Ihr Name steht für ein paar herausragende Leistungen in der Haute Horlogerie. Und aktuell für das neue Chronographen-Kaliber von TAG Heuer. Die Rede ist von Carole Forestier-Kasapi.

Ihr Talent war rasch entdeckt. Und ihr Gespür für feine mechanische Lösungen ebenso: Forestier-Kasapi hatte eben ihre erste Stelle angetreten – schon kam der grosse Auftrag: Sie möge doch, so bat man sie, für Zenith ein neues Werk entwickeln. Und so geschah es: Zeniths Kaliber Elite 680 ist von A bis Z Carole Forestier-Kasapis Werk – dabei war sie damals erst 22 Jahre alt.

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Heute, einige Jahre später, sitzt Carole Forestier-Kasapi nur ein paar Häuser weiter in La Chaux-de-Fonds an der Rue Louis-J.-Chevrolet Nummer 6. Und zeigt ihr neustes Œuevre für TAG Heuer. Seit drei Jahren ist sie Movement Director der Marke, was sie nicht daran hindert, noch einmal kurz auf die Anfänge mit dem Auftrag für Zenith zurückzuschauen: «Es war ein Glücksfall», sagt sie. «Denn an solchen Projekten und an den Erfahrungen, die man damit macht, wächst man.» Auch oder gerade wenn einmal etwas nicht laufe, wie man es sich vorgestellt habe, wenn man es überdenken, von vorne starten und eine neue Lösung finden müsse.

Für Cartier erfand Forestier-Kasapi das Tourbillon neu

Oder etwas ganz Neues erfinden. Zum Beispiel – Jahre später – für Cartier. «Erfinden Sie uns das Tourbillon neu!», lautete dort der Auftrag an Carole Forestier-Kasapi, damals Responsable Création des Mouvements. Das Ergebnis war ein ergötzliches Stück Haute Horlogerie, das Astrotourbillon, Kaliber 9451 MC. Bei dieser Uhr kam das Tourbillon in die Spitze des Sekundenzeigers und dreht einmal pro Minute um die ganze Uhr – ein atemberaubendes filigranes mechanisches Schauspiel.

Womit das Spektrum abgesteckt ist: Vom Basiswerk bis zu ausgeklügelten Komplikationen reicht Forestier-Kasapis Welt – und zwar mit einer Excellence, die ihr einige Preise eingebracht hat. Und den Titel «Königin der Kaliber».

Doch nun zur Aktualität: Drei neue Carrera-Modelle hat Carole Forestier-Kasapi mitgebracht und vor sich ausgebreitet, zwei mit dem neuen Chronographenkaliber TH20-00, eines mit dem TH-20-09-Tourbillon. Die Werke in den Uhren sind von ihr, eine Komplett-Überarbeitung des hauseigenen Chronographenkalibers Heuer 02 – zweieinhalb Jahre hat sie daran gearbeitet.

Ganz am Anfang, so vermuten wir, stand dabei wohl ein klares Pflichtenheft. «Das wäre unlogisch», sagt sie, «und nicht mein Weg, ein solches Projekt anzugehen.»

Am Anfang ihres Weges standen vielmehr Daten, möglichst viele Daten, alles, was man über das Werk erfahren könne, über seine Stärken und über seine Schwächen. Datamining nennt sie den Prozess. Der Leiter der Serviceabteilung könnte ein Lied davon singen, Carole Forestier-Kasapi bombardierte ihn mit Fragen über Retouren und Gründe für nötige Reparaturen. Sie wollte wissen, wo Probleme aufgetaucht waren. Und wo Remedur angesagt sei. Sie wollte es bis ins letzte Detail wissen.

