Herr Emch, bevor Sie vor vier Jahren die Leitung von Louis Erard übernahmen, hatte das Unternehmen ein Jahrzehnt lang immer wieder Verluste eingefahren und nach Luft geschnappt. Wie weit sind Sie heute mit dem Wiederaufbau?

Wir haben die erste Stufe erreicht: Louis Erard ist zu einer begehrenswerten Marke geworden, der man folgt. Sie strahlt eine eigene Atmosphäre aus, hat eine Gemeinschaft von Fans und einen Platz auf dem zweiten Markt – wo manche Uhren ein Vielfaches des Neupreises kosten, was in unserem Preissegment ungewöhnlich ist.

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Wie schlägt sich diese Stufe in Zahlen nieder?

Ich gebe keine Umsatzzahlen bekannt. Aber ich kann Ihnen sagen, dass der Turnaround spektakulär ist und meine Erwartungen übertrifft. Das Jahresvolumen hat die 4000er-Marke überschritten: Dieses Jahr werden wir bei 4500 Uhren landen. Von diesen 4500 Uhren werden ein Drittel direkt verkauft, zwei Drittel über das Vertriebsnetz.

Beginnen wir mit dem Vertrieb: Wo haben Sie angesetzt, und wie sieht das aktuelle Vertriebsnetz aus?

Der Vertrieb wurde von Grund auf neu formatiert. Als ich anfing, verfügte die Marke über fast 300 überwiegend periphere Verkaufsstellen. Heute arbeiten wir mit weniger als 50 Partnern und fast 80 Verkaufsstellen, ausschliesslich Triple-A-Geschäften [darunter Seddiqi und The Hour Glass, Anm. d. Red.]. Wir sind da jeweils systematisch und bei Weitem die günstigste Marke im Sortiment. Kurz gesagt, wir haben von Quantität auf Qualität umgestellt.

Manuel Emch leitet die Uhrenmarke Louis Erard seit vier Jahren.

Manuel Emch leitet die Uhrenmarke Louis Erard seit vier Jahren.

Quelle: ZVG

Ein konkretes Beispiel?

In der Schweiz hatte Louis Erard bis zu 170 Verkaufsstellen. Als ich ankam, waren es 80, heute sind es noch fünf, aber wir sind profitabler. Vor allem, wenn man die Onlineverkäufe in der Schweiz hinzurechnet.

Der Onlineverkauf nimmt eine zentrale Rolle ein?

Der Onlineverkauf ist entscheidend: Er macht ein Drittel der Stückzahlen, aber 50 Prozent des Umsatzes aus. Wir sind nur dank des Onlineverkaufs finanziell selbsttragend.

Also keine Expansionsstrategie mit mehr der Filialen?

Nein, wir haben keinen Bedarf, mehr Filialen zu eröffnen. Umso weniger, als der Onlineverkauf unser Barometer ist: Wenn ich sehe, dass der Markt schrumpft, erhöhe ich das Tempo der Lancierungen.

Und was sagt das Barometer im Moment?

Der Horizont ist frei. Wir haben das Budget für das Jahr Ende August gedeckt. Das Wichtigste ist, dass ich die Kontrolle über die Marke habe, ich kenne die Kunden, und das ermöglicht es mir, mit den besten Partnern auf dem Markt zu arbeiten.

Was also ist das Ziel: Wachstum durch Volumen?

Das könnten wir tun. Aber das Ziel ist heute nicht, mehr Uhren zu produzieren. Das haben wir nicht nötig.

Was ist denn die Strategie?

Ich sehe die Marke eher wie ein Gummiband, das man spannen und dann wieder lockern muss.

Ein hübsches Bild, aber was bedeutet es?

