Klar, die Zeichnung auf dem Zifferblatt der neuen Uhr von Hermès stellt eine Weltkarte dar, einen Globus, wie man ihn oft auf Weltzeituhren sieht. Wirklich klar?

Hermès wäre nicht Hermès, sähe man ganz nüchtern Pazifik, Atlantik, den Indischen Ozean und die Kontinente des blauen Planeten. Die Karte ist beim genaueren Hinsehen ein fröhliches Hirngespinst, eine «Planisphère d’un monde équestre» nämlich, eine Art imaginärer «Reiterplanet», geschaffen vom Künstler Jérôme Colliard zu einem Springanlass der Marke im Pariser Grand Palais. Das Original war 15 Meter gross, es gab davon auch ein Hermès-Seidencarrée, das im Archiv der Marke gefunden wurde. «Ein unglaublicher Glücksfall für uns», sagt Philippe Delhotal, Directeur création et développement bei La Montre Hermès.

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Das Imaginäre und das Reale

Hermès, man weiss es, sucht bei den Uhren seit je einen ganz eigenen Zugang: Man macht zwar Komplikationen – doch sie sollen nicht nur anspruchsvoll und nützlich sein, sondern vor allem auch «anders, einzigartig und originell». So lautet auch das Pflichtenheft für die neue Arceau Le Temps Voyageur, und mit diesem Ansatz begann Philippe Delhotal vor drei Jahren am Projekt für eine Weltzeit- oder GMT-Uhr zu arbeiten. Man wollte zwei Dinge verbinden: das Imaginäre und das Reale.

Das Ergebnis, jetzt am Grand Prix d’Horlogerie prämiert, lohnt einen genaueren Blick auf das Zifferblatt. Denn darauf passiert allerhand – die Weltzeit wird zum mechanischen Schauspiel.

Über der irrealen Karte – vereinfacht gesagt erzählt sie imaginär die universale Geschichte der Reiterei – dreht am Rande der Uhr wie ein Planet ein kleines Zifferblatt. Es zeigt ganz real die Uhrzeit an, und zwar die Zeit des Ortes, an dem man sich gerade befindet. Per Knopfdruck lässt sich der kleine Planet auf eine von 24 verschiedenen Positionen einstellen, immer gegenüber dem Namen einer Stadt am Höhenring der Uhr. Die Zeit der Zeitzone dieser Stadt wird dann auf dem kleinen Zifferblatt umgehend korrekt angezeigt. Kleines Augenzwinkern am Rande: Statt Paris steht zwischen London und Athen nur das Kürzel 24FBG, ein Hinweis an die Stammadresse von Hermès, die Rue du Faubourg 24 in Paris.

Bei aller Originalität haben wir es bei der Uhr auch mit einer echten Weltzeituhr zu tun, die sich ganz praktisch als Reiseuhr benutzen lässt. Denn neben der jeweiligen aktuellen Ortszeit, die zuerst auffällt, sieht man in einem sektorförmigen Ausschnitt bei 12 Uhr stets auch die Heimatzeit. Wird dort im Moment gerade 9 Uhr abends angezeigt, steht die Scheibe bei der Zahl 21, man weiss also klar, ob es zu Hause gerade Nacht oder Tag ist.

«Ausgangspunkt für das neue Stück», so Kreativchef Philippe Del-hotal, «war eine Hommage an die Geschichte von Hermès.» Es sollte deshalb ums Reisen gehen und um das Pferd. Beide Themen sind von jeher mit der 1837 gegründete Maison verbunden, die mit der Produktion von Pferdegeschirr, Zaumzeug und Sätteln begonnen hatte. «Uns schwebte ein Opus zwischen Pferd und Reisen vor», sagt Delhotal.

Hermès, muss man wissen, ist im Serail der Uhrenmarken ein Benjamin: Man verkauft zwar seit 1928 Uhren, erst 1978 wurde jedoch entschieden, selber in die Uhrmacherei einzusteigen und in Biel eine Uhrendivision aufzubauen. Die mechanischen Werke H1912 und H1837 gibt es seit 2012.

Weisses Zifferblatt der Arceau Le Temps Voyageur

Das Damenmodell der Arceau Le Temps Voyageur mit weissem Zifferblatt.

Quelle: ZVG

Klar, so Philippe Delhotal, war für die Marke, dass sie als Newcomer nicht mit der x-ten Minutenrepetition oder dem x-ten Ewigen Kalender punkten könnte – dafür stehen traditionelle Namen mit langer Geschichte, die das bestens können. Konsequent beackerte man darum ein neues Terrain: «La montre singulière», deutsch: die singuläre oder einzigartige Uhr. Kernpunkt sind verspielte und oft witzige Komplikationen mit eigenwilligen, mitunter verrückten Anzeigen. Nach Arceau Le Temps Suspendu (2011), Dressage L’Heure Masquée (2015) oder Slim d’Hermès L’Heure Impatiente (2017) war das letzte Modell die Mondphasen-Uhr Arceau L’Heure de la Lune. Sie zeigte auf zwei drehenden Zifferblatt-Satelliten Uhrzeit und Datum an, die Satelliten lassen gleichzeitig beim Drehen den Mond auf dem Zifferblatt auf- oder untergehen.

Die Uhr war ein durchschlagender Erfolg, sie gefiel, wurde am Genfer Grand Prix d’Horlogerie ausgezeichnet und mehrere hundert Mal verkauft. Technisch hatte Hermès dafür auf die Dienste der Spezialisten von Chronode in Le Locle gezählt, und bei Jean-François Mojon von Chronode klopfte Philippe Delhotal für das jüngste Projekt wieder an. Klar war, dass eine Lösung mit Satellit auf dem Zifferblatt wieder hochwillkommen wäre.

Er liebe es, für Hermès zu arbeiten, sagt Jean-François Mojon, denn gefragt seien wirklich kreative Lösungen. Einfach aber sei das meistens nicht, und im Fall der neusten Uhr gab es ein paar Knacknüsse zu lösen.

Erstens die Ästhetik: Technik habe bei Hermès diskret hinter den Stil der Uhr zu treten, sie stehe im Dienst der Anzeige. «Es kommt also nicht in Frage, dass man ein Zahnrad oder eine Schraube sieht», sagt Mojon. Und bei technisch komplexen Lösungen sei das nicht immer einfach.

Zweites die Stabilität: Grosse bewegliche Teile wie der Satellit können sehr empfindlich auf Stösse oder Erschütterungen reagieren. Das müsse stabilisiert und ausreichend robust gemacht werden: einerseits gegen kleinere Erschütterungen, die vielleicht die Anzeige verschieben könnten, anderseits – mit anderen Massnahmen – gegen gröbere Stösse mit fataleren Folgen.

Drittens die kleine Grösse: Die Uhr gibt es in zwei verschiedenen Gehäusen, mit 38 oder 41 Millimetern Durchmesser, das Werk darin ist identisch, bis auf eine verschieden grosse Scheibe zur Anzeige der Heimatzeit. Man musste also viel Mechanik auf wenig Platz unterbringen: Allein für das Modul braucht es 122 Komponenten, sie bauen zusammen gerade 4,4 Millimeter hoch. Als eigentlicher Motor dient das mechanische Manufakturwerk Hermès H1837 mit automatischem Aufzug.

Eben wurde noch ein drittes Modell präsentiert – auch im 38-Millimeter-Stahgehäuse, diesmal aber mit einem beweglichen Zähler aus Perlmutt und 78 Diamanten auf dem Gehäuse. Die potenzielle Kundschaft ist klar: «Wir wollten damit auch etwas Feminineres anbieten», sagt Philippe Delhotal.

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