Eine kleine Blume brachte den grossen Erfolg – oder trug mindestens massgeblich dazu bei. Und das kam so: In den 1950er-Jahren begann die Grenchner Uhrenmarke Titoni den asiatischen Markt aufzurollen – als Pionier der Branche. Bis dahin war die Firma unter dem Namen Felca bekannt, mit dem Markteintritt in Fernost wurde die Schwestermarke Titoni gegründet. Und dazu als Logo eine kleine stilisierte Pflaumenblüte geschaffen. Was ein cleverer Schachzug war: Die Pflaumenblüte – chinesisch: Meihua – gilt in China als Glücksbringer. «Sie blüht als erste Pflanze nach dem Winter und ist ein Symbol für Langlebigkeit, Standfestigkeit und Qualität», sagt Olivier Schluep, der das Unternehmen mit seinem Bruder Marc leitet. Das Logo gab der Marke Schub. Es war beliebt und oft bekannter als der Name Titoni, so Olivier Schluep: «Viele Chinesen sprechen jedenfalls bei unserem Produkt von der Meihua-Uhr.»

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Olivier, 28 Jahre alt, teilt sich an der Schützengasse 18 in Grenchen, dem Sitz des Unternehmens, ein Büro mit seinem Bruder Marc (30). Hin und wieder taucht auch Vater Daniel auf, er hat das Familienunternehmen über 40 Jahre lang geführt und dieses Jahr die operative Leitung den Söhnen und mithin der vierten Generation übergeben. Daniel Schluep ist der Architekt der atemberaubenden Asien-Expansion von Titoni – gestartet hatte sie sein Vater Bruno –, noch heute sind die Uhren in China wohl bekannter als im Heimatland Schweiz. Gerade in den Jahren 2000 bis 2012 wurden unglaubliche Wachstumsraten erzielt. «Ich absolvierte als 19-Jähriger ein Praktikum im Unternehmen», erinnert sich Olivier Schluep, «wir hatten damals lange Wartelisten und vor allem ein Problem: Wie teilen wir die verfügbaren Uhren den Käufern möglichst fair zu?»

Die zunehmende Konkurrenz und ab 2020 insbesondere Corona und Lockdowns haben die asiatische Nachfrage seither klar gebremst, dennoch gehört Titoni zu den grösseren KMUs der Branche. Der Finanzdienstleister Morgan Stanley schätzte den Umsatz des Unternehmens auf etwa 75 Millionen Franken bei rund 72’000 produzierten Uhren – das platziert die Marke im Ranking gleich hinter Certina und vor Baume & Mercier. Verkauft werden die Uhren laut Jubiläumsbroschüre in 45 Ländern, allein in Greater China gibt es 600 Verkaufspunkte. In der Schweiz hat Titoni eine Boutique in Interlaken, angeboten werden die Uhren unter anderem aber auch von Gübelin, Kirchhofer oder Watches of Switzerland. «Wir haben in der Schweiz sehr gut verkauft», sagt Olivier Schluep – «allerdings zum grössten Teil an chinesische Touristen».

Nahaufnahme des Eigenkalibers T10 von Titoni

EIGENKALIBER T10 Das hauseigene Manufakturkaliber T10 ist in den teuersten Modellen eingebaut.

Quelle: ZVG

Langsam wird sich dies ändern. Schon im Herbst 2019 beschloss das Unternehmen, Europa wieder ins Visier zu nehmen und vorab in Deutschland und der Schweiz die lokale Kundschaft verstärkt anzusprechen – vor allem über Onlinekanäle. Punkten will man mit Made in Switzerland zu erschwinglichen Preisen: Titoni-Uhren kosten zwischen 800 und 3000 Franken, die teuersten Modelle sind mit dem hauseigenen Manufakturkaliber T10 ausgestattet, das zum 100-Jahr-Jubiläum eingeführt worden war, als man sich fröhlich an die Anfänge der Marke erinnerte.

Das war 1919. Federleichte Schneeflocken fielen an einem kalten Tag vom Himmel – so beschreibt es die Jubiläumsbroschüre –, als der in Lengnau geborene Fritz Schluep bei einem Spaziergang an der frischen Luft definitiv seine Entscheidung traf: In Grenchen, am Fuss des Jura, würde er sein eigenes Uhrenatelier gründen. Mit nur drei Mitarbeitern startete er im gleichen Jahr und begann Uhren zu bauen, zunächst unter dem Namen Felca. Offensichtlich hatte er mit seinen Produkten nicht nur Erfolg, sondern auch unternehmerisches Flair: Schon ein Jahr später war die Belegschaft auf 15 Personen gewachsen, rasch begann das kleine Unternehmen auch im Ausland zu verkaufen, vor allem in Deutschland, Amerika und Japan. 

Uhrenmacher arbeiten nebeneinander vor einer Fensterfront in der Felca-Manufaktur, ca. 1920.

FELCA Die erste Manufaktur unter dem alten Markennamen in Grenchen.

