Alle Marken der Swatch Group haben eine besondere Mission. Bei Swatch gibt es eine zusätzliche Dimension, diese einzigartige Position in der Geschichte der Uhrmacherei. Die Marke wird oft als Teil des gemeinsamen Erbes wahrgenommen, symbolisch damit beauftragt, eine führende Position in der Industrie zu halten. Wie würden Sie die Mission von Swatch beschreiben?

Swatch – übrigens oft als Marketingprodukt betrachtet, bevor sie ein Uhrenhersteller war – war und bleibt das Symbol für die Rettung der Schweizer Uhrenindustrie in den 1980er-Jahren. Wir sind unserer DNA über die Jahrzehnte hinweg treu geblieben: Lebensfreude, positive Provokation, Swiss Made und Innovation.

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Was bedeutet das, positive Provokation?

Es bedeutet, sich immer wieder neu zu erfinden. Wir sind uns bewusst, dass man von uns erwartet, immer dynamisch, immer einen Schritt voraus zu sein und Trends vorwegzunehmen. Unsere Kunden wollen überrascht werden. Unsere Uhren sind Träger von Botschaften, künstlerische Kooperationen sind eine Möglichkeit, die Kunst zu demokratisieren. Und Innovationen im Material – etwa mit Biokeramik – sind eine Botschaft für die Innovation, die immer im Mittelpunkt unserer Produkte steht. 

Alle Luxusmarken beanspruchen eine Verbindung zur Innovation …

In diesem Sinne könnte man sagen, dass unser Weg dem der Luxusmarken ähnelt. Aber wir haben uns als eine der innovativsten Marken etabliert, mit einer Agilität und Geschwindigkeit, die uns eigen ist: von der Idee bis zum Endprodukt in wenigen Monaten.

Man muss nur Ideen haben...

...und sich weiterentwickeln, den Komplexitätsgrad der Ideen erhöhen. Wir versuchen es, wir wagen es. Wir sind in der glücklichen Lage, dafür alle Kapazitäten innerhalb der Gruppe zu haben.

Wer Innovationen sagt, meint auch Patente.

Das kann ich bestätigen. Ein Beispiel: 19 Patente wurden auf das Sistem51 angemeldet [das mechanische Kaliber mit 51 Komponenten, welches Swatch 2013 entwickelt hat, Anm. d. Red.].

Womit wir mitten im Thema sind, denn das Sistem51 erlebt mit der Kollektion Scuba Fifty Fathoms Swatch x Blancpain gerade eine neue Wachstumsphase.

Tatsächlich sollte die «Scuba Fifty Fathons» ein Automatikwerk haben. Und was das Sistem51 betrifft, so verändert es die Situation völlig. Seit der Markteinführung ist das Automatikwerk wieder in aller Munde. Wir erleben sogar eine Re-Demokratisierung des Automatikkalibers. Nicht nur Swatch profitiert davon, sondern auch Blancpain, wie die Besucherzahlen in den Boutiquen belegen.

Können Sie die Bedeutung und die Entwicklung der automatischen Uhr bei Swatch näher erläutern?

Wir haben mehrere Höhepunkte erlebt. Da war die Einführung der mechanischen Swatch Ende der 1990er Jahre. Dann kam die Diaphane im Jahr 2002 [deren Luxusausgabe für 5000 Franken verkauft wurde, Anm. d. Red.]. Es folgte die Revolution mit dem Sistem51 im Jahr 2013, dann kam die Sistem51 Irony im Jahr 2016 und dieses Jahr die «Scuba Fifty Fathoms».

Eine knallige Uhr: Swatch Original x The Simpsons Seconds Of Sweetness

Eine knallige Uhr: Swatch Original x The Simpsons Seconds Of Sweetness.

Quelle: ZVG

Wie lässt sich diese Entwicklung in Zahlen ausdrücken?

2013 war der Marktanteil von Sistem51 aussergewöhnlich hoch, in einigen Märkten lag er bei über 30 Prozent. Im Laufe der Jahre haben wir eine grosse Nachfrage nach automatischen Modellen geschaffen. Seit einigen Wochen ist, wie Sie wissen, diese Nachfrage explodiert, und wir können nicht mithalten: Alles, was produziert wird, wird am selben Tag geliefert und verkauft. Ich kann Ihnen nur sagen, dass das Produkt sehr begehrt ist.

