BILANZ: Herr Dumas, im Januar werden Sie CEO von Hermès, dem Unternehmen, das Ihr Vorfahre Thierry Hermès vor 176 Jahren gegründet hat. War Ihnen der Job in die Wiege gelegt?

Axel Dumas: Oh nein, gar nicht. Meine Eltern wie auch Jean-Louis Dumas, mein Onkel, der Hermès sehr lange sehr erfolgreich geführt hat, haben immer betont, dass es ihnen wichtig sei, dass meine Generation ihren Weg frei wähle. Ich habe denn auch Philosophie studiert. Nach dem Abschluss wollte ich unbedingt nach China. Ich bewarb mich für unzählige Jobs und bekam schliesslich einen bei einer Bank, die mich nach Peking schickte.

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Sie sind Banker geworden, um nach China zu kommen?
So war es. Das Banking hat mir dann sehr gut gefallen. Nach zwei Jahren in China kehrte ich nach Frankreich zurück und zog von da aus weiter nach New York als Investment Banker und wäre es vielleicht noch heute, wäre nicht mein Onkel eines Tages zu Besuch gekommen. Beim Mittagessen sagte er mir, er hätte gerne, dass ich in die Firma komme.

Also doch Druck.
Nein, zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich einfach nur geehrt –und sagte sofort zu.

Jean-Louis Dumas hat Ihnen den roten Teppich ausgerollt?
Er hat mich gefragt, ob ich ins Unternehmen einsteigen würde. Und dann, was ich machen wolle. Ich antwortete, alles sei mir recht, ausser Finance. Er holte mich dann in die Finance-Abteilung.

Gemein.
Mein erster Gedanke war, dass er das so entschieden hat, um meine Widerstandskraft zu testen, ich kann das bis heute nicht ganz ausschliessen. Andererseits merkte ich rasch, dass Finance ein guter Einstieg war, da ich das Unternehmen so in seiner ganzen Tiefe kennen lernte.

Sie waren nun ein paar Monate unter den Fittichen von Noch-CEO Patrick Thomas, der die Nachfolge Ihres Onkels angetreten hat. Was hat Thomas Sie gelehrt?
Er ist ein bisschen wie mein Onkel – Old School und Franzose. Will heissen: Er ist sehr präzise bei allem, was er nicht gut findet. Ich bekomme von ihm immer sehr schnell und sehr aufrichtig Feedback.

Patrick Thomas war der erste familienfremde CEO. Was übergibt er Ihnen?
Er ist der Mastermind hinter der Hermès-Reorganisation. Früher wurde geführt wie in einer kleinen Firma, heute führt man wie in einem grossen Unternehmen. Dazu musste vieles geändert werden, ohne unsere Werte und unseren Spirit zu verlieren.

Was wurde geändert?
Heute wird viel mehr delegiert. Entscheide werden nicht nur von einem Einzigen gefällt wie zu Zeiten von Jean-Louis Dumas. Heute sind die Chefs der einzelnen Divisionen wie Unternehmer im Unternehmen aufgestellt.

Trotzdem: Sie treten ein schweres Erbe an.
Kein schweres, ein starkes.

Aber Sie werden sicher mit Ihrem Onkel verglichen.
Ich traf mich oft mit ihm, als er noch lebte. Er versuchte nie, mir vorzuschreiben, was ich zu tun habe. Im Gegenteil: Er sagte immer, du musst deinen eigenen Weg finden und gehen.

Was wird Ihr Fussabdruck sein?
Mein Fussabdruck? So ticke ich nicht, mein Ego ist dafür nicht gross genug. Mir reicht es, wenn meine Grosskinder einmal glücklich sind mit dem, was ich für Hermès erreicht habe.

Sie denken in grossen Zeitabschnitten.
Das ist relativ. Ich führe Hermès in sechster Generation. Vor mir gab es sehr charismatische Leader und andere. Aber jeder schaffte es, die Firma auf ein neues Level zu bringen.

