Wir befinden uns in der vierten industriellen Revolution. Überall hört man, wie Blockchain, Roboter und das Internet der Dinge unser Leben komplett verändern werden. Zentral ist jedoch das Wort «verändern». Denn bisher hat sich mein Leben nur minim verändert.

Die Küche aufräumen nach dem Essen muss ich immer noch selbst, es gibt noch keinen Roboter dafür. Gemäss Experten wird es auch Jahre dauern, bis es ausgereifte Service-Roboter für den Heimgebrauch geben wird. Und auch das Internet der Dinge hat mein Leben noch nicht prägend verändert – mein Kühlschrank ist immer noch dumm.

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Etwas anderes hat mein Leben in den letzten Jahren massiv verändert: die Social Media. Einen Grossteil meiner Smartphone-Zeit verbringe ich in Social-Media-Apps. Der durchschnittliche Internetnutzer gebraucht sein Smartphone über drei Stunden und verbringt über zwei Stunden pro Tag auf sozialen Netwerken. 58 Prozent der Weltbevölkerung ab 13 Jahren sind aktive Social-Media-Nutzer. Bei den Digital Natives ist der Social-Media-Konsum noch deutlich ausgeprägter. In der Schweiz sind sämtliche fünf Lieblingsapps der jungen Generation der 14- bis 29-Jährigen Social-Media-Apps.

Unternehmen verschliessen ihre Augen vor den Social Media

Die Social Media stellen meiner Meinung nach die grösste kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung seit der industriellen Revolution dar. Und zwar nicht, weil wir heute über zwei Stunden pro Tag darauf verbringen, sondern weil die Social Media die Kommunikation disrumpiert haben. Dank ihnen gibt es heute Dialog, Kollaboration, Partizipation, «user-generated content» und Wissensmangement auf einem ganz neuen und bis vor kurzem noch unvorstellbaren Level.

Die Social Media haben die Kommunikation demokratisiert. Jeder kann mitmachen. Sie haben es geschafft, die Massenmedien arg in Bedrängnis zu bringen. Das bestehende soziale Gefälle zwischen Sender und Rezipient ist durch die Social Media verschwunden.

Doch selbst 2019 werden die Social Media des Öfteren belächelt – Unternehmen verschliessen ihre Augen davor. Sie tun die sozialen Medien als vorübergehende Hundeohren-Filter-Katzen-Content-Phase für Teenager ab. Darin verstecken sich gleich zwei Irrtümer. Der erste Irrglaube: Digital Natives ticken seltsam und sind für unsere Unternehmen nicht so relevant. Die Digital Natives werden um 2020 die grösste Bevölkerungsgruppe darstellen. Spätestens dann wird es für Unternehmen erfolgskritisch, wenn sie die Kundschaft in diesem Alterssegment nicht mehr mit ihren Produkten und Dienstleistungen bedienen können. Oder wenn diese digitale Generation nicht für diese Unternehmen arbeiten will.

Der zweite Irrglaube liegt darin, dass die Social Media lediglich etwas für Junge sind. Falsch. Sämtliche Altersgruppen nutzen sie.

Es handelt sich um ein weiches Kulturthema. Darin liegt die Krux.

Die Social Media können es mit den harten Technologien wie Digital Twin, künstlicher Intelligenz oder Blockchain nicht aufnehmen. Social Media sind ein weiches Kulturthema. Doch darin liegt gerade die Krux: Die meisten Privatpersonen und viele Unternehmen meinen, Social Media richtig einsetzen zu können. Doch nur die wenigsten können es tatsächlich. Und wer zu den Gewinnern zählen will, muss Social Media zuerst verstehen, ehe er oder sie sich Gedanken zu Quantum-Computing und Smart Spaces machen soll. Denn bei Social Media wird das Verb «sich verändern» nicht im Futur oder Konjunktiv, sondern im Präteritum verwendet.

*Sven Ruoss, Studienleiter Social Media an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich