Herr Müller, Sie fühlen den Puls der Uhrenbranche. Wie geht es ihr gerade? 

Sie normalisiert sich. Die meisten Marken erleben die Rückkehr zur Normalität als «Soft Landing», gewisse landen ein bisschen härter. Allgemein stelle ich eine Risikoscheu fest. Wir gehen durch eine Periode, die viel Unsicherheit mit sich bringt und vielen Leuten den Spass am Konsumieren verdirbt. Die Schweizer Uhrenindustrie hat mehr mit konjunkturellen Problemen zu tun als mit strukturellen. Darum: Wer stetig und auf langfristige Ziele hinarbeitet, kann der Zukunft zuversichtlich entgegenschauen.  

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Das heisst? 

Markenpflege ist wichtiger als spektakuläre Produkte. Der Kunde einer Marke will verstehen, wohin die Reise geht. 

Wie wärs mit mehr Innovation, um das Wachstum anzukurbeln? 

Wir sind sicher nicht die innovativste Industrie, und das liegt in der Natur der Sache: Disruptive Technologien in einer Low-Tech-Industrie sind eher selten. Aber pauschal zu sagen, dass nicht innoviert werde, ist auch nicht richtig, denn Innovationen finden regelmässig mit neuen Materialien und Herstellungsprozessen statt. Traditionelle Uhrmacherei ist eher vergleichbar mit Finetuning von winzigen Details, die oft nicht sichtbar sind für den Kunden.

Was man nicht weiss, macht einen nicht heiss. Auch das Gegenteil ist wahr, wie das Geschehen im Auktionsgeschäft wieder einmal belegt. Was war für Sie der Höhepunkt? 

Man hat gesehen, dass nur Rares und Seltenes weiterhin zu sehr hohen Preisen verkauft werden kann. Allgemein sind die Preise gesunken, aber nicht für rare Uhren aus anderen Zeiten oder von zeitgenössischen Uhrmachern, die oft nur ein paar Dutzend pro Jahr herstellen. Man darf sich freuen, dass Only Watch solche Wahnsinnspreise für gewisse Ausnahmekreationen ermöglicht hat, und das für einen guten Zweck. 
 

Bei der Only-Watch-Auktion war die Uhr von Rexhep Rexhepi die grosse Überraschung: Sie hat 20-mal mehr eingespielt als veranschlagt. Bei der Patek ist der Faktor «nur» 10. Ihr Kommentar?

Persönlich freue ich mich sehr darüber, denn ich habe Rexhep 2017/18 beim Neustart seiner Marke beraten (die Marke wurde 2012 lanciert). Eigentlich waren alle Ingredienzien da, nur das Rezept stimmte nicht. Ich habe ihm von Anfang gesagt, dass er bald «der neue F.-P. Journe» sein werde. 


Woran machen Sie das fest?

Er hat Talent, Charisma und ein Verständnis der Psyche seiner potenziellen Kunden, die ihm es ermöglicht haben, so schnell ein Shootingstar zu werden. An der Only-Watch-Auktion hat er F.-P. Journe sogar überholt, und das soll was heissen. 


Die Hälfte des Auktionsergebnisses hat eine Patek Philippe eingespielt. Überrascht?

Nein, zumal es sich dabei um ein Einzelstück gehandelt hat. Zudem: Wenn Sie mich fragen, ob die 15,7 Millionen Franken für eine Patek Philippe das bessere Investment sind als die 2,1 Millionen Franken für Rexheps Uhr, wage ich zu behaupten, dass Sie mit der Ersteren ein geringeres Risiko eingehen betreffend Werterhalt. Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass Auktionen von wenigen grossen Spielern «manipuliert» werden, um den Markt glauben zu lassen, dass man viel Geld in kurzer Zeit verdienen kann. Das ist wie bei der Gegenwartskunst, da ist höchste Vorsicht geboten. 
 

Als Nächstes versteigert Silvester Stallone seine superseltene Patek – verpackt, unbenutzt – und macht den Deal seines Lebens. Ihr Kommentar?

Peinlich. Zweifach. Erstens finde ich es höchst peinlich, dass man eine solche Uhr überhaupt flippen kann. Will heissen, dass Sylvester Stallone das Stück nur zu spekulativen Zwecken gekauft hat, um es später nach ein paar Jahren im Tresor mit – wahrscheinlich – maximalem Gewinn wieder zu verkaufen. Eigentlich verbietet Patek Philippe solche Manöver und ist extrem vorsichtig beim Verkauf solcher seltenen Stücke. Zweitens finde ich es höchst peinlich, dass ein Hollywoodstar das nicht für einen guten Zweck macht, sondern für sich. Obwohl Stallone nicht gerade als das grosse Schauspiel- oder Boxtalent gilt, hat er doch genügend Geld verdient, um nicht als Profiteur rüberzukommen. Das umso mehr, als gewisse Uhren, die er jetzt verkauft, Geschenke waren.


Sie sagen, Patek Philippe verbiete solche Kapriolen. Verhindern lassen sie sich offenbar nicht.

Patek Philippe sollte mal bei Ferrari nachfragen, wie man es fertigbringt, dass niemand kauft, um zu spekulieren. Bei Ferrari käme man ad vitam aeternam auf eine schwarze Liste, wenn man ein seltenes Stück sofort wieder verkaufen würde. Und das kreiert einen Mythos, und der wird von der Börse honoriert. Schauen Sie sich die Bewertung von Ferrari an, das sagt alles.
 

Iris Kuhn Spogat
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