Thomas Baillod, 52, geboren und aufgewachsen in La Chaux-de-Fonds, studierter Betriebswirt, bezeichnet sich selbst als Sales-Guy, als Verkäuferseele. Bevor er sich 2019 selbstständig gemacht hat, war er bei Victorinox für Aufbau und Management der internationalen Distribution in charge, dann kurz bei Maurice Lacroix, dann bei Louis Erard. Er kennt das Uhrengeschäft à fonds, weiss wie verkaufen geht und wirbelt mit seinen im Wortsinn eigensinnigen Konzepten in der Uhrenbranche Staub auf.

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Seine eigene Uhrenmarke - sie heisst Baillod (sprich Bajo), wird geschrieben als BA1110D - hat er nicht wegen der Uhren gegründet, sondern um sein Businessmodell auf eigene Faust zu validieren. Er hatte davor lange vergeblich versucht, eine der etablierten Uhrenhersteller dazu zu bringen, ihm eine Uhrenkollektion zur Verfügung zu stellen für den Praxistest. Seine Grundidee: Möglichst alles kappen, was bei einer Uhr Kosten verursacht, die über die Herstellungskosten hinausgehen - und alles, was eingespart wird, einpreisen. Ob seine Uhren schön sind oder nicht, bleibt Geschmacksache. Was sie bieten und kosten, ist fraglos beeindruckend. Wir haben uns mit Baillod unterhalten.

Herr Baillod, wie hat alles angefangen? 

Ich komme aus La Chaux-de-Fonds. Ich hatte vor Uhrmachern immer grossen Respekt, habe während 15 Jahren rund um die Welt Verkaufsnetzwerke aufgebaut für verschiedene Marken und mich dann selbstständig gemacht. Anfangs als Consultant.

Für wen, womit?

Ich war überzeugt, dass wir das ganze Uhrengeschäft anders angehen sollten und den Fokus darauf legen, wie man eine Uhr verkauft. Ich bin auf mehrere Marken zugegangen und habe gesagt, lasst uns die Art und Weise überdenken, wie ihr eure Uhren verkauft. Ich wollte die Distribution auf das Internet verlegen und das Marketing in die Hände der Kunden. Es ist das purste Modell, das existiert und es erlaubt die tiefsten Preise überhaupt.

Der Anti-Snob: Uhren-Unternehmer Thomas Baillod.

Der Anti-Snob: Uhren-Unternehmer Thomas Baillod.

Quelle: ZVG

Sie wollten Uhren von etablierten Brands billiger verkaufen? Kein Wunder hat niemand mitgemacht. 

 

Es hätte ja auch eine Capsule-Kollektion sein können, die wir mit dem Multiplikator 2 statt wie in der Branche 6 bis 7 verkauft hätten. Das hätte sich garantiert sehr schnell herumgesprochen. 

Ein Minusgeschäft für die Hersteller? 

Nein eben nicht. Die rechnen auch im ganz normalen Businessverlauf mit einem Faktor 2. Konkret: Eine Uhr, die in der Herstellung 175 Franken kostet, geht für 350 Franken weiter an den Distributor, von dort zum Retailer, von dort zum Endkunden, der für diese Uhr dann 1000 Franken bezahlt.  Meine Idee war, um die Attraktivität mechanischer Uhren zu steigern, müssen sie billiger werden. Niemand wollte das ausprobieren, also habe ich eine Uhr kreiert, um mein System auszuprobieren. 

Klingt aufwendig.

War es nicht. Ich bin Designer hier in der Schweiz angegangen, die mit Partnern in Asien kollaborieren und habe eine schöne Uhr gemacht zu einem überraschenden Preis und habe sie Chapter 1 getauft: Eine mechanische Dreizeiger-Uhr für 360 Franken. Angekündigt habe ich sie über meinen LinkedIn-Account. Innert 36 Stunden hatte ich 30'000 Dollar und startete mit der Produktion - ohne zu wissen, dass ich eine Uhrenmarke initiiert hatte. Meine Absicht war damals ja keine Uhrenmarke, sondern den Beweis anzutreten, dass meine Idee funktioniert. 

Und Sie haben Geld damit verdient?

Ja, die übliche Herstellermarge von 50 Prozent, also 180 Franken pro Uhr. Ich habe sie gemacht, um zu zeigen, dass User generated Commerce funktioniert, eben mein Geschäftsmodell - online und über bestehende Kunden zu verkaufen.

Der Mann aus La Chaux-de-Fonds lässt Uhren in Asien herstellen? 

Ich brauchte einfach Uhren. Als es angefangen zu funktionieren, kamen diese Fragen. Swiss Made: Um auf die 60 Prozent Wertschöpfung zu kommen, die es für das Swiss Made Label braucht, reichen in der Regel schon das Uhrwerk und die Assemblage in der Schweiz. Viele Marken beziehen die anderen Komponenten denn auch aus Asien. Ich musste mir dann jedenfalls anhören, dass mein Modell für Uhren funktionieren mag, die in China hergestellt worden sind, aber nicht für Schweizer Uhren. So kam ich zum Kapitel 3, eine Swiss Made Watch, die ich für 470 Franken lanciert habe - mechanisch, Skeleton. Das war dann eine echte Überraschung, niemand ausser mir könnte eine solche Uhr zu dem Preis verkaufen.  

Wer sind denn Ihre Supporter? 

