Der Onlinehandel floriert, immer mehr elektronische Gadgets und Küchengeräte werden in die Wohnstube geliefert – ein weisser, etwas schaumartiger Kunststoff schützt die Geräte sicher vor Schäden. Oft nennen wir ihn Styropor, was aber eigentlich ein Markenname ist. Doch was machen mit dem sperrigen Material? Meist landet es im Kehricht. Via Kehrichtverbrennung entweicht CO2 des erdölbasierten Materials in die Umwelt. Das muss nicht sein! 

Die Dämmstoffherstellerin swisspor AG der Gebrüder Alpstaeg hat ein Verfahren entwickelt, mit dem Styropor – oder EPS (expandiertes Polystyrol), wie es in der Fachsprache heisst – zu 100 Prozent wiederverwertet werden kann. «Mit der Gemeinde Montreux lancierten wir ein Pilotprojekt», sagt Geschäftsführer Marco Dalla Bona. In Big-Bags sammelt die lokale Kehrichtabfuhr den Stoff separat ein. Mit Erfolg. Nach zwei Jahren setzt sie eine Presse ein. Damit kann sie kompakte Paletten von rund 0,5 Kubikmetern produzieren – das entspricht mehr als 20 Kubikmeter EPS in loser Form. Das ist einfacher zu transportieren und spart erst noch CO2. 

In Châtel-Saint-Denis FR und in Boswil AG macht die swisspor daraus wieder einen neuwertigen Wertstoff. Wie beispielsweise bei Aluminium kann der Recycling-Prozess unbeschränkt wiederholt werden, ohne an der ursprünglichen Qualität zu verlieren. Montreux ist eine Erfolgsgeschichte, Städte wie Zürich, Luzern, Zug und Lausanne sprangen auf. Weitere stehen in der Warteschlaufe. «Aktuell rezyklieren wir auf diese Weise jährlich 901 Tonnen EPS aus Verpackungsmaterial, verzehnfachen diese Kapazität jedoch in den nächsten 12 Monaten», so Dalla Bona. 

Bedeutend grösser ist das Potenzial im Baubereich. Eine wichtige Quelle der Sekundärrohstoffe sind Schweizer Produktionsabfälle aus der Herstellung von Dämmplatten. Es fällt jeweils eine beträchtliche Menge an Frässtaub an. Bei einem Rückbau oder einer Sanierung eines Gebäudes wird die alte Dämmung meist entsorgt und die Umwelt unnötig mit CO2 belastet. Doch gebrauchtes Styropor kann Fassaden und Dächern ein zweites Leben einhauchen. Das schont Umwelt und Portemonnaie.
 

Die Schweizer Verantwortung

Pro Jahr bezieht die Schweizer EPS-Industrie 22 000 Tonnen neuen EPS-Rohstoffs. Die Wertschöpfung dieses Primärrohstoffs passiert im Ausland, allfällige Entsorgungsemissionen bei uns in der Schweiz. Diesen linearen Stoffstrom müssen wir aufbrechen und in einen zirkulären Stoffstrom überführen. Marco Dalla Bona macht die Rechnung: «Von 1973 bis 2023 wurden in der Schweiz 900 000 Tonnen EPS (Styropor) in Gebäuden verbaut – wenn man diese statt verbrennen bei uns rezyklieren liesse, könnten wir uns rein theoretisch in der Schweiz 40 Jahre lang selber versorgen.» Das heisst: Nicht nur die ganze Wertschöpfung bliebe in der Schweiz, auch die Umwelt könnte enorm profitieren. 

Die internationale Erdölkrise 1973 war der Startschuss für die Dämmindustrie. Damals begann man, Gebäude zu dämmen, um weniger Heizöl zu verbrennen. Die swisspor-Gründer, die Gebrüder Alpstaeg, waren von Anfang an die grossen Treiber, wenn es darum ging, alte Wertstoffe wiederzuverwerten. Ihre Hartnäckigkeit hat sich ausbezahlt – swisspor ist ein revolutionärer Schritt gelungen.