Quelle: ZVG

Neben dem Blick über die Schweizer Grenze schwor Fritz Schluep das Unternehmen auf eine grundsolide Tugend ein, die bis heute gilt: keine Kredite, kein Fremdkapital, keine Bankdarlehen. «Wir wollen auf eigenen Beinen stehen», sagt Olivier Schluep. Und deshalb sei Titoni nach wie vor zu 100 Prozent in Familienhand.

Langsam, aber stetig wuchs die Firma, man baute bald den grösseren Firmensitz auf der anderen Strassenseite der ursprünglichen Fabrik, nach wie vor übrigens in Familienhand und vermietet. Als Meilenstein vermeldet die Chronik einen Auftrag von 30’000 Uhren für die U.S. Army 1945 – aber das wichtigste Abenteuer der Firma startet in den 1950er Jahren mit Asien.

Es begann mit einem Luftpost-Brief von einem gewissen Mister Koh Mui Yew aus Singapur, der sich bei Bruno Schluep empfahl und einen Deal einfädeln wollte. Singapur, das war für die Grenchner Familie unglaublich weit und unglaublich exotisch, aber der Brief habe so ehrlich und begeistert über Schweizer Uhren geklungen, dass Bruno eine Antwort aufsetzte – und das Geschäft ins Rollen brachte.

Ein Bild der frühen 1950er Jahren zeigt, wie die Anfänge aussahen. Man sieht einen kleinen Laden in Singapur – Chop Kwang Heng genannt – mit riesigen Werbeinschriften für Titoni. Neben chinesischen Schriftzeichen ist über dem Titoni-Schriftzug auch das Pflaumenblüten-Logo zu sehen, das die chinesischen Herzen bezirzte.

Von Beginn an setzte Bruno Schluep auf Partnerschaft. Mit der Familie Koh, ursprünglich aus Singapur, später in Honkong tätig, arbeitete man eng zusammen. Dabei ist es geblieben: Aktuell arbeitet die dritte Generation der Familie Koh mit der vierten Generation der Familie Schluep zusammen.

Auf Singapur folgte Hongkong, dann kam der Sprung nach China. Und zwar in drei Phasen. Zunächst hatten es die Grenchner mit einer reinen Staatswirtschaft zu tun, «alles lief über den Staat», so Co-CEO Olivier Schluep. Chinesische Beamte reisten in die Schweiz, sie wollten die Fabrik gesehen haben, Bruno Schluep zeigte sich offen und empfing die Chinesen. Die erste Bestellung war sehr klein, dann aber wurden grössere Mengen bestellt. Die Verhandlungen seien mitunter hart gewesen, aber China habe sich stets an die Abmachungen gehalten. «So konnte man die Produktion bestens planen», sagt Olivier.

Die zweite Phase war eine Mischung aus Staats- und Privatwirtschaft. Auf verschlungenen Wegen gelang es, von Hongkong aus Uhren nach China zu liefern. Man könnte das als eine Art Schmuggel bezeichnen, von den Behörden wohl toleriert oder sogar erwünscht. Und in der dritten Phase, nach dem WTO-Beitritt Chinas, ging man zur reinen Privatwirtschaft über – mit grossem Wachstum für Titoni.

Nahaufnahme des Modells Seascoper 600 von Titoni

SEASCOPER 600 Das Modell ist mit dem Kaliber T10 ausgestattet.

Quelle: ZVG

Als Motoren setzte das Unternehmen lange ausschliesslich ETA-Werke ein, heute sind es zum allergrössten Teil Sellita-Kaliber, bei zwei Kollektionen das eigene Manufakturwerk T10. 2013 war beschlossen worden, ein solches selber zu entwickeln, drei bis fünf Leute arbeiteten sechs Jahre daran. Wichtiger Punkt im Pflichtenheft: «Wir wollten ein zuverlässiges Werk, aber unbedingt auch ein kostengünstiges», sagt Olivier Schluep. Was, man ahnt es, einfacher klingt, als es zu realisieren ist.

2019 war man bereit. 15 Zulieferer, alle mit dem Auto von Grenchen aus in maximal zwei Stunden zu erreichen, produzieren die benötigten 168 Einzelteile, zusammengesetzt werden sie in der T1-Abteilung bei Titoni. Das Werk ist flacher und mit 29,3 Millimetern Durchmesser eher etwas grösser als der Durchschnitt, es gibt eine Standard- und eine COSC-geprüfte Version. Die Gangautonomie beträgt 72 Stunden.

Eingebaut wird das Werk in Spitzenmodelle des Katalogs, massiv teurer sind sie deswegen allerdings nicht: Das mit dem Kaliber T10 ausgestattete Modell Seascoper 600, eine Neuauflage des Klassikers von 1979 – heute wasserdicht bis 600 Meter Tiefe und COSC-geprüft –, gibt es für rund 2000 Franken. Die demnächst erhältliche Deklination Seascoper 300 mit Sellita-Werk und Wasserdichtigkeit bis 300 Meter kostet rund 1700 Franken. Mit anderen Worten: Auch bei der Preisgestaltung bleibt man bei Titoni auf dem Boden.

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