Alle meine Freunde sind in der Industrie. Es war sehr einfach, alle Kontakte zu mobilisieren, man wollte mir auch helfen. Dann haben Freunde Uhren gekauft und ihre Freunde wollten auch eine, so haben sie angefangen für mich Uhren zu verkaufen und so weiter. 80 Prozent der Uhren haben wir 2022 in der Westschweiz verkauft - an sehr viele Leute aus der Uhrmacherei. Kürzlich hat uns jemand als «the best kept Swiss Made secret» bezeichnet, das stimmt, das will ich nun aber ändern. 

80 Prozent sind wie viele Uhren?

Etwa 5000 in der Romandie von insgesamt rund 6500 Uhren. 2022 haben wir damit 3 Millionen Franken Umsatz gemacht. Und werden auch dieses Jahr wieder etwa so viel erzielen, allerdings mit deutlich weniger Uhren. 

Warum?

Wir haben ein Swiss-Made-Tourbillon herausgebracht, das by the way unter 6000 Franken kostet. Das war ein Donnerschlag. Andere Marken haben das gleiche, ihre Uhren kosten aber 50'000 Franken. 

Wer?

Das werde ich hier jetzt sicher nicht sagen. Wenn jemand darüber sprechen könnte, wäre das allenfalls der Mann, der die Tourbillons baut, Olivier Mory.

Werden Ihre Uhren nun auch immer teurer? 

Nein, das Tourbillon habe ich ja nur gemacht, um jene zu widerlegen, die behauptet haben, mein Modell funktioniere vielleicht mit günstigen Swiss Made Uhren, nicht mit teuren. 

Wie ist das Businessmodell?

Sie kaufen eine Uhr, wir erhalten das Geld, lassen produzieren und liefern sechs Monate später die Uhr aus. Bei den Preisen gebe ich Ihnen ein Beispiel aus anderem Kontext: Sie kaufen beim Metzger ein T-Bone-Steak, bezahlen für den Knochen, aber den essen Sie ja nicht. Das ist die Distribution. Sie bezahlen für das Fett, das Geschmack gibt, aber das sie nicht essen. Das ist das Marketing. Wir nehmen den Knochen raus, das Fett weg und verkaufen das Fleisch.

Und jetzt auf Baillod bezogen?

Normalerweise braucht man für die Distribution einen Ort, einen Service und ein Lager. Mein Point of Sale ist das Handgelenk der Kunden, der Service wird vom Kunden gemacht, die erklären den unaussprechlichen Namen, die Preise und die Idee dahinter und das Lager: Das haben wir nicht, denn wir verkaufen nicht eine Uhr, sondern das Recht, eine Uhr zu kaufen. 

Warum sind Sie eigentlich so auf Preise fixiert?

Für viele Leute sind 1000 Franken für eine Uhr viel Geld. Unsere Preise starten bei der Apple Watch. Wir wollen mechanische Schönheit zu Einstiegspreisen. Wissen Sie, warum so viele Uhrmacher unsere Uhren kaufen? Weil sie wissen, dass wir das kleinste Delta bieten zwischen Wert und Preis.

Haben Sie eine Vision für Ihre Firma?

Ich will weitermachen mit spektakulären Maschinen fürs Handgelenk zu spektakulären Preisen. Meine Mission ist, möglichst viele Leute mit meiner Marke in die Schweizer Uhrenwelt zu locken.

Wie reagiert die Industrie darauf?

Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie dich aus und dann kämpfen sie und dann gewinnt man - so ungefähr wie es Ghandi formuliert hat.

Wo stehen Sie?

Im Kampf. Es gibt Marken, die die gleichen Werke verkaufen wie wir und die aufgebracht waren, als sie unsere Preise gesehen haben und fangen an, unsere Qualität in Frage zu stellen. Auch ein paar Kunden wirken verunsichert. Kennen Sie den Veblen-Effekt?

Nein. 

Thorstein Veblen war ein amerikanischer Ökonom. Der nach ihm benannte Effekt wird auch «Snob-Effekt» genannt. Zugrunde liegt die Tatsache, dass In der Luxusindustrie Preis und Nachfrage sich umgekehrt verhalten. Wenn der Preis hoch ist, steigt das Begehren. Mein Tourbillon habe ich deshalb «Veblen-Dilemma» getauft und das auch in der Brücke eingraviert. Ich wusste, zu dem Preis würde die erste Reaktion sein, wenn es so günstig ist, ist es nichts wert. Die Leute sollen selber entscheiden, ob dieses Modell schlechter ist, nur weil es deutlich weniger kostet als andere. 

Aber sie können Druck machen auf den Hersteller des Tourbillons.

Nein, denn ich bin sein grösster Kunde. Sie bestellen 100, ich bestelle 1000. 2022 hat niemand mehr Swiss-Made-Tourbillons verkauft als wir. Und ich kann Ihnen versichern, wir können noch viel mehr machen, worüber sich einige grössere Marken aufregen könnten. 

Weil Sie Ihnen das Geschäft kaputt machen?

Rolex, Patek Philippe und Audemars Piguet haben keine Probleme wegen mir. Denen bin ich egal. Aber es gibt Marken, die den genau gleichen Tourbillon für 50'000 Franken verkaufen ohne Probleme.

Aber die haben ja auch nicht die Kunden, die Sie anpeilen, oder? 

Nein. Unser Kunde trinkt den Wein, nicht die Etikette.

Iris Kuhn Spogat
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