Die Krux mit dem Flammschutz

Das Verpackungsmaterial aus Styropor ist schadstofffrei. Der in der Bauindustrie eingesetzte Wertstoff enthielt früher hingegen den Flammschutz HBCD. Die Tüftler von swisspor haben ein Verfahren entwickelt, mit dem HBCD herausgefiltert wird. «Deshalb können wir auch HBCD-haltiges EPS zu 100 Prozent rezyklieren», betont Dalla Bona.

Ein Musterprojekt ist die Sanierung von drei Mehrfamilienhäusern mit 66 Wohnungen an der Sternmattstrasse in Luzern. Total 4000 Quadratmeter oder 12,8 Tonnen Dämmmaterial wurden professionell demontiert – und in Boswil rezykliert. In der Regel werden bei einem Rückbau eines Gebäudes die Fassade, die Putzschicht und die Dämmung zuerst entfernt und dann entsorgt. Das Schöne: Die Produktion des recycelten Styropors erzeugt viermal weniger CO2-Emissionen als die Produktion mit Primärrohstoffen. Noch etwas: Mit der Wiederverwertung wird altes Baumaterial zu einer inländischen Rohstoffquelle. Zudem sparen sich Bauherren die Kosten für die Kehrichtverbrennung, was schnell 600 bis 700 Franken pro Tonne ausmacht.

Die grossen Investoren und Bauherrschaften haben die Vorteile entdeckt und vertrauen immer öfter auf das Reyclingkonzept von swisspor. Aber laut Dalla Bona wird in der Schweiz am meisten im örtlichen Umfeld abgerissen und zurückgebaut. 

Dort gibt es noch grossen Spielraum: «Wenn ein Bauunternehmer seit drei Generationen das Material in die Kehrichtverbrennung liefert, macht er in diesem Stil weiter», weiss er aus Erfahrung. Er ermuntert Bauherren und Baugeschäfte, beim nächsten Mal aus ökologischen und ökonomischen Gründen auf einen geschlossenen, transparent zertifizierten* Schweizer Wertstoffkreislauf zu setzen: «Durch unser Recyclingverfahren ist es gelungen, ein nachhaltiges und zirkuläres Schweizer Bauprodukt herzustellen, welches hervorragende Dämmeigenschaften mit sich bringt und das im Vergleich zu anderen Dämmstoffen einen um bis zu 80 Prozent tieferen CO2-Fussabdruck aufweist.» Kommt hinzu: Wohn- oder Zweckbauten mit minimalstem Energiebedarf und hohem Anteil an zirkulären Baustoffen werden künftig deutlich werthaltiger sein als kostengünstigere Lösungen mit zweifelhafter Baustoffherkunft.

* VSPR, www.plasticrecycler.ch, Monitoringbericht 2022
 

Der Wertstoffkreislauf von EPS

Nicht erneuerbare Rohstoffe sind nicht unendlich verfügbar. Viele Materialien werden nach dem Gebrauch entsorgt. Dabei gehen wertvolle Stoffe verloren, die man weiterverwenden oder in andere Produkte umwandeln könnte. Dadurch würden sie sich in einem Kreislauf bewegen, statt schnurstracks in der Entsorgung zu landen und dabei erst noch die Umwelt unnötig zu belasten. Kein anderer Dämmstoff am Bau kann so verlustfrei zurückgebaut und praktisch unlimitiert immer wieder dem Wertstoffkreislauf zugeführt werden wie EPS. Dank dem Recycling-Konzept von swisspor erst noch alles in der Schweiz – ressourcenschonend, ökologisch und ökonomisch vorteilhaft. Es handelt sich quasi um eine lokal-nachhaltige Rohstoffbeschaffung von EPS, zu 98 Prozent aus Luft bestehend, der restliche Teil ist aus Kunststoff. 

Die Zwischenbilanz ist zukunftsweisend: Im letzten Jahr wurden 901 Tonnen EPS im swisspor-Recyclingzentrum in Boswil vollständig rezykliert. Weitere 37 Tonnen liegen als Lagermenge zum Recycling bereit. Dies entspricht einer Industrierückfuhrquote von 97 Prozent – eine Steigerung um zwei Prozentpunkte gegenüber 2021.            

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