Ist die «Scuba Fifty Fathoms» Ihrer Meinung nach Teil der Mission der «positiven Provokation», die Sie bereits erwähnt haben?

Natürlich ist sie das. Das Ziel ist immer, die Kunden zu überraschen. Schon die MoonSwatch [Omega x Swatch, Anm. d. Red.] sollte eine Überraschung sein. Nick Hayek jr., CEO der Swatch Group, hatte die geniale Idee, die Uhrenikone einer Luxusmarke in einem Swatch-Gehäuse aus Biokeramik wieder aufzugreifen. Ich könnte Ihnen auch die Kollektionen Neon oder Bioceramic What If? nennen, für die wir eine aussergewöhnliche Nachfrage verzeichnen.

Wie Sie betont haben, ist die Geschichte von Swatch untrennbar mit der Geschichte der Werbung verbunden, mit epochalen Ereignissen wie der 162 Meter langen Riesen-Swatch, die 1984 an der Fassade der Commerzbank in Frankfurt aufgehängt wurde. Heute ist die Kommunikation stärker auf das Produkt ausgerichtet, mehr Corporate Identity. Ist die Marke braver geworden?

Swatch ist nicht braver geworden. Wir sind immer noch das Enfant terrible der Uhrmacherei. Wir sind sehr stolz auf unsere Produkte und wollen zeigen, dass wir auch in der Lage sind, dies auf einfache Weise zu kommunizieren. So haben wir auch Kampagnen durchgeführt, welche die Marke selbst und ihre Geschichte in den Vordergrund stellen. Die Linie Bioceramic What If?, die auf einem der ursprünglichen Prototypen basiert, ist ein gutes Beispiel dafür. Was die Kooperationen mit Omega und Blancpain betrifft, so sind diese natürlich so überraschend, dass sie selbst eine positive Provokation darstellen.

Entspricht diese Konzentration auf das Produkt noch der eigentlichen Bedeutung von Swatch: Second Watch?

Das Prinzip der Second Watch ist immer noch sehr präsent. Das gilt noch mehr für die Kooperationen: Viele Kunden wollen die gesamte Kollektion haben.

Aber wo sind die verrückten Kampagnen von früher?

Keine Sorge, wir haben viele Ideen und setzen sie auch um. Wir haben die Einführung der Kollektion Bioceramic What If? mit einer Kommunikation begleitet, in der alles quadratisch ist, sogar die Erde. Und vergessen wir nicht die MoonSwatch-Kampagne mit den elf rollenden Planeten [elf Autos in den Farben der MoonSwatch-Modelle fuhren durch Europa, Asien und Nordamerika und dienten an unwahrscheinlichen Orten als Verkaufsstelle, Anm. d. Red.]. Unsere Kunden fanden es grossartig und wollen mehr davon.

Hat sich das auf die Wahrnehmung der Marke ausgewirkt?

Der Blick ist nicht derselbe, wenn man die Schweiz, Europa oder China – wo wir uns in der Phase der Optimierung des Markenimages befinden – als Referenzpunkt nimmt. Die Gemeinsamkeit ist, dass Swatch eine Marke ist, auf die man stolz ist, sie zu tragen.

Ein Attribut, das eher für Luxus typisch ist, oder?

Wir haben unsere eigene Identität, positive Provokation, neuartige Designs. Unsere Stärke ist, dass wir zugänglich sind, dass wir alle Zielgruppen ansprechen, dass wir für alle da sind, unabhängig von den Kollektionen. Die Zusammenarbeit mit Blancpain zum Beispiel ist ein echtes Augenzwinkern, unsere Art, eine Brücke zwischen dem Einstiegssegment und dem Luxus zu schlagen. Im Gegenzug tragen wir dazu bei, Blancpain bei einem breiteren Kundenkreis bekannt zu machen.

Sie erwähnten, dass es schwierig sei, die Nachfrage nach der «Scuba Fifty Fathoms» zu befriedigen, obwohl Sie einige der für diesen Sommer geplanten Markteinführungen verschoben haben. Wo stehen Sie heute?

