Gäbe es nur den Secondhand-Markt für Uhren, müsste man zum Schluss kommen, die Schweizer Uhrenindustrie sei seit bald zwei Jahren in der Krise. Die Preise fallen, das Angebot weitet sich trotzdem aus, die Ware bleibt länger im Schaufenster liegen.
Fakt aber ist: Die Branche verkauft Neuware für so viel Geld wie noch nie. 2022 wurde mit einem Exportvolumen von 24,8 Milliarden Franken ein Rekord erreicht. Und 2023 ist dieser bis und mit Oktober nochmals um mehr als 8 Prozent übertroffen worden. Kurz: Der Primär- und der Zweitmarkt scheinen sich voneinander entkoppelt zu haben. Sie scheinen von unterschiedlichen Nachfragekomponenten getrieben zu werden.
Schauen wir also genauer hin und fragen uns: In welche Richtung wird sich der Markt für Secondhand-Uhren entwickeln? Wann werden die Preise für gebrauchte Uhren von Rolex – und anderen wichtigen Marken – wieder steigen?
Steiler Anstieg, anhaltender Abstieg: Die Preise für Rolex-Uhren gemäss der Secondhand-Plattform Chrono24.
Es sind mehr Uhren auf dem Markt, auch von Rolex
Die knappe Antwort lautet: Vorläufig ist keine Trendwende in Sicht. Dies insbesondere aus zwei Gründen. Erstens, weil das Angebot auf dem Secondhand-Markt steigt. Und zweitens, weil es auch im Primärmarkt mehr Ware im Angebot zu geben scheint.
«Wir beobachten einen zunehmenden Abwärtsdruck auf dem Markt, der zu einem weiteren Preisverfall führen könnte, da die Händler ihre Bewertungen senken, um den Absatz zu steigern», analysiert Christy Davis von Subdial. Die britische Plattform für Secondhand-Uhren veröffentlicht zusammen mit der Nachrichtenagentur Bloomberg monatlich den «Bloomberg Subdial Watch Index». Dieser bildet die Preise für die fünfzig Uhren ab, die auf dem Sekundärmarkt wertmässig das höchste Handelsvolumen haben. Davis ergänzt: «Es werden mehr Uhren zu einer grösseren Preisspanne angeboten. Also senken die Händler die Preise. Auch um das Weihnachtsgeschäft anzukurbeln.»
Konkret ist die Zahl der auf dem Sekundärmarkt verfügbaren Uhren laut Subdial seit August um 5 Prozent gestiegen. Und die Preisspanne der angebotenen Modelle hat im gleichen Zeitraum um rund 12 Prozent zugenommen.
Die Wartelisten für Rolex sind 20 Prozent kürzer geworden
Auch auf dem Primärmarkt scheint sich der anhaltende Nachfrageüberhang bei den gefragtesten Rolex-Modellen etwas zu bessern. Das jedenfalls lässt sich aus Aussagen ableiten, die kürzlich Mohammed Seddiqi von der Seddiqi Holding an einer Podiumsdiskussion an der Dubai Watch Week gemacht hat. Seddiqi gehört mit Bucherer und Watches of Switzerland zu den drei grössten Rolex-Händlern der Welt und betreibt in der Dubai Mall den grössten Rolex-Laden der Welt.
«Für bestimmte Referenzen, auf die früher vielleicht 10 000 Leute gewartet haben, haben wir jetzt noch 8000 auf der Warteliste.»
Mohammed Seddiqi, Seddiqi Holding
«Für bestimmte Referenzen, auf die früher vielleicht 10 000 Leute gewartet haben», so Seddiqi, «haben wir jetzt noch 8000 auf der Warteliste.» Das sei immerhin ein Rückgang um rund einen Fünftel in einem Zeitraum von rund vier Jahren, wie Seddiqi präzisierte.
Da man von Seddiqi durchaus auf die Situation bei anderen grossen Rolex-Retailern schliessen darf, bedeutet das: Es können wieder mehr Kunden und Kundinnen ihr Rolex-Bedürfnis bei den offiziellen Händlern befriedigen. Und das wiederum ist ein weiterer Treiber für eine tendenziell sinkende Nachfrage auf dem Secondhand-Markt, der eben auch davon profitierte, dass Kundinnen und Kunden sich dort eindeckten, wo die gewünschten Uhren leicht(er) erhältlich waren (wenn auch zu – nach wie vor – deutlich überhöhten Preisen).
Allerdings gibt es eine Ausnahme bei Rolex: Die Preise für ein bestimmtes Modell dürften in den kommenden Wochen und Monaten steigen, sofern sich die kursierenden Gerüchte bewahrheiten sollten. Diese berichten davon, dass Rolex die Produktion der GMT-Master II «Pepsi» – einer Uhr mit einer rot-blauen Lünette für die Anzeige einer zweiten Zeitzone – aufgrund von Problemen bei der Herstellung einstellen wird.
Das Modell, das schon heute zu den begehrtesten Referenzen der Marke zählt, würde bei einem tatsächlichen Produktionsstopp innert Tagen durch die Decke gehen.