Jede Generation hat ein Anrecht auf eine Steueramnestie – so tönt es aus Kreisen bürgerlicher Politiker. Und da der letzte vom Fiskus gewährte Generalpardon schon 32 Jahre zurückliegt, forderte das Parlament immer lautstärker, Steuerhinterziehern wieder einmal eine Chance zur kostengünstigen Selbstanzeige zu geben. Nach ausgiebigem Zögern machte sich Finanzminister Kaspar Villiger daran, Pläne für eine allgemeine Steueramnestie auszuarbeiten. Doch der vom höchsten Kassenwart im Juni dieses Jahres seinen Bundesratskollegen zur Begutachtung vorgelegte Entwurf für eine Steueramnestie wurde abgeschossen. Die rechtlichen und politischen Bedenken überwogen.

Auch unter Steuerexperten dominieren die Einwände gegen die Schonung von Steuersündern. «Eine Amnestie ist ungerecht gegenüber all jenen, die jahrelang ihre Einkünfte und Vermögen brav versteuert haben», gibt Stefan Steiner von der Kantonalen Steuerverwaltung Schwyz zu bedenken. Urs R. Behnisch spricht sich aus denselben Gründen gegen Nachsicht aus. Doch der Fürsprecher und Dozent mit Lehrauftrag am Institut für Steuerrecht der Universität Bern streicht auch die Vorteile einer Amnestie heraus: «Die deklarierten Schwarzgelder tragen der öffentlichen Hand nicht nur in einem beträchtlichen Ausmass Nachsteuern ein, sondern bringen auch künftig Steuererträge.»

Es geht um viel Geld. Die letztmals erteilte Absolution brachte ein knappes Dutzend Milliarden Franken an Unversteuertem ans Licht. Heute würde eine Steueramnestie, so schätzen Spezialisten, 30 bis 50 Milliarden Franken zu Tage fördern. Eine Riesensumme – und dennoch nur ein geringer Teil der total am Fiskus vorbeigeschmuggelten Gelder. Über deren Höhe gehen die Schätzungen weit auseinander. Einen Anhaltspunkt liefert die Verrechnungssteuer. Im vergangenen Jahr kassierte der Fiskus 35,2 Milliarden Franken an Verrechnungssteuern, davon wurden 29 Milliarden von den Steuerzahlern zurückgefordert. Unter dem Strich verbleiben 6,2 Milliarden Franken, die niemand will.

Allerdings schwankt diese Summe stark; über die letzten fünf Jahre blieben im Durchschnitt 3,8 Milliarden Franken liegen. Bei einem Verrechnungssteuersatz von 35 Prozent entspricht dies einem jährlichen Dividenden- respektive Zinseinkommen von 10,9 Milliarden. Unter der Annahme einer Bruttorendite von vier Prozent stellt sich das unversteuerte Gesamtvermögen auf mehr als 270 Milliarden Franken. Davon entfällt zwar gut die Hälfte auf Ausländer, welche die Verrechnungssteuer gar nicht wiederhaben wollen oder wegen fehlender Doppelbesteuerungsabkommen nicht zurückfordern können. Doch werden zu den verbleibenden 130 Milliarden die bei Steuerflüchtigen beliebten, weil verrechnungssteuerfreien Auslandsobligationen sowie die in Häusern, Kunstsammlungen und anderem geparkten Schwarzgelder dazugezählt, entziehen die Schweizer zwischen 200 bis 300 Milliarden Franken dem Zugriff des Fiskus.

Die Schweiz, ein einig Volk von Steuersündern? «Die Schweizer frönen der Steuerhinterziehung in geringerem Ausmass als etwa die Deutschen oder die Italiener», meint Anton-Rudolf Götzenberger, Spezialist für Schwarzgeld und Verfasser von Büchern zum Thema Steuerflucht. Doch das sei keine Frage der Mentalität. Vielmehr steige die Bereitschaft zur Steuerhinterziehung, je höher die Steuersätze ausfielen, stellt Götzenberger fest.

Sowieso sind das Gros der Steuerfrevler kleine Fische: die Hausfrau, die noch nebenbei putzt, der Handwerker, der nach Feierabend beim Nachbarn Arbeiten ausführt und dafür keine Quittung ausstellt. Steuerberater stellen immer wieder fest, dass mancher Kleinunternehmer Geld am Fiskus vorbeischummelt; falls seine einfache Gesellschaft in die Pleite segelt und er dafür mit seinem Privatvermögen haftet, kann er so noch auf ein Sicherheitspolster zurückgreifen. Der Steuerbeamte Stefan Steiner hat schon öfters die Erfahrung gemacht, dass ältere Leute einen – notabene unversteuerten – Notgroschen angelegt haben; nicht auf der Bank, sondern versteckt in der Wohnung.