Ich präzisiere, dass der Grund für die Verschiebung einiger Neuheiten in der Anzahl der Neuheiten liegt: Wir haben so viele Neuheiten, dass irgendwann die Gefahr bestünde, dass die Wirkung verpuffen würde. Was die Produktionskapazitäten betrifft, so haben wir diese drastisch erhöht. Bei der MoonSwatch ist die Produktion exponentiell gestiegen. Bioceramic What If? zum Beispiel erforderte eine neue Produktionslinie. Die Investitionen sind hoch und bleiben an die Nachfrage und den Erfolg der Marke gekoppelt, aber das reicht immer noch nicht aus, um diese zu befriedigen.

Die Big-Bold-Reihe mit Metallarmbändern: Big Bold Irony

Die Big-Bold-Reihe mit Metallarmbändern: Big Bold Irony

Quelle: ZVG

In einer Veröffentlichung vom September 2023 schreibt die Agentur Bloomberg, Nick Hayek glaube, «dass die neue Uhr (Scuba Fifty Fathoms) dazu beitragen wird, den Umsatz der Marke Swatch im nächsten Jahr auf ein Rekordniveau zu bringen und zum ersten Mal eine Milliarde Franken zu überschreiten». Können Sie das bestätigen?

Natürlich, die Milliarde ist ein Ziel, das wir uns gesetzt haben, und Swatch hat alle Karten in der Hand, um das zu erreichen. Was ich Ihnen im Moment sagen kann, ist, dass die Marke sehr gut funktioniert. Wir haben das Glück, talentierte Teams zu haben, die es uns ermöglichen, sehr schnell voranzukommen, und wir entwickeln uns immer weiter. Die MoonSwatch hat es uns eindeutig ermöglicht, uns zu stärken, und zwar auf allen Ebenen, in den Ländern, im Vertrieb und bei der Produktentwicklung.

Eine der Besonderheiten von Swatch ist die Integration des Einzelhandels. Wie sieht es heute damit aus?

Der Einzelhandel ist und war schon immer das Rückgrat unseres Vertriebs. Wir bevorzugen immer unsere eigenen Geschäfte, um unseren Kunden einen tadellosen Service zu bieten. Denn das erwarten sie von einer Marke wie Swatch, und das ist unsere absolute Priorität. 

Sich weiterentwickeln bedeutet reduzieren, erweitern, umqualifizieren?

Viele Verlagerungen, viele Neueröffnungen, aber immer mit dem Ziel, das Qualitätsniveau der Marke zu erhöhen. In den USA zum Beispiel werden wir das Vertriebsnetz mittelfristig wahrscheinlich verdoppelt haben. In China – wo das Potenzial enorm ist – planen wir in den nächsten Monaten viele Neueröffnungen. Wir sind bereits stark in Shanghai, Peking, Chengdu, aber es gibt noch viele Städte, wo wir noch nicht vertreten sind und wo wir erwartet werden. Besitzer von sehr qualitativen Malls kontaktieren uns regelmässig und bieten uns schöne Standorte an. 

Wie viele Geschäfte gibt es?

Mehrere hundert eigene Boutiquen und ein stetig wachsendes Netz, wobei es grosse Unterschiede gibt, je nachdem, ob es sich um reife Märkte wie die Schweiz oder um Wachstumsmärkte handelt.

Ein paar Beispiele?

In Australien sind wir mittlerweile in allen grösseren Städten mit wunderschönen Boutiquen vertreten. In Skandinavien haben wir nach der Begeisterung und dem Erfolg während der Roadshow – Rolling Planet MoonSwatch – eine schöne Boutique in Kopenhagen eröffnet und sind bereit für die Zukunft. Wir sind in Indien in Mumbai, Neu-Delhi, bald Bangalore. Nicht zu vergessen Japan, ein Markt, der für unsere Marke immer stärker wird. Sie sehen, das Potenzial auf globaler Ebene ist enorm.

Was passiert mit dem E-Commerce?

Die Onlineverkäufe sind während der Covid-Pandemie explodiert. Wir haben sehr schnelle Entscheidungen getroffen, und unsere Teams haben sich als sehr agil erwiesen. Mit Programmen wie SwatchPay, Swatch X You oder der Personalisierung haben wir neue Höhen erreicht. Der E-Commerce ist eine echte Ergänzung zum Einzelhandel.

