Raynald Aeschlimann ist Chef von Omega und damit der wichtigsten und grössten Marke der Swatch Group. Zum Interview erscheint er in einem dunkelblauen Anzug von Dior und in Hochstimmung. Er hat Omega nun offenbar da, wo er die Marke haben wollte. 2022 war sein Spitzenjahr – was nicht allein sein Verdienst ist.

Herr Aeschlimann, es heisst, der Bestelleingang bei der Speedmaster Moonwatch habe sich dank der MoonSwatch verdoppelt. Wahr?

Wahr. Die MoonSwatch ist und war kommerziell ein Riesenerfolg – für Swatch wie für Omega. Das war by the way gar nicht das Ziel.

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Sondern?

Wir wollten etwas Überraschendes machen, etwas Zeitgeistiges und vor allem etwas, von dem letztlich beide Marken profitieren. Ist gelungen. So geht Win-win. 

Und jetzt wird die Zitrone ausgepresst.

Ach, warum gleich so negativ? Die MoonSwatch mit dem goldenen Sekundenzeiger war doch einfach eine weitere kreative Möglichkeit, in der Leidenschaft der Leute zu bleiben.

Es war im Vorfeld spekuliert worden, dass es eine MoonSwatch aus Gold geben könnte. Wäre das eine Spielart?

Es muss eine Swatch sein. Das entspräche deshalb nicht dem Konzept.

Können Sie da mitreden?

Diese Art der Zusammenarbeit war für die Gruppe etwas Neues. Es war von Anfang an klar, dass wir die Kollaboration mit viel Respekt gegenüber den beiden Marken machen. Was hingegen nicht neu ist: Jede Marke arbeitet für sich, aber auch alle zusammen.

Das klingt leicht paradox.

Die Konzernleitung (KL) kümmert sich um alle Marken. Die Vorgabe von Konzern-CEO Nick Hayek an die einzelnen Marken lautet aber ganz klar: Jede braucht eine eigene Vision, eine eigene Strategie und eigene Leute. Investoren hätten lieber einen einzigen Marketingchef statt je einen bei jeder Marke. Ich aber schätze es sehr, dass jede ihr Ding einzeln durchziehen kann, ohne damit anderen etwas wegzunehmen. Das führt in anderen Gruppen gern zu politischen Ränkespielen und Neidereien.

Das gibt es bei der Swatch Group nicht?

Jede Marke geht ihren Weg. Beispiel Shops in Zürich: Paradeplatz Harry Winston, Blancpain. Dann kommt Breguet, dann Omega und dann Swatch und Tissot. Longines und Mido aber sind nicht da. Warum? Weil Retail in Europa für sie kein Thema ist, weil sie ganz anders aufgestellt und mit der Kundschaft verlinkt sind.

Also kein Neid. Auch nicht auf Sie, den einzigen Marken-CEO, der es in die KL geschafft hat?

Ich glaube nicht. Der CEO und die Verwaltungsratspräsidentin interessieren sich für jede Marke sehr. Und in der erweiterten KL sitzen zudem auch noch die Lenker von Longines und Tissot. Zudem muss jeder in der KL zusätzlich Verantwortung übernehmen. Ich bin zum Beispiel seit bald 15 Jahren zuständig für Swatch Group Indien. Was übrigens sehr gut läuft, insbesondere für Rado ist das einer der Top-3-Märkte.

Raynald Aeschlimann, CEO Omega

Raynald Aeschlimann hat sein ganzes Berufsleben bei Omega absolviert. Seit sieben Jahren ist er der Boss der grössten Marke der Swatch Group.

Quelle: Fred Merz/Lundi13 für BILANZ

Sie haben das Jahr 2023 mit der Speedmaster Super Racing eröffnet. Das Besondere an ihr steckt im Uhrwerk, heisst «Spirate» und hat zehn Jahre Entwicklungs- und Forschungsarbeit gebraucht.

Crazy, nicht wahr? So etwas gibt es nur in unserer Gruppe. Haben wir eine Vision und Argumente, können wir zur Umsetzung auf die immense interne Expertise zugreifen. In die Entwicklung von «Spirate» waren zehn verschiedene Unternehmen aus der Gruppe involviert.

Die neue Feder garantiert eine Ganggenauigkeit von 0 bis +2 Sekunden pro Tag. Neuer Bestwert. Für wen ist das wichtig?

Bei Uhren geht es um Emotionen, und es geht um Präzision. Die Leute schätzen es sehr, dass wir der Ganggenauigkeit so viel Aufmerksamkeit schenken. Eine Omega ist nicht einfach ein Accessoire. Die Kunden interessieren sich nicht nur fürs Äussere, sondern wollen auch wissen, was drinsteckt. Sie erwarten von uns Fortschritt, und dem fühlen wir uns verpflichtet. Innovation ist einer der grössten Treiber unseres Erfolgs.

