Ein Besuch im Stammhaus von Chanel in der Rue Cambon in der Nähe der Place Vendôme ist wie das Eintauchen in eine andere Welt. So luxuriös die Strasse draussen auch ist, hier bleibt die Welt aussen vor; Stille und ein angenehmer Duft umfangen den Besucher. Es ist der Ort, an dem die Tradition des Hauses greifbar ist, die bis ins Jahr 1913 zurückgeht und immer präsent blieb: Chanel beruft sich auf die reiche Geschichte und bezieht daraus Legitimität.
Diese Glaubwürdigkeit ist im Luxussegment von Bedeutung. Dort, wo es um Objekte geht, die niemand wirklich benötigt, spielen Herkunft, Tradition und Handwerk eine bedeutende Rolle. Und es gibt nicht allzu viele Marken, die in jedem dieser Aspekte und in mehreren Disziplinen überzeugen. Neben Chanel gelingt dies auch Hermès, und so unterschiedlich die beiden Häuser sind – überraschend viele Gemeinsamkeiten verbinden die Traditionsunternehmen.
Dazu zählt unter anderem der Anspruch, mit dem sie sich einer weiteren Herausforderung gestellt haben: der Kreation von Uhren. Und wer glaubt, dass beide einfach nur eine Mode- beziehungsweise Accessoires-Marke sind, die halt auch ein paar Uhren herstellen, irrt. Sowohl Hermès als auch Chanel haben bei den Uhren ihren ureigenen Anspruch. Das zeigen eigene Manufakturwerke ebenso wie das Engagement, das dem breiten Publikum verborgen bleibt. Etwa die Beteiligung an Zulieferern oder Anteile an überaus ernst zu nehmenden Uhrenmarken. Daher lohnt sich ein Blick auf die beiden Häuser und ihre Zeitgeschichte.
Zu Hause in Paris
Stammsitz von Chanel ist besagte Rue Cambon in Paris. Dort, in dem Gebäude mit der Nummer 31, richtete Coco Chanel ihr Couture-Haus ein. Es ist bis heute die Adresse für Boutique, Salons und Ateliers. Die Grande Dame der Marke lebte ebenfalls in dem Haus. Heute noch befindet sich dort ihr Apartment, in dem sie diverse Kunst und Objekte versammelte, die sie inspirierten. Die Verbindung mit der Stadt der Mode ist bis heute identitätsstiftend für Chanel.
Das Geschäft in der Rue Cambon 31 in Paris.
Nicht anders ist es bei Hermès, 1837 von dem Sattler Thierry Hermès als Werkstatt für Pferdegeschirr und Zaumzeug gegründet; bald folgten hochwertige Koffer und Ledertaschen. 1880 bezog Hermès Räumlichkeiten in der 24, Rue du Faubourg Saint-Honoré – seither Stammsitz der Firma. Dort entstanden die Kultprodukte von Hermès, etwa die Kelly Bag und die Hermès-Seidentücher.
Die Boutique an der Rue Faubourg Saint-Honoré 24 in Paris.
Die Tradition reicht bis in die Führungsetage. Hermès ist ein Familienunternehmen, das seit sechs Generationen von der Familie Hermès-Dumas kontrolliert wird. Mittlerweile sind es rund 100 Erben, die zusammen mehr als zwei Drittel der Hermès-Aktien kontrollieren. In diesem Jahr konnten sie von einer einmalig hohen Dividendenzahlung profitieren, nachdem das Unternehmen vier Jahre in Folge Rekordgewinne erzielt und die Konkurrenz inmitten der branchenweiten Konjunkturflaute übertroffen hat.
Auch Chanel ist in Familienhand. Die Marke gehört den Brüdern Alain und Gérard Wertheimer, Enkel von Coco Chanels Geschäftspartner Pierre Wertheimer. Sie sind Mehrheitsaktionäre, können sich aber über das letztjährige Unternehmensergebnis nicht so ungetrübt freuen wie Hermès. Während das Geschäftsjahr 2023 noch mit Umsatzrekord und Gewinnanstieg endete, sanken 2024 der Umsatz und infolgedessen der Gewinn um über 28 Prozent.
Das Erbe bewahren
Beide Traditionshäuser sind stolz auf das, was sie können und was ihr Metier ausmacht. Hermès setzt auf kontrollierte Produktion und bei Lederwaren auf limitierte Stückzahlen. Dazu pflegt man das Fertigungshandwerk in alter Tradition. Auch bei Uhren folgt Hermès dem Anspruch, den CEO Axel Dumas in einem Interview mit «Le Monde» formulierte: «Wir produzieren nur, was wir perfekt beherrschen.» Mit der Fertigung von Uhren ging daher die Gründung von La Montre Hermès in der Schweiz einher. Dieser Unternehmensbereich umfasst heute zwei Fertigungsstätten – die eine in Le Noirmont, die andere für Uhrenmontage und Lederbandfertigung in Brügg bei Biel. Und man setzt auf weiteres Know-how: Hermès ist seit 2006 mit rund 25 Prozent am Werkehersteller Vaucher Manufacture Fleurier beteiligt, der aus der Uhrenmanufaktur Parmigiani entstanden ist. Zudem besitzt Hermès Anteile an den französischen Firmen Natéber, einem Zifferblatthersteller, und Joseph Erard, einer Gehäusemanufaktur.