In Zahlen?

In einigen Ländern hat der E-Commerce 20 Prozent des Umsatzes erreicht und überschritten. Aber es ist vieles in Bewegung, und die Kunden bleiben sehr an den Geschäften interessiert.

Das Ende des stationären Einzelhandels ist für Swatch also nicht Realität?

Der Retail war immer ein integraler Bestandteil der Vision von Nick Hayek jr. Und heute stellen wir fest, dass wir nach dem Ende der Pandemie eine Kollektion wie die MoonSwatch niemals hätten lancieren können, wenn wir nicht an unserer auf Monomarken-Boutiquen ausgerichteten Strategie festgehalten hätten.

Aus welchem Grund?

In Melbourne zum Beispiel zählten wir bei der Einführung der MoonSwatch am 26. März 2023 mehrere tausend Menschen vor der Boutique. Wie gehen Sie mit einem solchen Andrang um, wenn es sich nicht um Ihre eigene Boutique handelt?

Wenn man all das Potenzial, welches Sie angesprochen haben, zusammennimmt, entsteht der Eindruck, dass Swatch auch nach 40 Jahren noch nicht voll ausgereift ist. Ist dieser Eindruck richtig?

Ja, natürlich! Wir erleben gerade einen aussergewöhnlichen Moment für die Marke und sind uns bewusst, dass wir ein aussergewöhnliches Wachstumspotenzial vor uns haben. Die beiden Kooperationen mit Omega und Blancpain haben uns einen neuen Weg mit unbegrenzten Produktmöglichkeiten aufgezeigt, während wir gleichzeitig unsere Kernkollektionen weiterentwickeln. 

Die Herausforderung besteht also darin, die richtigen Entscheidungen zu treffen und sich auf die richtigen Ideen zu konzentrieren.

Wir haben ein talentiertes Designteam. Wir halten wöchentliche Sitzungen ab. Und ich kann bestätigen, dass es manchmal sehr schwierig ist, eine Auswahl zu treffen. Für die Kunstkollektion zum Beispiel haben wir jeweils mehrere Vorschläge parallel, und es liegt an uns, uns auf das zu konzentrieren, was Sinn macht und was für Swatch, aber auch für den Partner repräsentativ ist.

Nennen Sie uns ein paar Details. Wie ist zum Beispiel die Kollektion What If? entstanden?

Das ist ein Beispiel für schnelle Umsetzung. Ursprünglich war es eine Idee, die intern entstanden war. Dann dachten wir, dass es wirklich etwas Provokantes sei, und beschlossen, die Idee umzusetzen und zu vermarkten. Und wir hatten weltweit einen phänomenalen Erfolg. Von der Entscheidung, den ersten quadratischen Prototyp neu zu interpretieren, über die Umsetzung bis hin zur Kampagne vergingen nur wenige Monate – Idee Anfang des Jahres, Markteinführung im August und dazwischen der Aufbau einer neuen Produktionslinie und eines aussergewöhnlichen Kampagnenvideos.

Dazu käme die Biokeramik, die im Mittelpunkt der Strategie stand?

In der Tat ist die Biokeramik die Grundlage für alle unsere jüngsten Produkteinführungen. Das Ergebnis eines seit 2010 verfolgten umweltbewussten Ansatzes. Er wurde auch im neuen Gebäude konkretisiert, einer Holzarchitektur von Shigeru Ban, und in der Entwicklung der Biokeramik, welche 2020 begann und 2021 abgeschlossen wurde. Ohne dieses Material hätten wir nie eine Zusammenarbeit mit Omega, geschweige denn mit Blancpain begonnen.

Und nicht zu vergessen: ein Hauch von Agilität.

Agilität ist die Raison d’être für die Existenz einer Marke wie Swatch. Man muss ständig innovativ bleiben und dabei schnell sein. Das Eingehen von Risiken ist unvermeidlich, und am Ende entscheiden natürlich unsere Konsumenten über den Erfolg einer Kollektion.

Dieser Artikel erschien zuerst bei «Watch Around».

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