Ihr neues Level ist das Internet?
Das Internet wird sicher ein wichtiges Thema bleiben. Wir waren die Ersten, die 2001 einen Online-Shop hatten und genug Zeit, um herauszufinden, wie sich Online- und Boutiqueverkäufe zueinander verhalten. Als wir in Australien unseren E-Shop eröffneten, dachten wir, wir müssten in diesem Riesenland wohl überallhin liefern. So war es nicht. Die Verkäufe konzentrierten sich auf die Orte, wo es Hermès-Geschäfte gibt. In zehn Jahren werden 80 Prozent der Kunden, die in den Laden kommen, die Produkte, die sie interessieren, im Internet angeschaut haben. Also müssen wir dafür sorgen, dass unser Style, unser Image, unser Geist auch online erhalten bleiben.

Ihre grösste Herausforderung?
Für Kontinuität zu sorgen. Dazu müssen wir unsere Produktion und unsere Zulieferer im Griff haben, wofür wir viel Geld ausgeben. Kürzlich haben wir ein Unternehmen gekauft, das Gehäuse für Uhren herstellt, und bei Lyon eine Firma, die Stoffe bedruckt. Demnächst akquirieren wir eine Gerberei.

Warum kaufen Sie diese Unternehmen?
Es geht nicht anders. Wir sind es von der Geschichte her eigentlich gewohnt, auf der Basis von Partnerschaften zu funktionieren. Aber die Wirtschaft hat sich geändert. Wir müssen diese Zulieferer kaufen, um zu verhindern, dass sie zumachen.

Warum?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Im Gerbereigeschäft war es bislang so, dass man die besten Häute Frankreichs an Hermès verkaufte, die weniger guten an die Schuhhersteller. Nun gibt es in Frankreich wegen der Globalisierung kaum mehr ein Schuhbusiness – die Gerbereien sind in Schwierigkeiten. Um sie zu schützen, kaufen wir sie und sichern uns damit unsere Qualität.

Warum kaufen Sie die Häute nicht einfach woanders?
Das geht nicht. Für unsere Qualität entscheiden Details wie die Qualität des Wassers, das beim Gerben verwendet wird. Was wir brauchen und verarbeiten, ist genau diese Qualität, und die lässt sich nicht replizieren.

Eine Krux.
Nein, das ist unser Selbstverständnis und die Basis von allem, auch von unserer Wachstumsstrategie. Als ich hier 1988 mein erstes Praktikum machte, steuerte Seide 50 Prozent zum Umsatz bei und Lederwaren neun Prozent. Trotzdem haben wir uns nicht vom Ledergeschäft verabschiedet, denn es ist unsere Wurzel. Heute macht es 46 Prozent des Geschäfts aus. Es ist meine Aufgabe, auch künftig in Bereiche zu investieren, die bei uns Geschichte haben und Potenzial, wie Uhren, Schmuck und Ready-to-wear.

Warum konzentrieren Sie sich nicht auf Leder?
Hermès war immer diversifiziert und wird es bleiben. Heute stellen wir 50 000 verschiedene Produkte her.

50 000?
Ja, die sieht aber nie jemand alle zusammen, denn es gibt kein Hermès-Geschäft, das alles hat, und es gibt auch nicht zwei Hermès-Geschäfte, die genau das gleiche Angebot haben.

Aber alle führen Wartelisten für die Birkin Bag. Wann schaffen Sie die ab?
Die Wartelisten sind eine Konsequenz unseres Prinzips, zu unseren Werten zu stehen und sie zu beschützen. Das hat mit Authentizität zu tun und keinesfalls mit Absicht oder Kalkül.

Stellen Sie doch einfach mehr Fachkräfte ein.
Das machen wir, 150 bis 200 pro Jahr, aber es braucht im Schnitt drei Jahre, bis diese so weit ausgebildet sind, dass sie unsere Qualitätsstandards meistern. Bei uns wird jede Tasche von einer Person hergestellt und am Ende auch von ihr signiert. Da steckt Seele drin. Das macht den grossen Unterschied. Klar könnten wir die ganze Produktion umstellen, Arbeitsprozesse aufteilen. Das wäre vielleicht wirtschaftlich günstig, aber es ginge Essenz verloren. Das kommt so wenig in Frage wie der Kostenreduktion Priorität einräumen.