«Je suis carrée», sagt sie, was wörtlich übersetzt «Ich bin quadratisch» heisst. Der französische Ausdruck meint allerdings, dass sie zum Typus Mensch gehört, der den Sachen auf den Grund geht, es immer ganz genau wissen will. Und der ordentlich, organisiert und sehr strukturiert vorgeht. «Ich will wissen, wie etwas funktioniert», wiederholt sie. «Auch warum. Und ob es Sinn macht.» Dazu passt ein anderes Wort, welches Forestier-Kasapi immer wieder verwendet: «factuel», auf Deutsch: sachlich. Oder besser: faktenbasiert.

Daten, Daten, Daten

Daten seien entscheidend, sagt sie, sie kommen auch aus dem Vergleich mit Werken der Konkurrenz, dem Benchmarking. Und vom Text-Mining in den sozialen Medien: Was schreiben die Leute, die eine TAG Heuer tragen? Was loben sie an ihrem Werk? Und was prangern sie an?

Ergebnisse: Eine Stärke des Kalibers Heuer 02 war seine gute Gangautonomie – 80 Stunden. Und das sei ein echtes Plus, «nicht zu vernachlässigen». Denn ein Drittel aller Kunden, das habe eine von Rolex 2016 publizierte Studie ergeben, lege eine Uhr am Wochenende weg, um sie am Montag wieder ans Handgelenk zu nehmen. Da sei eine gute Gangautonomie elementar.

Ein Punkt, der in den sozialen Medien aber auch häufig erwähnt wurde, war die Schwungmasse. Und der Grund dafür war, wie die Technikerin schnell herausfand, der unidirektionale Aufzug. Die Schwungmasse des Heuer 02 zieht die Uhr nur beim Schwingen in die eine Richtung auf, in die andere läuft sie frei. «Aber weil sie frei läuft, läuft sie schnell. Und weil sie schnell läuft, hört man sie», erklärt Carole Forestier-Kasapi. Ihre Revision, die TH20-00, zieht das Uhrwerk nun bidirektional auf, was das Geräusch eliminiert. Gleichzeitig – aber das war nicht wirklich das Ziel – wird die Uhr auch etwas schneller aufgezogen.

Es gab weitere Verbesserungen, vor allem punkto Zuverlässigkeit. Heute gibt es auf das Werk fünf Jahre Werksgarantie, der Standard zuvor waren zwei Jahre. Auch die Service-Intervalle sollen kundenfreundlicher werden, zehn Jahre sind das Ziel. «Wir versprechen das noch nicht, aber wir wollen es erreichen.»

Neue Carrera von TAG Heuer mit dem neuen Chronographenkaliber TH20-00.

Die neue Carrera von TAG Heuer mit dem neuen Chronographenkaliber TH20-00.

Quelle: ZVG

Carole Forestier-Kasapi nimmt das Carrera-Modell mit dem blauen Zifferblatt nochmals in die Hand, dreht es um und zeigt auf die durch den Glasboden sichtbare Schwungmasse. «Wir haben ihr ein neues Design verpasst», erklärt sie, «das war mir wichtig.» Neu ist der Rotor nun skelettiert und hat die Form des TAG-Heuer-Schild-Logos. Bisher habe es für die verschiedenen Werke der Marke kein gemeinsames Erkennungsmerkmal gegeben, das sei nun endlich eines.

Dass sich die Technikerin als erste Aufgabe die Optimierung des Kalibers Heuer 02 vorgenommen hat, ist natürlich kein Zufall. Erstens, weil das 02 aktuell das einzige hauseigene Manufakturwerk bei TAG Heuer war. Und zweitens, weil Chronographen wohl die Signatur der Marke seien: «Wer in der Schweiz Chronograph oder Stoppuhr sagt, meint automatisch TAG Heuer.»