Bei Chanel haben Handwerk und exklusives Können ebenfalls einen hohen Stellenwert: Der langjährige Chanel-Chef Karl Lagerfeld war von überlieferten Techniken fasziniert. Immer wieder hat die Marke alteingesessene Handwerksbetriebe übernommen und vor der Schliessung gerettet. Ateliers, in denen Federschmuck und Stoffblumen von Hand gefertigt werden oder kunstvolle Stickarbeiten entstehen.
Diesen Kurs behält Chanel bei: Trotz des herausfordernden Geschäftsjahrs 2024 erhöhte das Unternehmen seine Investitionen deutlich, um unter anderem die Integration der Lieferkette weiter auszubauen. Auch im Segment der Uhren wurde nicht nur in den vergangenen Jahren investiert: Die Uhrenherstellung findet seit Jahrzehnten in eigenen Ateliers in La Chaux-de-Fonds statt. 1993 übernahm Chanel die Schweizer Manufaktur G&F Châtelain, für die 1997 ein eigenes Gebäude errichtet wurde. Zudem ist das Unternehmen am Werkehersteller Kenissi beteiligt (dem Werkelieferanten von Tudor), an den Uhrenmarken Bell & Ross sowie F.P. Journe. 2024 übernahm Chanel ausserdem ein Viertel der Anteile an MB&F, ebenfalls einer Uhrenmarke.
Die Uhrengeschichte von Hermès
Mit solch langfristigem Engagement setzt sich die Uhrengeschichte von Hermès und Chanel fort, die fester Teil ihrer Historie ist. Bei Hermès gab es schon in den 1920er-Jahren eigene Uhren, die allerdings eher als modische Accessoires gesehen wurden. 1978 gründete Hermès La Montre Hermès in der Schweiz und entwickelte zunehmend Ehrgeiz in der Uhrenherstellung. Immer mehr Produktionsschritte wurden selbst in die Hand genommen. 2017 eröffnete Hermès die Ateliers d’Hermès Horloger in Le Noirmont in der Schweiz.
Hatte man bei Uhren wie der Arceau Le Temps Suspendu 2011, welche die Zeit anhalten liess, noch auf die Mitarbeit von Experten von aussen – in diesem Fall Jean-Marc Wiederrecht mit seiner Genfer Firma Agenhor – zurückgegriffen, stammen Entwicklungen wie die 2024 präsentierte Minutenrepetition Arceau Duc Attelé mittlerweile aus dem eigenen Haus.
Ein weiteres anspruchsvolles Highlight der vergangenen Jahre war 2022 die Weltzeituhr Hermès Arceau Le Temps Voyageur. Auch die Basiskollektion wurde etwa mit der sportlichen H08 im Jahr 2021 und der eleganten Hermès Cut 2023 weiter ausgebaut.
Zeit von Chanel
Chanel hat seit Jahrzehnten Erfahrung in Sachen Uhren und eine entsprechend ikonische Uhr im Angebot. 1987 stellte man das Modell Première mit einem achteckigen Gehäuse vor; ein Klassiker, der bis heute variiert wird. Im Jahr 2000 wurde dann die Chanel J12 nach dem Entwurf des Designers Jacques Helleu vorgestellt – ein Modell aus Keramik in unverkennbarem Look. 2015 folgte mit der Boy Friend Watch eine rechteckige Uhr in klassischerem Stil. 2016 präsentierte Chanel das erste eigene Manufakturkaliber, das Premiere im Modell Monsieur de Chanel hatte.
In Bezug auf diese Kollektionen ist sich Chanel überaus treu: Die Linien Première und J12 werden beständig weiterentwickelt und wurden auch 2025 um etliche Neuheiten erweitert. Etwa um die Première an einem doppelreihigen Armband, das dem geschmeidigen, mit Leder durchflochtenen Kettenband entspricht, an dem die begehrten Handtaschen von Chanel getragen werden. Und um die J12 in einem völlig neuen Farbton: in mitternachtsblauer Keramik – Bühne auch für Haute Horlogerie. Denn die Kollektion umfasst unter anderem Modelle mit Tourbillon.
Der Mut, anders zu sein
Wer mühelos die Haute Horlogerie beherrscht, kann bisweilen das Unernste wagen: Eine weitere Gemeinsamkeit von Chanel und Hermès ist, dass sie die Zeitmessung mit einem gewissen Augenzwinkern betrachten können.
Oder wie würden Sie eine Uhr mit einem Zifferblatt beschreiben, auf dem ein Pferd frech die Zunge herausstreckt, wenn ein Drücker auf der Gehäuseseite betätigt wird? Das ist das Werk von Hermès, präsentiert an der diesjährigen Watches and Wonders: die Hermès Arceau Rocabar de Rire mit einem Zifferblatt mit Intarsien aus Rosshaar, Gravuren und Miniaturmalerei, inspiriert von einem Motiv eines Hermès-Seidenschals.
Bei Chanel besinnt man sich immer wieder auf die Protagonistin der eigenen Geschichte, Coco Chanel. Sie taucht im Stil einer Comicfigur auf Uhren auf, winkt seit 2024 dank einer anspruchsvollen mechanischen Konstruktion vom Zifferblatt einer Armbanduhr oder trägt als 2025 vorgestellter charmanter Anhänger die Zeit unter ihrem Hut: Wird er angehoben, offenbart sich ein Zifferblatt. Die Welt von Coco Chanel findet sich immer wieder auf Zifferblättern: das Tweed ihrer legendären Jacken, ein Nadelkissen aus ihrem Atelier oder der Inhalt einer schönheitsbewussten Frau mit Lippenstift und Nagellack. Das ist gute Laune, wie man derzeit nur allzu gut brauchen kann. Bitte mehr davon!