Der Freitod eines Spitzenmanagers lässt nicht nur seine Familie und Freunde traumatisiert zurück. Er hat auch schwer kontrollierbare Auswirkungen auf jene Firma, für die der Manager über lange Zeit Gesicht in der Öffentlichkeit war. Wenn der Manager zudem eine Integrationsfigur nach innen war, wie es bei Ex-Zurich-CEO Martin Senn der Fall zu sein schien, wird die Sache noch komplexer. Firmen können nach einem solchen Ereignis, auch wenn es sich nach dem Ausstieg aus der Firma ereignet hat, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Der Umgang von Swisscom mit dem Tod von Carsten Schloter und andere Beispiele zeigen, welche Strategien einem Unternehmen, das von einem solchen Schock getroffen wird, offenstehen. Solche Reaktionen teilen sich in zwei Bereiche: Einmal Massnahmen zur Verarbeitung der unmittelbaren Trauer, einmal die Arbeit an einer veränderten Unternehmenskultur, die das Thema Resilienz, also die psychische Widerstandsfähigkeit auf allen Führungsebenen und bei allen Karriereschritten, in den Mittelpunkt stellt.

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Nach dem allgemeinen Schock sei es für Firmen Pflicht, psychologische Hilfe für die anderen Mitarbeiter anzubieten, sagt Barbara Weil, Leiterin der Abteilung Gesundheitsförderung und Prävention bei der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH). Wer welche Hilfe benötigt, hängt davon ab, wie gut man die Person kannte. «Wer sich jahrelang ein Büro mit einem Kollegen teilt, leidet stark unter dessen Suizid. Auf diese Mitarbeiter muss man zugehen und ihnen sagen, wo sie Hilfe bekommen können. Das muss dann auch die Firma bezahlen», sagt Weil, die sich zudem seit Jahren im Bereich der Suizidprävention engagiert.

Trauerarbeit und Organisationsarbeit

Beim Selbstmord eines CEO oder Ex-CEO, den zwar jeder kennt, aber mit dem nicht jeder jeden Tag zu tun hat, ist die Situation noch anspruchsvoller. Hier muss die unternehmensinterne Kommunikation Rat bei Kliniken oder auch bei in Unternehmen beschäftigten Psychologen suchen, um eine sensible Kommunikation nach innen und aussen zu erreichen. Die Arbeit an einer veränderten Unternehmenskultur ist noch komplexer und muss vor allem langfristiger aufrechterhalten werden. Ein Beispiel dafür ist Swisscom: Dort versuchte die Führungsebene nach dem Tod von Carsten Schloter, das Thema Gesundheit stärker in der Unternehmenskultur zu akzentuieren. Etwa indem die 24-Stunden-Erreichbarkeit kritisch hinterfragt wird. «Wir sensibilisieren die Mitarbeitenden darauf, ihre Erreichbarkeit bewusst zu steuern», erklärte Swisscom-Sprecher Sepp Huber. Ein interner Leitfaden für mobiles Arbeiten zielt in eine ähnliche Richtung.

Psychologen und Suizidforscher begrüssen solche Massnahmen. Sie alleine reichten aber nicht aus. Es dürfe nicht eine reine Fokussierung auf die Optimierung der Gesundheit gelegt werden. Dadurch bestünde nämlich die Gefahr, dass Themen wie Depression und Scheitern tabuisiert würden. Ein Mitarbeiter, der Rückenschmerzen habe, könne das dann problemlos ansprechen, für mehr mit Scham beladene Probleme bleibe in diesen Programmen wenig Platz. «Depressive Mitarbeiter schweigen aber im Zweifel und quälen sich durch den Job», sagt Suizidforscher Vladeta Ajdacic-Gross. Das Stigma der psychischen Krankheit sei noch immer gross. Ajdacic-Gross sieht deshalb die Personalabteilungen in der Pflicht. «Sie könnten hier viel leisten, um diese Krankheiten zu entstigmatisieren, indem sie Therapien unterstützen.»

Führungsausbildung ändern

Die Coaching-Angebote müssten aber auch auf CEO-Ebene ausgeweitet werden. «Die Einsamkeit des Leitwolfs wird bei Weitem unterschätzt», erklärt André Schläppi, CEO des Outplacement-Unternehmens Grass & Partner. «Eine Studie der Stanford University zeigt, dass 66 Prozent der befragten Manager keine externe Begleitung bei übermässigem geschäftlichem oder privatem Druck erhalten, aber nahezu 100 Prozent diese positiv sehen würden.»  Besonders wichtig seien Coaching- Massnahmen vor und während der Beförderungsschritte. Auch der Ausstieg aus der Firma brauche Begleitung. «Beim höheren Kader und dem Top-Management werden die Trennungsentscheide oft plötzlich und abrupt gefällt. Genau dann sollte eine Begleitung angeboten werden», erläutern Ella Gabriele Amann und Ulrike Clasen vom ResilienzForum. «Es sollte zum Regelfall werden, dass niemand an der Spitze unbegleitet die Unternehmung verlässt. Vor allem der Aufbau neuer sozialer Bezugsgruppen sollte nicht unterschätzt werden. Und auch hier sollte die gesamte Familie in die strategische Begleitung eingebunden werden.»

Nach Meinung des Resilienz-Experten Denis Mourlane sollte bereits bei der Auswahl von Führungskräften darauf geachtet werden, dass diese über ein genügendes Mass an Widerstandsfähigkeit, was auch Selbstreflexionsfähigkeit beinhaltet, verfügten. «Wir kennen mittlerweile einige Faktoren, die Resilienz ausmachen und die man messen und beobachten kann», so Mourlane. Antoinette Wenk Lang vom Resilienz Zentrum Schweiz geht noch weiter. Sie fordert, die gesamte Organisationsstruktur des Unternehmens kritisch zu prüfen: «Das Resilienzfeld des Unternehmens wird neben der Führungskultur auch durch die gesamte Organisationskultur geprägt. Aus diesem Grund lohnt es sich, die gesamte Organisationskultur unter dem Aspekt der Resilienz anzuschauen.» Dabei stünden Aspekte wie vertrauensvolles Arbeitsklima, wertschätzender Umgangston, echtes Interesse und Kontakt, konstruktiver Umgang mit Konflikten und Umgang mit Druck und Belastung im Vordergrund.

Stefan Mair
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