Herr Müller, wie lautet Ihre aktuelle Diagnose für die Uhrenbranche? 

Die neusten Zahlen des Verbands der Schweizerischen Uhrenindustrie (FH) zeigen, dass 2023 einmal mehr ein Rekordjahr mit über sieben Prozent Wachstum und einem historischen Höchstwert von 26,7 Milliarden Franken und 25,5 Milliarden exportierten Armbanduhren war. 

Können Sie die grosse Zahl etwas aufschlüsseln?

Ich bin gerade dabei, die Zahlen für den alljährlichen Morgan-Stanley-Report zur Uhrenindustrie aufzubereiten, und kann daher nicht in die Details gehen. Was ich sagen kann: Einmal mehr haben nur einige wenige Marken zum Wachstum beigetragen. Dann gab es einige Marken – und es sind nicht die kleinsten –, die weniger als der Markt wuchsen, einzelne sind gar nicht gewachsen, und es gab welche, die Umsatz verloren. 

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Mit seinem Know-how und Know-who ist Oliver Müller Co-Autor des Reports über die Schweizer Uhrenbranche, den die Investmentbank Morgan Stanley immer im März publiziert. Stets am Puls der Branche steht er im jeweils letzten BILANZ-Watches-Newsletter des Monats Rede und Antwort.

Das ist immer noch sehr allgemein. Geht es auch etwas konkreter?

Zwei Drittel des Mengenwachstums auf 16,9 Millionen Uhren (+7,2 Prozent im Jahresvergleich) kommen aus dem Einstiegssegment mit der MoonSwatch. Sie wurde letztes Jahr mehr als zwei Millionen Mal verkauft, auch Tissot verkaufte dank der PRX sehr gut. Das Umsatzplus in Franken von 7,7 Prozent stammt dagegen zu mehr als zwei Dritteln von Luxusuhren, also von Zeitmessern mit einem Verkaufspreis von über 25’000 Franken – also von ganz wenigen Marken. 


Das heisst, das Geschäft brummt am oberen und am unteren Preisband. Und sonst?

Die Polarisierung des Marktes, die wir seit 2018 mit Morgan Stanley feststellen, wird sich weiter verstärken. Im Luxussegment dominieren die Top 4, Rolex, Audemars Piguet, Patek Philippe und Richard Mille, und einige wenige andere, wie Vacheron Constantin, wachsen überproportional. Darum herum gibt es die «Independents» wie H. Moser, F.P. Journe oder MB&F, um nur einige zu nennen, die weiterhin wachsen, aber gegenüber dem Gesamtmarkt nominal unbedeutend sind. 


Noch! Das könnte sich ja durchaus ändern … 

… von 100 neu lancierten Marken überleben fünf. Pro Jahrzehnt erreicht eine einzige Marke eine bedeutende Grösse.
 

Aktuell hat man den Eindruck, dass die Stimmung in der Uhrenbranche bedrückt ist. Zu Recht? 

Dieses Jahr wird für die Branche einiges anstrengender und komplizierter. Ich prognostiziere ein Minus von etwa fünf Prozent bei den Exporten. Das würde uns immer noch über 2022 setzen, das ein Rekordjahr war vor dem tollen Ergebnis von 2023. Ein grosser Challenge sind die Wechselkurse. Die helfen gerade keinem, der in der Schweiz produziert. Dazu kommt die allgemeine Konsumflaute. Bei Audemars Piguet, Patek Philippe und Rolex werden die Wartelisten kürzer, was sich auch in der Entwicklung der Preise auf dem Sekundärmarkt niederschlägt. 
 

Was heisst das konkret?