Dabei ist Christoph Wyttenbach, Erbschaftsberater bei der CS Private Banking Bern, davon überzeugt, dass sich «Schwarzgeld nicht lohnt». Nur schon aus Renditegründen. Denn unversteuertes Kapital lässt sich nicht so ohne weiteres nach üblichen, erfolgversprechenden Gesichtspunkten investieren. Ja oft verleitet hinterzogenes Geld dazu, risikoreiche oder gar dubiose Anlagen zu tätigen. Zudem drückt die Verrechnungssteuer auf die Performance; die durch den Staat vom Ertrag abgezwackten 35 Prozent sind meistens höher als der Betrag, der bei ordentlicher Deklaration als Einkommenssteuer zu bezahlen wäre.

Ganz zu schweigen von der latent vorhandenen Angst, der Fiskus könnte einem auf die Schliche kommen. Allerdings ist «die Aufklärungsquote lächerlich tief», mokiert sich Urs R. Behnisch. Im Kanton Zürich beispielsweise wurden im vergangenen Jahr 845 Verfahren wegen vollendeter Steuerhinterziehung mit einer Busse abgeschlossen – damit kam auf 909 Steuerpflichtige ein Steuerhinterzieher! Dennoch beurteilt Bernhard Greminger, Stellvertreter des Chefs des Kantonalen Steueramts Zürich, die Ahndungserfolge «auch mit Blick auf die Situation in den anderen Kantonen als insgesamt gut».

So gering das Risiko des Entdecktwerdens auch ist, wer über längere Zeit Einkommen hinterzogen hat und dabei ertappt wird, muss bei schwerem Verschulden den Grossteil seines erzitterten Depots dem Fiskus abliefern. So hatte in dem von den BILANZ-Steuerexperten Dr. Thomas Fischer & Partner konstruierten und der Steuerverwaltung Schwyz zur Begutachtung vorgelegten Rechenbeispiel der Steuersünder Marcel Arnold 78 Prozent seines über zehn Jahre hinterzogenen Einkommens an die öffentliche Hand zu überweisen. Hätte er sich selbst angezeigt, wären 38 Prozent des Schwarzgeldes fällig geworden – ein immer noch saftig hoher Betrag. Doch auch wenn die Steueramnestie beim Einkommen vom Tisch fiel, ist der Gang zum Steuerberater empfehlenswert; dieser kann grob veranschlagen, wie teuer eine Deklaration kommen dürfte.

Bei geerbtem Schwarzgeld, das über Jahre nicht deklariert wurde, ist sowieso in den meisten Fällen die Selbstanzeige zu empfehlen. Wenn die Hinterlassenschaft keine grosse Einkommenskomponente enthält, bewegen sich die Abgaben in akzeptablem Rahmen. Und wer Schwarzgeld vererbt bekommt und dieses umgehend deklariert, darf vom Steueramt mittlerweile nicht mehr mit einer Strafsteuer belegt werden. Diese frische Milde ist nicht dem Rechtsempfinden der Schweizer Justiz entsprungen. Vielmehr kam das Veto gegen die Praxis der Strafsteuer vom Europarat. Dazu der Steuerexperte Pierre-Alain Rom von der Rom Treuhand: «Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Schweiz wegen dieser Strafsteuer gerügt. Denn gemäss Menschenrechtskonvention darf niemand für etwas bestraft werden, das er nicht getan hat.» Wie im Falle einer Erbschaft, wo der Erblasser Steuern hinterzogen hat und nicht der Erbe.

Wer jüngst in den Besitz einer Hinterlassenschaft gekommen ist und darin Schwarzgeld vorgefunden hat, sollte allerdings mit einer Selbstanzeige noch etwas zuwarten. Zwar ist Villigers grosse Steueramnestie im Papierkorb gelandet. Doch das Eidgenössische Finanzdepartement arbeitet für eine Amnestie bei Erbschaften gegenwärtig zwei weich gespülte Vorschläge aus, die Anfang 2002 zur Diskussion gestellt werden sollen. Die eine Variante sieht eine pauschale Nachsteuer vor, die andere basiert auf dem so genannten Tessiner Modell. Im Kanton südlich des Gotthards sind die Erben von Schwarzgeld bei einer Selbstanzeige nicht nur von der Strafsteuer, sondern gleich auch von der Nachsteuer für die vorangegangenen Jahre befreit. Dieses Modell dürfte Bundesbern etwas gar zu weit gehen.

Lesen Sie ausserdem in der November-Ausgabe der BILANZ zum gleichen Thema:

Wege zur lohnenden Steuerplanung: Ungeachtet der Steuerharmonisierung bleibt ein kantonaler Wirrwarr bei den Gesetzen. BILANZ zeigt, wie Sie Steuern sparen können. Mit über 25 Tipps und Tricks.

Kaufen Sie jetzt die aktuelle BILANZ an Ihrem Kiosk oder bestellen Sie ein Probe-Abo!

Partner-Inhalte