Herr de Roquemaurel, 2015 stiegen Sie in das Projekt mit der Marke Czapek ein, im Frühjahr 2016 präsentierten Sie das Vorhaben an der Basler Messe – und kehrten mit einer einzigen Bestellung zurück. Und nun wollen Sie 3000 Uhren pro Jahr produzieren, wo sie gerade bei 450 Stück angelangt sind. Mit Verlaub, das erscheint uns reichlich ambitioniert?

Sie haben recht: An der Baselworld 2016 hatten wir uns zum Ziel gesetzt, 15 Einzelhändler zu finden und ihnen jeweils fünf Uhren zu verkaufen. Am Ende gingen wir mit einem Verkauf und einer Konsignation nach Hause – völlig enttäuscht. Dann dachten wir nach. Wir hatten zwar nur eine Uhr verkauft, aber wir hatten ja auch unsere 93 Aktionäre. Die sprachen wir an, und um diesen Cluster herum bildete sich eine Gemeinschaft. Sie ermöglichte es uns, mit der Vermarktung zu beginnen und die Produktion aufzubauen.

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Und wie ging es weiter?

Mit einer überraschenden Beschleunigung. Wir verkauften im ersten Geschäftsjahr 88 Uhren, 2019 waren es 160, 2020 ging es auf 150 zurück, 2021 stieg es auf 300, 2022 schlossen wir mit fast 450 verkauften Uhren ab. Und dieses Jahr möchten wir bei 800 landen.

Bis zu den geplanten 3000 Stück pro Jahr liegen immer noch Welten. Woher nehmen Sie Ihre Zuversicht?

Wir wollen es in unserem Tempo erreichen, ohne die Qualität unserer Arbeit in Frage zu stellen. Und wir sind ziemlich sicher, dass wir das Potenzial dazu haben.

Wie erklären Sie den Anstieg der Bestellungen? Liegt es am sportlich-schicken Modell mit integriertem Armband, an der Antarctique-Linie, die 2020 auf den Markt kam?

Ja, aber nicht nur. Obwohl wir seit letztem April vorübergehend keine Bestellungen für die Antarctique mehr annehmen. Wir fahren dafür zwar die Kapazitäten hoch, aber wir sind da noch nicht schnell genug.

Warum?

Uns fehlen viele Komponenten.

Obwohl auch Lieferanten sogenannte Partner sind, manchmal sogar Aktionäre?

Wenn der Markt eine Phase der Hochkonjunktur durchläuft – wie es heute der Fall ist –, agieren einige Partner wieder als reine Lieferanten. Und wir werden erneut als kleiner Kunde behandelt.

Wie kann man darauf reagieren?

Wir haben beschlossen, mit der Vertikalisierung zu beginnen. Anfang September lief unsere eigene Gehäuseproduktion an.

Warum beginnen Sie ausgerechnet bei den Gehäusen?

Weil es eine Priorität ist, um unser Überleben zu sichern. Wenn wir keine Gehäuse haben, können wir nicht liefern. Und das würde bedeuten, die Kontrolle über unser Entwicklungstempo zu verlieren.

Dass Czapek so anspruchsvoll sein würde, hätte Roquemaurel, der zuvor bei L'Oréal, Zegna und LVMV war, nicht erwartet.

Xavier Roquemaurel: War vor Czapek bei L'Oréal, Zegna und LVMV.

Quelle: ZVG

Wenn wir richtig verstanden haben, war es eindeutig die Einführung der Kollektion Antarctique, die alles verändert hat?

Der Start war wie eine Flutwelle. Und heute macht die Antarctique fast 85 Prozent der Bestellungen aus.

Aber wenn die Antarctique fast 85 Prozent der Nachfrage ausmacht erscheint uns der Bestellungsstopp recht kurios.

Im Gegenteil, er ist logisch. Wenn man mit einem Auftragsbestand von fast 3000 Bestellungen konfrontiert ist, der die Produktionskapazität bei Weitem übersteigt, stellt sich die Frage, wie man es schaffen kann, noch neue Produkte anzubieten. Wir haben daher beschlossen, keine Bestellungen mehr für die Antarctique anzunehmen und stattdessen neue Modelle auf den Markt zu bringen. Neue Versionen des Kalibers mit sieben Tagen Gangreserve und weitere Varianten der bestehenden Kollektionen.