Der Markt normalisiert sich langsam wieder. Wir hatten wegen Spekulationen in den letzten drei, vier Jahren keinen richtigen Abnehmermarkt mehr. Nun kommen Angebot und Nachfrage wieder auf das Verhältnis zurück, das wir zwischen 2000 und 2019 hatten. In den zwei Dekaden ist die Branche pro Jahr im Schnitt um 4,2 Prozent gewachsen. Das erscheint vielleicht bescheiden, ist es aber nicht, wenn man bedenkt, wie Krisen und Konjunkturflauten unser Geschäft tangieren. Eine langfristig vernünftige Wachstumsrate – und nicht die zweistelligen Raten 2021 und 2022 – sollten die neue Normalität werden und gewährleisten, dass wir ein gesundes Geschäft betreiben.
 

Was erwarten Sie bezüglich des chinesischen Marktes? 

Die Chinesen kaufen heute mehrheitlich in China und in Japan, wohin sie vorzugsweise reisen. Das hat einen Rieseneffekt auf den konsolidierten Umsatz der Marken, weil wir in Schweizer Franken produzieren und dort in Renminbi und Yen verkaufen. Wenn die Währungen schwächeln, sind Marken mit starker Verankerung im chinesischen Markt extrem betroffen. 
 

Gegen Wechselkursschwankungen gibt es Preiserhöhungen. 

Aktuell müsste man die Preise mehr als einmal im Jahr anpassen. Für die lokalen Kunden werden die Uhren damit immer teurer, während ihr Einkommen gleich bleibt. Das ist ein massives Problem. Man hackt immer wieder auf den Marken herum, die ständig die Preise hochsetzen, was bei vielen auch wirklich aus dem Ruder gelaufen ist. Es gibt aber auch die vernünftigen Marken, die aufpassen, dass ihre Kunden die Preisanpassungen nicht als «Pricing Power»-Strategie wahrnehmen. 
 

Sie meinen, es hätte eigentlich genug Luft in den Margen, um nicht sofort an der Preisschraube zu drehen, wenn sich die Paritäten ändern?  

Die «goldene Regel» besagt, dass der Faktor zwischen Cost of Good und Verkaufspreis fünf sein muss. Es gibt Marken, die mit einem Faktor von acht oder zehn arbeiten. Da kann man schon sagen, dass die komfortabel leben. Wenn man allerdings die ganzen Marketingkosten davon abrechnet für Präsenz, Animation, Werbung, bleibt ein Ebit, das gut, aber nicht sensationell ist. Nur wenige schaffen über 35 Prozent, viele nur knapp 20 Prozent. 
 

Wie viel von einem Umsatzfranken wird vom Marketing verschlungen?  

Als Richtwert gelten 15 Prozent. Aber es gibt bei den Marken grosse Unterschiede. Breitling, Rolex oder TAG Heuer etwa sind sehr stark marketinggetrieben und investieren in Marketingaktivitäten, die man mit Zusatzinvestitionen bekannt machen muss. 
 

Wie hoch sind diese?

Auch hier gibt es eine Faustregel: Wenn man zehn Millionen in ein Tennisturnier investiert, dann muss man nochmals so viel Geld ausgeben, damit die Leute überhaupt wissen, dass man das macht. Man sagt, dass für jeden investierten Franken im Sponsoring nochmals ein Franken in die Kommunikation ausgegeben werden muss. Das ist die 1+1=3-Regel, die dafür steht, dass man auch kommunizieren muss, was und warum die Marke in einem bestimmten Gebiet investiert.
 

Was erwarten Sie an Uhrenneuheiten für 2024?

Viele Marken werden auf Bewährtes setzen, wie immer, wenn es kriselt. Die Hauptherausforderung der Uhrenmarken wird sein, dass sie weiterhin glaubhaft machen können, dass ein Uhrenkauf eine langfristige Investition ist. Die Uhrenindustrie hat es in den letzten Jahren geschafft, wieder jüngere Kunden anzulocken und mit ihnen ins Geschäft zu kommen. Die Jungen schauen die Uhren als tolles Accessoire an, Vintage ganz besonders. Aber wie lange dauert dies an? Ich weiss es nicht.

Iris Kuhn Spogat
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