Manchmal helfen die ältesten Geschichten, um aktuelle Dynamiken zu verstehen. Beim Nachdenken über die derzeitige Preisentwicklung am Luxusuhrenmarkt bin ich auf Skylla und Charybdis gestossen. Der gute alte Odysseus, oberster Schlauberger der Mythengeschichte und Weltumsegler, muss durch eine Meerenge kommen. Links ein Ungeheuer (Skylla), rechts ein tödlicher Strudel (Charybdis). Egal, welche Richtung er wählt: Es wird ungemütlich werden.

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Auch wenn sich die Uhrenindustrie bester Gesundheit erfreut, weil das Konzept der steigenden Preise und des fallenden Angebots noch funktioniert: Es drohen zwei Gefahren – zumindest langfristig. Werden die Preise weiter so drastisch angezogen und die Stückzahlen reduziert, könnten sich jüngere, weniger finanzkräftige Kunden und Kundinnen irgendwann abwenden. Eine Omega Speedmaster Professional kostete vor 25 Jahren weniger als 2000 Euro, vor zehn Jahren 3500 Euro, vor fünf Jahren fast 5000 Euro und mittlerweile knapp 8000 Euro. Eine nochmalige Vervierfachung des Preises im nächsten Vierteljahrhundert würde sicherlich einen Grossteil des Nachwuchses abschrecken. Senkt man auf der anderen Seite die Preise und erhöht die Stückzahl, sinkt das Ansehen der Marke – im Luxus ein No-Go.

Odysseus entschied sich für den Kampf gegen das Monster – und gewann ihn. Nick Hayek, CEO der Swatch Group, machte es vor zwei Jahren ähnlich: Die Kooperation zwischen Omega und Swatch schuf ein erschwingliches Einstiegsmodell für eine neue, jüngere Zielgruppe. Das Monster wäre in dieser Geschichte der Image- und Wertverlust, der durch die Popularisierung einer Luxusmarke wie Omega entstehen kann. Aber die Rechnung ging auf, und vielleicht schuldet man Hayek in vielen Führungsetagen der Industrie deshalb einen Scheck.

Die Mythengeschichte hilft auch für einen Blick aufs grosse Ganze. Rolex spielt hier die Rolle des Uhrenolymps, der anscheinend zeitenthoben über den Dingen schwebt. Die Marke ist über Jahrzehnte hinweg dank hoher Qualität und streng reglementierter Stückzahlen so wertstabil geblieben, dass man sich wenig Sorgen machen muss – steigende Preise hin oder her. Auch Audemars Piguet und Patek Philippe sind auf den ersten Blick fein raus: Sie produzieren gerade mal 60’000 bzw. 70’000 Uhren im Jahr – für diese Art der Exklusivität wird es immer eine Zielgruppe geben.

Schwieriger könnte es für Marken mit grosser Stückzahl werden, die es nicht schaffen, diese Begehrlichkeit langfristig zu erzeugen. Aktuell mache ich mir um Omega, Breitling, IWC und Co. noch keine Sorgen. Aber können diese Marken weitere zehn bis zwanzig Jahre die enorme Preissteigerung durchhalten? Müssen sie weitere Moves wie Odysseus/Hayek riskieren, um durchzukommen, also jüngere Zielgruppen für sich zu begeistern? Die abenteuerliche Klettergeschwindigkeit der Preise sollten sie jedenfalls mal überdenken.

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