Und wer ist der Treiber der Innovation?

Sie ist heute ein Teil unseres Selbstverständnisses, und zwar auf der ganzen Linie. Wir waren vor 20 Jahren die erste Uhrenmarke, die an der Bahnhofstrasse eine eigene Boutique eröffnete. Davor waren wir reine Wholesaler, und ich hatte bei Beyer, Bucherer und Gübelin Produkte präsentiert. Den Vorteil eigener Läden erkannten wir rasch: direkter Kundenkontakt. Dadurch realisierten wir auch, dass es ein sehr grosses Interesse an den inneren Werten der Uhr gibt.

Und was ist für Sie das A und O?

Mir geht es ums Produkt. Bevor ich hier anfing, war ich in St. Gallen an meiner Doktorarbeit im Bereich Finance. Mittendrin entschied ich, eine einjährige Pause einzulegen, um etwas anderes zu machen, etwas, das Herz und Seele berührt. Ich komme aus der Gegend hier und fand bei Omega einen Job, und ich spürte sogleich, dass es genau das war, wonach ich gesucht hatte. Wissen Sie, warum ich kein LinkedIn-Konto habe?

Sie sagen es mir.

Weil ich nichts aufzulisten habe. Ich arbeite mein ganzes Leben lang für eine Marke.

Wie läuft das Geschäft aktuell?

Sehr gut. Letztes Jahr hatten wir an der Bahnhofstrasse in Zürich einen Rekordumsatz trotz wenigen Touristen, dank vielen lokalen Kunden.

Der berühmte Nachholeffekt.

Das Wort höre ich immer wieder. Was ist denn das? Was wird nachgeholt? Es geht um Emotionen. Davon leben wir und bekommen das offenbar gut hin.

Wie läuft es in Ihrem Flaggschiff, im Circle am Flughafen Zürich?

Es ist unser grösster Laden in Europa, ich bin monatlich etwa einmal an Kundenmeetings da. Da dort auch am Wochenende offen ist, erzielen wir gute Umsätze. Was im Circle sonst passiert, ist hingegen nicht gerade berauschend. Der Ort ist noch keine Destination per se, und wir warten immer noch darauf, dass der Circle abhebt.

Was ist das Problem?

Man hat es bis jetzt nicht geschafft, das zu kreieren, was wir innerhalb der Omega-Boutique kreiert haben: eine Experience.

Und was erwarten Sie vom laufenden Jahr?

Wir haben während der Covid-Krise viel aufgebaut, und 2023 wird für uns ein Superjahr, der Markt vergrössert sich wieder. Ich war eben in China. Dort sind die Leute zwar immer noch etwas in der Schockstarre, die Flieger fliegen noch nicht alle wieder, aber die Normalität kehrt zurück, die Stimmung ist gut. Aber mal ganz abgesehen vom Markt werden wir Gas geben beim weiteren Aufbau der Marke. Deshalb lancierten wir die Speedmaster Super Racing auch schon so früh.

Sie sprechen vom weiteren Aufbau der Marke. Ihr Leitfaden?

Zu wissen, woher wir kommen und wohin wir gehen. Es ist gut, dass ich 15 Jahre lang nicht der Chef von Omega, sondern sehr viel an der Front und unterwegs war. Da lernte ich sehr viel.

Was hat sich in den sieben Jahren, seit Sie CEO sind, getan?

Wir sind sehr gross geworden dank China, wo wir die Ersten waren. Bis heute sind wir die grösste Uhrenmarke dort und auch in ganz Asien sehr stark. Der Fokus auf diese Weltgegend plus der Erfolg, den wir damit hatten, führten dazu, dass einiges, was Omega auszeichnet, ein Schattendasein fristete. Die Speedmaster zum Beispiel und auch die Seamaster. Zwar Omega-Ikonen, rein kommerziell aber wenig bedeutend. Wir haben sie aufgebaut. Was war die Folge? Der Umsatzanteil Asiens an unserem Gesamtumsatz war noch nie so tief wie 2022, dafür waren Europa und die USA nie stärker. Und: In der Zwischenzeit hat sich die Kundschaft in Asien auch verändert, sie will das Gleiche wie in Europa und in den USA. Das ist der Erfolg der beiden Kollektionen.

Da sind Sie stolz drauf?

Ja, sehr.

Eine Neuheit jagt die nächste. Ist der Markt so hungrig, oder müssen Sie der Konkurrenz etwas beweisen?

Ich hasse Reaktivität. Und meine Leute hören von mir immer wieder, sie sollten mir nicht mit den Erfolgen anderer kommen. Wer reagiert, ist immer zu spät. Wir gehen unseren Weg, sind proaktiv und nehmen uns auch zehn Jahre, um eine «Spirate» zu entwickeln. Bei anderen Neuerungen mache ich mehr Druck. Aktuell allerdings ist der Druck sowieso enorm: Wir haben 80 000 Backorders.