Wie bitte?
Ich habe vor zwei Jahren, als der Goldpreis sehr hoch war, vorgeschlagen, den Goldanteil an unseren Taschen zu reduzieren, und zwar nur wenig, sodass es gar nicht auffiele. Da hat einer unserer Kunsthandwerker aufgestreckt und gesagt: «Stimmt, das würde jetzt nicht auffallen, aber in ein paar Jahren hat so eine Tasche nicht die gleiche Patina.» Damit war meine Idee begraben.

Hermès ist an der Börse kotiert. Fluch oder Segen?
Public zu sein, hat viele gute Aspekte. Es gibt Transparenz. Auch ein Familienmitglied, das nicht in der Firma arbeitet, weiss, dass die Zahlen stimmen. Zudem verpflichtet es einen zu Disziplin und zu Wachstum. Wir sind allerdings nicht an Wachstum um jeden Preis interessiert, Börse hin oder her.

Zum Leidwesen der Finanzanalysten.
Diese Leute haben tatsächlich immer wieder mal ein Problem mit uns. Ich erinnere mich ans Boomjahr 2004. Damals monierten sie, wir hätten zu viel Cash, würden zu wenig anlegen – behaupteten, wir würden Geld aus dem Fenster werfen.

Damals waren Sie in der Finanzabteilung. Wie haben Sie reagiert?
Man muss die Finanzanalysten anhören, klar, aber das heisst noch lange nicht, dass man sich ihnen beugt. Sie folgen oft einfach irgendwelchen Trends.

Wie zum Beispiel?
Derzeit ist es das, was wir schon immer machten: Werthaltigkeit, Qualität, Handwerk, Tradition. Und alle schauen auf uns. Das war nicht immer so und wird nicht für immer so bleiben. Was ich sagen kann: Wenn der Trend wieder dreht, werden wir nicht mitdrehen, sondern bei dem bleiben, woran wir glauben.

Gleich bleiben?
Ja, aber das heisst nicht, dass alles gleich bleibt: Um zu bleiben, wer und wie wir sind, müssen wir uns ständig verändern. Aber eben nach unserer Façon.

Bernard Arnault, der reichste Mann Frankreichs und Besitzer von LVMH, hat jüngst eine Beteiligung von 23 Prozent an Hermès aufgebaut, in, wie er sagt, freundlicher Absicht. Sie aber reagierten sehr abwehrend. Was ist das Problem?
So offen unsere Gesprächskultur eigentlich ist, darüber zu sprechen, ist heikel geworden, da inzwischen jedes Wort von Arnaults Anwälten auf die Goldwaage gelegt wird. Wir haben einen Disput. Mehr will ich nicht sagen.

Haben Sie Arnault je persönlich darauf angesprochen?
Nein, darum kümmern sich unsere Anwälte. Wir könnnen es uns nicht leisten, uns voll in diesen Zwist zu stürzen. Wir müssen die Firma entwickeln.

Sie haben nicht nur Anwälte eingeschaltet, sondern auch eine Holding gegründet. Warum?
Um die Einheit der Familie und unsere Entschlossenheit zu demonstrieren, selbständig zu bleiben. Die Holding besitzt fünfzig Komma etwas Aktien, und zwar für die nächsten 20 Jahre.

Warum kooperieren Sie nicht einfach mit LVMH?
Unsere Geschäftsmodelle passen nicht zusammen. Ich sage nicht, das eine sei besser als das andere. Aber kompatibel sind wir keinesfalls.

Hüter der Tradition
Axel Dumas hat Jura und Philosophie studiert und dann als Banker in Peking und New York gearbeitet. 2003 ist der heute 42-Jährige auf Wunsch seines Onkels Jean-Louis Dumas, dannzumal CEO von Hermès, ins Familienunternehmen eingestiegen. 2013 wurde er zum Nachfolger von Patrick Thomas, dem ersten und einzigen familienexternen CEO von Hermès, ernannt. Im Januar 2014 tritt er die Stelle an.

Iris Kuhn Spogat
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