Für unsere letzte Zusammenarbeit mit Konstantin Chaykin [unabhängiger russischer Uhrmacher und Mitglied der Académie Horlogère des Créateurs Indépendants (AHCI), Anm. d. Red.] erhielten wir beispielsweise fast 5000 Anfragen [für die Produktion von zwei Versionen mit je 178 Exemplaren, Anm. d. Red.]. Wenn wir an unserer Linie festhalten und die Produktion auf eine limitierte Auflage beschränken, selbst wenn wir nicht alle Anfragen beantworten können, zieht die Marke.

Werden diese freiwilligen Einschränkungen richtig verstanden? Auch intern?

Ich kann sagen, dass dies der Fall ist, zumal das Unternehmen sehr profitabel ist.

Können Sie das näher erläutern?

Ich kann Ihnen sagen, dass unsere operative Marge auf dem Niveau vieler grosser Marken liegt oder diese sogar übertrifft. Was ich Ihnen auch sagen kann, ist, dass Louis Erard zwischen 2012 und 2020 mehr als zehn Millionen Franken Verlust gemacht hatte und dass wir eindeutig in die Gewinnzone zurückgekehrt sind.

Und das ohne Kapitalerhöhung?

In der Tat. Unsere einzige Stütze war ein Covid-Darlehen.

Auf welchen Hebel haben Sie sich verlassen?

Alles hängt von der Produktstrategie ab.

Und wenn man die in wenigen Worten zusammenfassen müsste?

Wir haben ein Preisangebot in ein Wertangebot umgewandelt.

Seitdem die Marke unter Ihrer Leitung steht, hat sich die Preispositionierung stark verändert?

Wir bieten nichts mehr unter 2000 Franken an.

Während die Marke früher Angebote weit unter 1000 Franken hatte.

Das ist keine willkürliche Entscheidung: Ich kann nicht unter 2000 Franken gehen, nicht einmal bei der einfachsten Uhr, nicht in unseren Mengen und nicht mit den qualitativen Kriterien, die wir anstreben.

Qualitative Kriterien?

Meine Benchmark liegt bei 80 Prozent Swiss Made. Die Armbänder werden in Europa hergestellt. Nur die Zeiger, die Schnallen und die Verpackungen kommen aus Asien, hauptsächlich wegen fehlender Kapazitäten hier.

Abgesehen davon scheint es für einen Uhrenhersteller elementar zu sein, das Produkt in den Mittelpunkt der Strategie zu stellen. Inwiefern ist das bei Louis Erard besonders?

Das ist entscheidend. Ich sehe es jeden Tag: Die Aufmerksamkeit, die wir dem Produkt widmen, überträgt sich auf das gesamte Unternehmen, das profitabel und gesund ist und einen super Cashflow erwirtschaftet. Die Konzentration auf das Produkt hat es uns auch ermöglicht, den Vertrieb völlig neu zu gestalten. Und der Vertrieb heisst für eine Marke wie die unsere nicht nur Verkauf, sondern auch Kommunikation.

Die positiven Auswirkungen sind offensichtlich, aber das Unternehmen bleibt bescheiden.

Leistung ist eine Frage des Gleichgewichts. Unser Geschäftsmodell ist perfekt zwischen Online und Offline ausbalanciert, was uns erlaubt, das richtige Tempo zu finden. Leistung bedeutet, ein Produkt-Volumen-Preis-Verhältnis zu halten, das der Struktur angemessen ist. Und heute reicht unsere Struktur mit zwölf Personen aus, um unsere 50 Partner und alle anderen Geschäfte zu verwalten.

Kadenzieren, nennen Sie das. Sie verwenden diesen Begriff immer wieder. Was genau meinen Sie damit?

Der zentrale Punkt ist die Kontrolle über den Rhythmus der Markteinführungen. Wir führen pro Jahr zwischen sechs und zehn Lancierungen durch. Und ich bin stolz darauf, dass wir bereits 50 Projekte in der Pipeline haben, die für mehrere Jahre reichen.

50 Projekte in der Pipeline – ist das nicht übertrieben? Was macht Sie so sicher, dass Sie die Erwartungen des Marktes so gut einschätzen können?