Also eine Warteliste mit 80 000 Bestellungen?

Juste. Wobei wir nicht von Wartelisten sprechen, sondern von Wunschlisten. Man bezahlt nicht, um auf die Liste zu kommen, ist aber auch nicht verpflichtet, die Uhr zu kaufen, wenn sie wieder erhältlich ist. Aber man kann davon ausgehen, dass man die Uhr bekommt. Bei etwa zehn Referenzen gibt es teils Wartezeiten von ein paar Monaten.

Bei welchen Referenzen?

Die Snoopy und die James Bond sind sehr gefragt. Überhaupt ist die neue Speedmaster mit dem neuen Werk ein grosser Wurf – und auch ein Triumph. Wie oft habe ich gehört, man könne die Speedmaster nicht verbessern. Wir konnten es und haben es bis ins letzte Detail auch getan. Was wir nicht gemacht haben, ist, die Neuauflage stückmässig zu limitieren. Geht für mich nicht. Unter Kundennähe verstehe ich auch, dass jeder Kunde, der die Uhr kaufen will, sie auch kaufen kann. Und zwar bei uns – und nicht sonst wo.

Daniel Craig als James Bond in Skyfall

Daniel Craig ist als James Bond zwar gestorben, seinen Markenbotschafter-Vertrag hat Raynald Aeschlimann aber soeben verlängert.

Quelle: imago/Mary Evans

Sie haben auch schon limitierte Editionen gemacht.

Zwei, zusammen mit Speedy Tuesday, einer Bewegung, die «Fratello» (ein Onlinemagazin, Anm. d. Red.) 2012 lanciert und um die sich eine weltweite Community gebildet hat. Ich wollte schon damals die Kollektion aufbauen, konnte aber nicht von heute auf morgen das Produkt neu machen, sondern brauchte dafür drei Jahre. In dieser Zeit kümmerte ich mich um die Community und legte zwei Sondermodelle à 2012 Stück auf. Beim ersten Mal war das ein Experiment, von dem ich nicht wusste, ob es funktionieren würde. Ich sagte am Vorabend der Lancierung zum Partner bei «Fratello», wenn wir die 2012 Uhren innert 24 Stunden verkaufen, würde ich alle Garantiekarten von Hand signieren. Die Uhren waren in drei Stunden weg und ich stundenlang am Unterschreiben.

Die Preise für die Speedy Tuesday gehen bei Chrono24 durch die Decke.

Ja, und genau deshalb will ich keine limitierten Editionen mehr. Kommt dazu, dass wir mit unseren 165 Läden auf der ganzen Welt der grösste Uhrmacher sind und in der Pflicht gegenüber unseren Boutiquen stehen. Wenn wir limitieren, müssten wir den eigenen Leuten erklären, warum sie die Uhr weder morgen noch übermorgen bekommen, sondern nie.

Ihr höchstes Ziel? Rolex einholen?

Nach sieben Jahren kann ich dazu nur sagen: Ich möchte noch weiter kommen, als ich schon gekommen bin. Das Marktpotenzial für Omega ist sehr, sehr gross. Allein in den letzten drei Jahren haben wir den Speedmaster-Umsatz Jahr für Jahr verdoppelt.

Rolex zertifiziert inzwischen Uhren aus Vorbesitz für Bucherer. Wann steigt Omega ein?

Das haben wir nicht vor. Ich will nicht jemandem offiziell das Recht geben, Omegas aus Vorbesitz in unserem Namen zu verkaufen. Ich möchte lieber mit Retailern weiterarbeiten, die alle unsere Expertise bei sich im Haus haben und auf Omega-Service-Level 3 sind, was bedeutet, dass sie selber servicen und eine zweijährige Garantie ausstellen können.

Und das andere grosse Thema, Blockchain?

Blockchain ist gut und wichtig, wenn es darum geht, Vertrauen zu schaffen. Das haben wir nicht nötig.

Wie geht es eigentlich weiter, nun, da James Bond im letzten Film gestorben ist?

James Bond ist tot, aber seine Uhr läuft weiter. Omega ist ja die Uhr von James Bond und nicht vom Schauspieler James Bond. Ich bin ein Riesenfan von 007 und mag nebenher auch Daniel Craig sehr gut. Er ist ein Uhrenfan, ein grossartiger Typ. Er bleibt unser Markenbotschafter, obwohl er als James Bond gestorben ist. Wir haben den Vertrag mit ihm eben erst verlängert. Wer auf ihn als James Bond folgt, weiss ich nicht. Ich weiss nur, dass die Suche läuft. Ist er gefunden, werden die Arbeiten am Film aufgenommen.

Was, wenn es eine Frau wird?

Das lassen wir auf uns zukommen. Ich habe vollstes Vertrauen, dass einmal mehr genau der richtige Mensch für die Rolle gefunden wird.

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