Sie haben fast jedes Jahr eine neue Linie eingeführt: 2016 Quai des Bergues, 2017 Place Vendôme, 2018 Faubourg de Cracovie, 2020 Antarctique. Macht das Sinn?

Es ist unmöglich, ein Unternehmen zu führen, welches keine Neuheiten mehr auf den Markt bringt.

Was waren die drei wichtigsten Entscheidungen für die Wiederbelebung der Marke?

Die erste ganz wichtige Entscheidung war jene für eine Crowdfunding-Aktion. Sie führte uns zur zweiten wichtigen Entscheidung, nämlich mit einem Einsteigermodell zu beginnen und dann langsam zu steigern. Das erste Modell, Quai des Bergues, kostete weniger als 10’000 Franken, 6000 für die Aktionäre. Die dritte Entscheidung war logisch: dem Erbe Czapeks treu zu bleiben.

Was meinen Sie mit treu bleiben»?

Kein Ego. Keine Mode. Konzentration auf den Stil und die Persönlichkeit von François Czapek.

Und was ist der Czapek-Stil?

Elegant aus einem Meter Entfernung zu wirken, aufregend aus 30 Zentimetern. Und kein Bling-Bling.

Sondern?

Vor dem öffentlichen Relaunch machten wir unsere Hausaufgaben und bauten uns eine Czapek-Bibliothek auf, indem wir alle Auktionen verfolgten. Der entscheidende Punkt für die Wiedergeburt war die Entdeckung der Referenz 3430 aus dem Jahr 1850, die wir 2019 endlich kaufen konnten. Wir erkannten, dass Czapek eher ein Uhrendesigner als ein Kaliberhersteller war. Und dass seine Uhren auf Individualität ausgelegt waren. Diese Analyse diente uns dazu, eine Art Grammatik mit Bezugspunkten zu erstellen, und aus dieser Grammatik heraus haben wir einen Stil entwickelt, der seine Wurzeln im Klassizismus hat, aber nicht dort verharrt.

Beispiel?

In der Arbeit mit der Symmetrie zum Beispiel: Alle Uhren sind auf der vertikalen Achse symmetrisch, nicht aber auf der horizontalen. Der Kronenschutz ist ein weiteres Beispiel. Oder die Vertiefungen an den Flanken des Gehäuses.

Ein paar Worte zum Aufbau und zur Entwicklung der Kollektionen?

Zu Beginn hatten wir einige Produkte im Kopf: ein Modell mit Handaufzug und sieben Tagen Gangreserve, einen Chronographen, ein Tourbillon, eine Minutenrepetition. Wir sind von diesem Fahrplan ausgegangen und haben die Kollektionen nach und nach aufgebaut, je nachdem, welche Möglichkeiten sich ergaben, ausgehend von den Kalibern.

Wie zum Beispiel?

Wir stellten etwa fest, dass wir mit den Chronographen-Kalibern, die auf dem Markt erhältlich sind, nichts Eigenes ausdrücken konnten. Bis zu dem Tag, an dem die Manufacture Vaucher uns eine Alternative anbot. Der Grundpreis war hoch, also beschlossen wir, noch mehr in die Ausstattung der Uhr zu investieren. 

Um am Ende auf ein sehr breites Preisspektrum zu kommen, jedenfalls für eine unabhängige Marke. 

Es reicht von 10’000 bis 100’000 Franken.

Wie setzt sich der Vertrieb zusammen?

Ein Viertel direkt, drei Viertel indirekt über 30 Verkaufsstellen weltweit. Wir werden noch weitere eröffnen, aber wir wollen nicht mehr als 50 Verkaufspunkte.

Und was sind die wichtigsten Absatzmärkte?

In dieser Reihenfolge: Nordamerika, Japan, Europa mit Deutschland, den Niederlanden und Grossbritannien, der Mittlere Osten mit Dubai sowie Asien mit Hongkong und China.

Kommen wir noch einmal auf den Hintergrund der Wiederbelebung zu sprechen, die in einem hybriden Modus zwischen Aktionariat und Crowdfunding erfolgte. Warum haben Sie sich dafür entschieden?

