kuhn Spogat
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