Der Sozialismus komme wieder in Mode: Das schreibt ausgerechnet der «The Economist», das 175 Jahre alte Zentralorgan von freier Marktwirtschaft, liberalem Freihhandel und Globalisierung. Dabei nennt das britische Magazin auch Alexandria Ocasio-Cortez als starkes Aushängeschild – die neu gewählte US-Kongressabgeordnete, die sich selbst als demokratische Sozialistin bezeichnet.

Der Sozialismus sei wieder ein Thema, weil er aufzeige, was in der westlichen Gesellschaft schief gelaufen sei, analyisiert der Leitartikel aus London. Hier bündle sich nicht einfach Kritik am Kapitalismus, sondern überhaupt Themen wie Klimawandel, Digitalisierung oder Geschlechter-Gerechtigkeit. Also Fragen, die nicht an einer alten ideologischen Haltung festgemacht werden können. Die rechte Seite hingegen scheine sich in «Richtung Chauvinismus und Nostalgie zurückgezogen zu haben», so «The Economist».

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Ungleichheit, Umwelt, Macht für die kleinen Bürger: Diese Problemen scheinen bei den Millennials auf offene Ohren zu stossen. Und so versammelten sich in den vergangenen Wochen auch in der Schweiz Zehntausende Jugendliche, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Ohne Partei, ohne Doktrin – einfach der Sache wegen. 

Die Frage der Schere

Das Revival des Sozialismus, besonders im angelsächsischen Raum erachtet der «Economist», als bemerkenswert: Etwa 51 Prozent der Amerikaner im Alter von 18 bis 29 Jahren haben eine positive Sicht auf den Sozialismus, fand das Meinungsforschungsinstitut Gallup heraus. In den amerikanischen Vorwahlen 2016 stimmten mehr junge Leute für Bernie Sanders als für Hillary Clinton und Donald Trump zusammen. Sanders tritt jetzt auch wieder zur US-Präsidentschaftswahl im Jahr 2020 an. Der 77-Jährige ist vor allem bei Jungen beliebt. 

Dabei geht es dieser US-Jugend nicht so sehr um die Revolution: Eine allgemeine Gesundheitsversorgung wie in anderen Industrieländern wäre schon mal schön. Aber etwas verbindet mit den alten Sozialisten von ehedem: Sie glauben, dass sich die Öffentlichkeit danach sehnt, dass Einkommen und Macht vom Staat neu verteilt werden. Sie wollen die Schere zwischen Arm und Reich wieder schliessen. Sie befinden, dass Behörden und Unternehmen nicht mehr den Interessen des einfachen Volkes dienen und «demokratisiert» werden müssen. 

Sozial sein ist wieder in

Doch wie sieht die Situation in der Schweiz aus? Wo wäre dieser «Millennials-Sozialismus» hier zu finden? Den Jugendlichen mit ihren Plakaten gegen den Klimawandel auf den Strassen von Basel oder Zürich zuzuschauen, war erfrischend. Die als «angepasst» geltende Generation hat sich plötzlich öffentlich fürs Klima eingesetzt. Solche demonstrierenden Menschenmassen hat man in der Schweiz seit Jahren nicht mehr gesehen. 

Auch sonst scheinen sich die Jungen in den Städten – also da, wo auch demonstriert wurde – für eine «gerechtere» und «grünere» Welt einzusetzen. Statistisch greifbar ist, dass die jungen Erwachsenen von heute eher darauf verzichten, den Führerschein zu erwerben. 

Die Schweizer Millenials – bewusst über ihre privilegierte Position – lassen sich gerne von der Sorge um die Ungleichheit in grossen Ländern wie Amerika oder Deutschland anstecken. Sie solidarisieren sich mit ihren Facebook-Freunden in anderen Ländern, die politische Botschaften über die Ungleichheit auf der Welt oder den drohenden Klimawandel auf Social Media teilen.

Letztlich wacht hier aber nicht der alte Sozialismus auf – eher wird Sinnhaftigkeit gesucht. Der «Economist» moniert allerdings, dass diese Suche an etwas krankt, nämlich am «Glauben an die Unbestechlichkeit des kollektiven Handelns».

Sozialismus oder Operation Libero?

Doch etwas fällt auch hierzulande auf: Das in den letzten Jahren auch bei Jüngeren sehr starke liberal-konservative Denken scheint zunehmend kritisch betrachtet zu werden. Es wird ideologisch angezweifelt und weckt mehr Widerstand bei den Millenials.

Von diesem aufflammenden Andersdenken profitieren Organisationen wie «Operation Libero» – und sie sind Ausdruck davon. Die Initianten konnten sich gegen mehrere Volksinitaitven engangieren, so etwa bei der «Durchsetzungsinitiative», der «No-Billag»-Initiative oder der «Selbstbestimmungsinitiative», die allesamt abgelehnt wurden. 

Aber nur den Status Quo anzuweifeln, wird auch den Millenials längerfristig nicht reichen. Fragen aufwerfen ist einfach, Anworten finden schwierig. Auch im Sozialismus.