Die Dinge haben sich auf natürliche Weise entwickelt. Zunächst einmal glaubten wir nicht an die Illusion eines milliardenschweren Investors. Es gibt immer einen Moment, wo so etwas schiefgeht. Entweder verlangt der Investor zum Beispiel plötzlich sein Geld zurück, oder er lässt sich extern davon überzeugen, dass die Marschrichtung nicht stimmt und die Strategie geändert werden muss. Und Wendemanöver sind für eine Marke das Schlimmste, was es gibt.

Also kein Investor.

Wir gingen tatsächlich mit äusserst bescheidenen Mitteln an den Start: Am Anfang waren nur 10’000 Franken auf dem Firmenkonto. Und wir suchten nach einer Lösung. Zu dieser Zeit hatte DuBois et fils eine gewagte Finanzierung durchgeführt, indem die Marke ihr Kapital auf partizipativer Basis beschaffte. Wir hatten das beobachtet. Bekannte ermutigten uns, auf die gleiche Weise vorzugehen, und unterstützten uns. Wichtige Persönlichkeiten und Partner schlossen sich an, und wir konnten eine erste Finanzierungsrunde abschliessen. Dann weiteten wir den Kreis auf «Family and Friends» aus, das brachte 80’000 Franken ein. Es folgten die «Fools» – oft erfolgreiche Unternehmer –, was uns wiederum fast 500’000 Franken brachte. Dann kam Ende 2015 eine erste öffentlichen Finanzierungsrunde, die 93 Aktionäre anzog und es uns ermöglichte, Entwicklungen zu finanzieren und viel Kompetenz ins Unternehmen zu bringen.

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Und wo stehen Sie heute?

Czapek stützt sich heute auf eine Gemeinschaft von 200 Aktionären. Die letzte Kapitalerhöhung fand 2019 statt. Insgesamt haben wir sechs Finanzierungsrunden mit einer Summe von 5,7 Millionen abgeschlossen.

Die Summe klingt nicht übermässig hoch, warum haben Sie sie nicht auf einmal aufgebracht?

Ich stelle mir eine Marke wie einen Garten vor. Die Rolle des Managers ist es, der Gärtner zu sein, zu giessen, zu beschneiden, zu pfropfen. Zu viel Geld tötet das Projekt so sicher, wie man die Wurzeln der Pflanzen ertränkt, wenn man zu viel giesst. Ich bin der Meinung, dass man spartanisch bleiben sollte und es gesünder ist, immer ein wenig Kapital zu vermissen. Das bedeutet auch, dass man akzeptieren muss, Risiken einzugehen, sich selbst zu erschrecken und darin eine positive Dynamik zu finden. Wenn ich mich in die Perspektive des Gärtners versetze, entscheide ich zum Beispiel nicht, wann die Sonne scheinen wird – übertragen gesehen wäre die Sonne bei uns die Kundschaft.

Und wie hält man dann durch, wenn die Sonne nicht scheint?

Es gibt kein Rezept, man muss sich den Gegebenheiten anpassen. Und um ein Maximum an Flexibilität bei der Anpassung ans Umfeld zu gewährleisten, ist es unerlässlich, die Fixkosten so nahe wie möglich bei null zu halten – und das Ego aussen vor zu lassen.

Sie bereuen nicht, dass Sie die grossen Luxusgüterkonzerne verlassen haben – Sie waren zuvor bei L’Oréal, Zegna und LVMH –, um sich als unabhängiger Spezialist für Uhren zu etablieren?

Zu keinem Zeitpunkt. Ich fühle mich mit der Uhrmacherei, die wir betreiben, verbunden. Und von Anfang an betrachtete ich Czapek als perfekten Business Case: die Produkte, die geheimnisvolle Geschichte, eine schlafende Schönheit. Aber ich hatte keine Ahnung, dass das Abenteuer so anspruchsvoll sein würde. Zum Glück hat man keine Ahnung von den Schwierigkeiten, wenn man sich selbstständig macht.
 

Dieser Artikel erschien zuerst bei «Watch Around».

Czapek & Cie

Das Atelier Patek, Czapek & Cie wurde in Genf eröffnet, als zwei polnische Emigranten, Antoine Patek und François Czapek, beschlossen, ihre Kräfte zu bündeln. Nach dem Ende ihrer Partnerschaft gründete François Czapek 1845 Czapek & Cie. Er näherte sich Napoleon III. an und eröffnete ein Geschäft an der Place Vendôme in Paris.