Kennen Sie Steve Blank? Er lehrt in Stanford und anderen Top Universitäten, war Mitgründer von acht Firmen – von welchen vier an die Börse gingen. Das Wirtschaftsmagazin «Forbes» nannte ihn einen der 30 wichtigsten Leute im Tech-Business. Er ist auch der Vater des «Lean Start-Up» Models, welches heute weltweit Anwendung findet. In einem kürzlich erschienenen Artikel argumentiert Steve, weshalb Tesla die heutigen 60 Milliarden Dollar an Börsen Kapitalisierung wert ist – obwohl die Firma letztes Jahr 700 Millionen Dollar verbrannte. Traditionelle Investoren rümpfen bei diesen Diskussionen oft die Nase, da, zugegebenermassen, Tesla nach traditionellen Vergleichswerten reichlich positiv bewertet ist. Ich habe in Tesla im frühen Börsengang investiert und denke, heute überbewertet oder nicht, Teslas Werdegang ist immer noch im frühen Stadium und grosse Wertsteigerungen zeichnen sich am Horizont ab.

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Und ich wage zu behaupten: Tesla wird seinen Marktwert innert zehn Jahren verzehnfachen (auf mehr als 600 Milliarden Dollar) – oder die Firma wird nichts mehr wert sein. Meinem ersten Szenario, «10x», gebe ich eine 90-Prozent-Wahrscheinlichkeit; dem Absturz-Szenario «0» die restlichen 10 Prozent. Mein Hauptargument basiert auf der Arbeit eines Schweizers. Sein Name: Alfred Escher, geboren 1819, Vater der modernen Schweiz. Er gründete die Schweizerische Kreditanstalt, baute den Gotthardtunnel. Er setzte Massstäbe, die bis heute gelten.

Elon Musk als Escher der Gegenwart

Was das mit Tesla zu tun hat? Nun, ein Investor vergleicht Tesla in der Regel mit VW, Toyota, General Motors oder Nissan. Nur: Tesla ist eben keine normale Autofirma – und Elon Musk kein normaler Unternehmer. Er ist der Alfred Escher der Gegenwart. Und weil Musk wie Escher die Welt verändert, kann man sie nicht einfach mit Firmengründern vergleichen. Ich sehe beide in der Reihe von Heroen wie Andrew Carnegie, J.P. Morgan, John D. Rockefeller.

2001 liess ich mich im Silicon Valley nieder, um meine Passion für Innovation und Unternehmertum auszuleben. Letzten Winter besuchte mich mein Vater, selbst Unternehmer. Über einem Schachspiel fragte er mich: «Was ist «early-stage investing?» Meine Antwort: Wir spähen nach Unternehmern, die das Zeug haben, ganze Industrien, ja Gesellschaften zu erschüttern und in eine neue, bessere Richtung zu bewegen. Klar möchten wir diese Firmen möglichst früh orten, damit ein Investment einen möglichst grossen Return bringt. «Du suchst also den nächsten Alfred Escher», resümierte er. Genau so ist es: Ich suchte Escher – und fand Musk. Nur leider war ich in seinem Fall zu spät, um ein richtiger «early-stage investor» zu sein.

Musk und Escher sind Jahrhundert-Unternehmer, weil sie nicht einfach Firmen innerhalb existierender Wertschöpfungsketten aufbauen, sondern ganze Wertschöpfungsketten etablieren (und existierende herausfordern und ersetzen). Gezwungenermassen müssen diese «Wertschöpfungsketten-Unternehmer» mehrere Unternehmen gleichzeitig aufbauen und andere Unternehmer motivieren zu folgen, um ihren Innovationstraum zu erfüllen. Musk schickt sich an, das Konzept der Verbrennungsmotoren mit nachhaltiger Energie-Wertschöpfungskette zu ersetzen. Klar brandet ihm Widerstand von allen Seiten entgegen, aber er wagt sich an Herausforderungen, die keiner anrührte.

