Im Februar 2024 sind die Zahlen in der FH-Exportstatistik erstmals seit zwei Jahren negativ. Was ist los?

Normalität kehrt zurück. Wir werden nicht mehr die Wachstumszahlen haben wie in den drei Jahren nach Covid. Und der chinesische Markt – der zweitwichtigste nach den USA – wird nicht mehr so stark wachsen wie in den Jahren vor Covid. Dazu kommt eine sehr ungünstige globale makroökonomische Situation.
 

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Ein Trend oder ein Knick? 

Ich sehe für die Uhrenindustrie nach wie vor ein Riesenpotenzial, insbesondere für das mittlere Preissegment. In Märkten wie Indien ist die Mittelklasse stark am Wachsen, die konventionelle Uhren zu einem vernünftigen Preis kaufen möchte. Für Marken wie Longines, Tissot, Frédérique Constant oder Raymond Weil entsteht da ein interessanter Wachstumsmarkt.


Wie lange wird es gehen, bis das anzieht?

Das ist bereits im Tun. Grundsätzlich ist es so, dass die Zyklen, nach oben und nach unten, immer kürzer und die Schwankungen heftiger werden. Hat früher ein Aufwärtstrend zehn Jahre gedauert – mit vernünftigen jährlichen Wachstumsraten –, dauert er heute drei, maximal vier Jahre und wird dann von zwei weniger guten Jahren wieder abgelöst.
 

Welche Marken und Preisklassen ziehen gemäss Ihrer Einschätzung nach unten?

Am meisten tangiert ist momentan das Premiumsegment, also Uhren mit einem Endverkaufspreis zwischen 4000 und 10’000 Franken, wobei in dem Preisband freilich nicht alle Marken gleich stark betroffen sind. Aber dieses Segment ist wichtig für die Schweizer Uhrenindustrie, weil es immerhin etwa zehn Prozent des Volumens ausmacht.
 

Die Uhrenhersteller sind ja nur das letzte Glied in einer langen Wertschöpfungskette aus zahllosen Zulieferern. Was bedeutet das Minus für sie? 

Kennen Sie das «Bullwhip»-Modell? Es besagt, dass Marktschwankungen umso heftiger wirken, je weiter man die Wertschöpfungskette zurückverfolgt. Um konkret zu sein: Ein Minus von fünf Prozent auf den Verkäufen an die Endkonsumenten kann ein Minus von bis zu 40 Prozent für Hersteller von Rohlingen bedeuten. 


Warum?

Das ist wie ein Auffahrunfall auf der Autobahn: Der Erste bremst sanft, weil er denkt, dass das Auto vor ihm abgebremst hat. Aber der Zehnte hintendran muss heftig aufs Pedal drücken und wird trotzdem in das Auto vor ihm knallen. In der Uhrenindustrie ist es so: Zulieferer werden in der Regel erst informiert, wenn das Geschäft bereits ins Stottern geraten ist. Wer gibt schon gern zu, die Zukunft überschätzt zu haben? Deshalb werden zuerst einmal die Lager erhöht – siehe Swatch Group. 
 

Sie haben an dieser Stelle vor einem Monat ein Minus von fünf Prozent prognostiziert. Zur Rekapitulation: Was waren Ihre Indizien?

Eine instabile weltweite Wirtschaftslage als Konsequenz zweier Kriege, eine andauernde Fehde zwischen den USA und China. Konsum basiert zu einem grossen Teil auf psychologischen Faktoren, insbesondere im Luxussegment. Denn wer braucht schon eine neue Uhr? 
Unter den Top 50, die wir kürzlich mit Morgan Stanley präsentiert haben, haben 25 Marken zugelegt, die Hälfte davon um weniger als fünf Prozent, zehn waren «flatish», und 15 haben Umsatz verloren.

Ist der Zeitpunkt gekommen, in Uhren zu investieren, oder soll man noch warten?

Nach dem Abflauen der Spekulationsphase, die ab März 2022 eingesetzt und gewissen Uhrenreferenzen ein Minus von 40 Prozent beschert hat, scheint es so zu sein, dass der Markt wieder leicht anzieht. Ich persönlich hoffe ja, Uhren werden nicht wieder als Spekulationsobjekte erworben und in Tresoren gebunkert. Und drum, wenn Sie mich schon fragen: Ich rate allen, die Uhr zu kaufen, die ihm oder ihr gefällt – und sie auch zu tragen.
 

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