Ein neues Produkt ist immer ein Wagnis, aber die Pipeline ist von grundlegender Bedeutung. Darauf habe ich mich in den letzten vier Jahren konzentriert. Jetzt habe ich den Kopf frei, um mit einer breiteren Perspektive in die Zukunft zu blicken.

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Sie haben sich auf dem speziellen Feld der Kollaborationen einen Namen gemacht, indem Sie Namen wie Alain Silberstein, Vianney Halter oder kürzlich Konstantin Chaykin breiter zugänglich machten. Ein Erfolgsrezept?

Kooperationen spielen eine wichtige Rolle, aber sie sind nicht unser einziger Ausdrucksbereich. Auch das Kunsthandwerk ist sehr präsent. Wir haben bereits einige Kunsthandwerk-Aktivitäten erforscht, wie Guillochierung, Email Grand Feu oder Intarsien, weitere haben wir in Aussicht. Und wir werden auch bei den Signatur-Werken ankommen. Wir werden im Herbst ein Tourbillon vorstellen, und ich plane, an historischen Kalibern zu arbeiten. Die Überlegungen zu den Kollektionen hören hier übrigens noch nicht auf. Im Moment konzentrieren wir uns auf unsere klassischen Linien, aber es gibt noch eine ganze Palette von Sportuhren, die wir noch nicht angegangen haben.

Das mag stimmen, aber die meisten Uhren, von denen Sie sprechen, sind limitierte Serien, Drops. Haben Sie nicht Angst, dass es langweilig wird, wenn Sie diese Art von Operation immer wiederholen?

Das Produkt wird stets im Mittelpunkt bleiben, aber das Endziel ist die Entwicklung der Marke. Unser Image wächst mit den Sondereditionen, und jede Neuheit profitiert von dieser positiven Stimmung. Ein Zeichen dafür, dass es ein echtes Potenzial für das gibt, was aufgebaut wurde, ist, dass ich die ersten konkreten Übernahmeangebote erhalte.

Und Sie stehen zum Verkauf?

Ich nicht.

Bisher haben Sie die erste Stufe beschrieben, ohne die nächste zu erwähnen – ausser, dass Sie weder durch das Volumen noch durch mehr Verkaufspunkte wachsen wollen. Streben Sie überhaupt nach Wachstum?

Ich möchte bei den Uhren vor allem in dieser Logik bleiben: «Gekauft werden» und nicht «verkaufen müssen». Im Idealfall möchte ich nicht mehr als 100 Verkaufsstellen haben, und in den nächsten zwei Jahren plane ich nicht, das Volumen zu erhöhen. Im Übrigen haben wir keinen Mengenzwang. In Wirklichkeit ist das unsere Besonderheit, wir verfolgen die Strategie eines unabhängigen Uhrenherstellers, dessen Angebot jedoch nicht begrenzt ist.

Sie haben unsere Frage immer noch nicht geantwortet: Wachstum oder nicht?

Das ist eine grosse Frage. Sowohl eine wirtschaftliche als auch eine philosophische. Wachstum hat viele Vorteile – und viele Nachteile. Ich bin mir zu diesem Zeitpunkt da noch nicht sicher.

Was ist mit Ihrem Karriereplan: Wollen Sie sich nach Jaquet Droz, deren Leitung Sie mit 29 Jahren übernahmen, sowie Romain Jerome einen dritten Stern auf die Brust heften?

Karriereplan? Heute habe ich eher das Image eines Machers mit einem Hauch von Ikonoklasmus. Ich bin eine Kuriosität in der Branche. Was mich wirklich fasziniert, ist das Schaffen, Entwickeln und Aufbauen von Marken. Mit Louis Erard konnte ich die Rolle des Auslösers übernehmen und zeigen, dass es möglich ist, in einem Preissegment, in dem nicht viel Interessantes passiert, etwas aufzubauen, das frisch und sexy ist.