Neue Geschäftsmodelle

Musk kreierte ein Geschäftsmodell, das nicht nur die etablierten Ikonen einer Industrie angriff, sondern er gründete neue Geschäftsmodelle – ähnlich wie Escher. Beide hatten Ansprüche, die weit über den Profit gingen. Escher wusste, dass die Schweiz ohne eigene Alpenquerung peripher wäre, weil Personen- und Warentransport von Nord nach Süd über Frankreich und Österreich abgewickelt würde – an der Schweiz vorbei. Also setzte er seine eigene Vision um. Nach zehnjähriger Bauzeit, Bergen von Zement und 1000 Tonnen Dynamit waren 63 Tunnels gesprengt und 34 Brücken gebaut. Die kleine Schweiz wurde so zur Plattform für Handel und Entwicklung.

Nicht nur das, Escher gründete die Nordostbahn (1853) und war treibende Kraft des  Zürcher «Polytechnikums» (1855), das heute mit dem Pendant in Lausanne zu den führenden Tech-Schulen der Welt gehört. Doch das Aufbrechen des Bestehenden ging viel weiter. Weil er für seine Infrastrukturpläne nicht auf ausländisches Kapital zurückgreifen wollte, gründete er eine Bank, die Schweizerische Kreditanstalt (1856), heute als Credit Suisse einer der grossen globalen Player der Finanzwelt.

Dass die SKA eine Lücke füllte, zeigte sich spätestens bei ihrem IPO: Die Aktie wurde 70fach überzeichnet und setzte europaweit neue Massstäbe. Und weil auch das Versicherungsgeschäft damals ins Rollen kam, stiess Escher die Swiss Life und die Schweizerischen Rückversicherung (heute Swiss Re) an, heute eine der führenden globalen Rückversicherungs-Gesellschaften. Alle diese Initiativen teilten eine grosse Vision und Strategie eines Wertschöpfungsketten-Unternehmers.

Branche auf den Kopf gestellt

Und nun bin ich wieder bei Musk. 2006 schrieb er «The Secret Tesla Motors Master Plan». Er war umfassend – und revolutionär: Die Welt sollte auf nachhaltige Energie umpolen, und später die Verkehrssysteme in Metropolen radikal geändert und eine Besiedlung des Planeten Mars ins Auge gefasst werden. Nun, allein mit seinem Projekt Tesla hat er eine ganze Branche auf den Kopf gestellt. E-Modelle setzen sich nun auf breiter Front durch. Volvo kündigte eben an, bis 2019 nur noch Hybrid- oder Elektromodelle auf den Markt zu bringen.

Alfred Escher war ein Arzt, ein Politiker und ein Geschäftsmann, der grosse Fragen anging. Musk ist ein Unternehmer und Investor, der existenzielle Fragen angeht und Lösungen durchsetzt. Klar, E-Fahrzeuge gibt es nicht erst seit heute, doch die Automobil- und Rohstoffindustrie verspürte wenig Lust, Verbrennungsmotoren auszusortieren. Incumbents, Politiker, Investoren, Lobbyisten, Gewerkschafter halfen, daran festzuhalten, weil sie mitprofitierten – auf Kosten der Nachhaltigkeit. Nun ist Musk drauf und dran, diese etablierte Mark Sortierung aufzubrechen.

Es bleiben meine 10 Prozent Unsicherheit bezüglich Tesla. Die Risiken liegen im Politsystem der USA und anderen Expansionsmärkten sowie die Talentkonzentration in Elon Musk. Musk kämpft für seine Visionen, für das Mars-Projekt SpaceX, für das er von Tag 1 an lobbyiert. Er engagierte sich auch in Präsident Trumps Industrie-Beratergremium – bis zum Tag, als Trump das Paris-Abkommen liquidierte. Doch Musk wird sich nicht zurückziehen oder gar aufgeben. Im Gegenteil. Kürzlich hat seine Firma Boring grünes Licht von der US-Regierung erhalten, einen unterirdischen Hyperloop zu planen, um die Reisezeit zwischen Washington und New York von heute knapp drei Stunden auf 29 Minuten zu verkürzen. Das hatten wir doch schon einmal: Eschers Gotthardtunnel verkürzte die Reisezeit und die Kosten durch die Alpen massgeblich. Und öffnete der Schweiz ungeahnte neue Chancen. 

Der Autor Philipp Stauffer ist Managing Director und Co-Founder, FYRFLY Venture Partners.