Uhrmacher mögen Konstanz

Wobei, würde man denken, die Kreation einer Komplikation wohl einiges interessanter ist als das Optimieren eines Chronographen. «Im Gegenteil», antwortet Forestier-Kasapi: «Man hat ihn zwar banalisiert, weil er sich gut industrialisieren lässt. Aber ich kann Ihnen versichern, dass es viel komplexer ist, einen Chronographen zu entwickeln als einen Ewigen Kalender oder ein Tourbillon.» Und das aus folgendem Grund: Anders als die meisten Komplikationen sei die Chronographen-Mechanik von Natur aus manchmal an das Basiswerk gekoppelt, manchmal aber auch nicht, nur dann nämlich, wenn man die Zeit stoppt. Die Kupplung indes sei ein hyperkomplexes Teil, viele Komponenten würden benötigt, Wippen und Federn vor allem. Erschwerend komme hinzu, dass der Mensch über die Drücker in die Mechanik eingreife. Eine schlechte Kupplung brauche nun erstens viel Energie und führe zweitens zu plötzlichen Schwankungen beim Energieverbrauch, «Uhrmacher hassen das». Denn je konstanter Energie übertragen werde, umso präziser laufe die Uhr. Und Präzision sei seit jeher das oberste Ziel der Uhrmacherei – jedenfalls für sie.

«Wer in der Schweiz Chronograph oder Stoppuhr sagt, meint automatisch TAG Heuer.»

Carole Forestier-Kasapi, TAG Heuer

Als Carole Forestier-Kasapi in den frühen 1980er Jahren von Paris, wo sie aufgewachsen war, als 16-Jährige nach La Chaux-de-Fonds zog, um die Uhrmacherschule zu besuchen, hatte es in ihrer Klasse neben ihr nur noch einen einzigen Lehrling – niemand gab der mechanischen Uhr damals noch eine Zukunft. Ihre Eltern aber standen hinter ihr. Sie waren Uhrmacher, wie auch ihr Bruder, spezialisiert auf die Restauration alter Uhren. Nur eine Bedingung habe der Vater gestellt, unverhandelbar: «Wenn du diesen Beruf lernen willst, musst du in die Schweiz. Dort passiert es.»

Nächste Etappe war das Technikum, wo ihre Abschlussarbeit einen Experten derart begeisterte, dass er sie umgehend einstellte. Und ihr den Auftrag für Zenith anvertraute. Dann kam es zu einem Abstecher zu Renaud & Papi, wo sie für A. Lange & Söhne an der Kraftübertragung über Kette und Schnecke arbeitete. Es war eine Zeit des Aufbruchs, die viele Stars hervorgebracht hat. Ihr direkter Büronachbar war Giulio Papi, im Unternehmen arbeiteten neben Dominique Renaud auch Robert Greubel und Stephen Forsey, die Gebrüder Grönefeld oder Andreas Strehler. Nach einem kurzen Umweg über Ulysses Nardin kam sie dann zu Richemont, wo sie an Werken für Cartier, Piaget und Van Cleef & Arpels arbeitete. Und von 2005 bis 2020 schliesslich ging es ganz zu Cartier.

«In der Uhrmacherei ist noch nichts endgültig erfunden.»

Zig Notizbücher hat sie in dieser Zeit mit Skizzen und Notizen gefüllt – nachts liegt eines griffbereit neben dem Bett, beim Reisen im Zug in der Handtasche. Denn wenn ihr etwas einfällt, notiert sie es. Umgehend. Es sei eine Art intellektuelle Neugier, die sie antreibe, sagt sie, der Drang zu wissen, wie etwas funktioniere. Da wird auch einmal, nicht zur Freude ihres Ehemannes, ein Staubsauger auseinandergenommen. «Mich faszinierte der Mechanismus, der auf Knopfdruck das Stromkabel einrollen lässt. Ich wollte genau sehen, wie das funktioniert.»

«In der Uhrmacherei ist noch nichts endgültig erfunden.» Das sei ihre Grundphilosophie, sagt Carole Forestier-Kasapi – «man kann immer noch alles besser machen». Absolute Perfektion wäre eine mechanische Uhr mit einer Gangabweichung von null Sekunden am Tag. Unerreichbar. Aber anzustreben.

 

Dieser Text erschien zuerst in «Watch Around».