Raus aus der Bauflaute, rein in den Boom – so könnte man das Credo der Schweizer Bauherren in den letzten drei Jahren beschreiben. Eine Studie von Wüest und Partner über den Geschäftsflächenmarkt Schweiz belegt, dass seit Beginn der Neunzigerjahre nie mehr so viele Bürogebäude projektiert worden sind wie in den letzten zwei Jahren. Doch wer braucht schon Studien? Ein Blick aus dem Fenster genügt: Allein neun Baukräne und drei Grossbaustellen umstellen das Gebäude, in dem die BILANZ beherbergt ist. Und von der Dachterrasse aus lassen sich nicht nur Dauerstaus und Dauerumleitungen besichtigen, sondern auch die Dauerbaustelle Zürich Nord.

Das war nicht immer so. Vor drei Jahren herrschte Platzmangel an allen Ecken und Enden. Internationale Firmen drängten nach Zürich, und personalintensive Branchen wie Versicherungen, Banken und New-Economy-Unternehmen expandierten. «Unternehmen, die es heute gar nicht mehr gibt, beabsichtigten, riesige Server-Farmen aufzustellen und benötigten Unmengen an Platz», erinnert sich Abi Pranjes vom Immobilienbüro SPG Intercity. «Diese Unternehmen waren bereit, den doppelten bis dreifachen Preis für Büroflächen zu bezahlen.» Damit war der Boden für die Goldgräberstimmung bei den Bauherren bereitet. Von da an verdoppelte sich die Zahl der Baugesuche von Jahr zu Jahr. Die Hälfte der gesamten Investitionen für Geschäftsgebäude flossen in den Raum Zürich. Eine schlechte Lage für ein Bürogebäude gab es nicht, denn das Angebot war ohnehin zu knapp.

Aktivismus am Geschäftsflächenmarkt
Doch dann geschah, womit niemand gerechnet hatte. Die konjunkturelle Schönwetterlage brach ein. Zahlreiche Unternehmen der New Economy verschwanden von der Bildfläche, Beratungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen verhängten Einstellungsstopps. Aus Expansion wurde Stagnation oder gar Reduktion.

Das Telekommunikations-Unternehmen Digiplex musste sein geplantes Rechenzentrum in der Grösse von 122 000 Quadratmetern in Altstetten wieder stornieren. Auch das Hightech-Unternehmen JDS Uniphase träumt heute nur mehr von seiner projektierten Filiale in der Grubenstrasse in Zürich. Viele der rasch erbauten Bürogebäude, die vor zwei Jahren noch reissenden Absatz gefunden hätten, kämpfen heute um jeden Mieter. Wie zum Beispiel ein kürzlich fertig gestelltes Bürogebäude der Allreal in der Andreasstrasse in Oerlikon, das noch zu 70 Prozent leer steht.

Ebenso zeichnen sich Schwierigkeiten bei der Vermietung des West-Park-Bürohauses im Industrieviertel Zürichs ab. Das Gebäude mit einer Nutzfläche von 30 000 Quadratmetern wird im Spätsommer bezugsfertig, konnte aber erst zu 40 Prozent vermietet werden. Die Vermarkter klagen: «Es gibt derzeit einfach zu viele laufende Projekte», so Monika Jegerlehner vom Immobilienbüro Privera. Privera vermarktet Puls 5, ein Grossprojekt von Intershop, auf der ehemaligen Giessereihalle der Sulzer Escher Wyss. Bis Herbst 2003 soll das Gebäude bezugsbereit sein, bislang konnten erst 30 Prozent der Ladenfläche vermittelt werden. Die Büroflächen und die Wohnungen stehen noch ganz leer.

Roger Ehrler vom Immobilienbüro Colliers kämpft mit anderen Problemen: «Interessenten wollen, wenn überhaupt, erst bei Fertigstellung des Gebäudes einen Mietvertrag unterschreiben und nicht auf Grund von Bauplänen.» Eine verzwickte Situation für Investoren, denn sie stehen vor der Entscheidung, ob sie nach einer unbefriedigenden Vermarktungsphase ihres Projektes mit dem Bau beginnen sollen oder nicht.



Anfang der Neunzigerjahre hatte man diese Probleme nicht. Da wurde der erste Spatenstich getan, egal, ob fixe Mietverträge vorlagen oder nicht. Doch der Kollaps für die Bauherren kam, als die Zinsen hochschnellten und die Auslastung der Gebäude immer schwieriger wurde. Nicht alle haben aus dieser Vergangenheit gelernt und bauen nach wie vor auf gut Glück. So geschehen beim Business-Tower in Frauenfeld, der nach seiner Fertigstellung erst zu 30 Prozent ausgelastet ist.

Bremsspuren beim Bau
Andere Bauherrn haben zwischenzeitlich die Flaute am Geschäftsflächenmarkt bemerkt und sind auf die Bremse getreten, so etwa beim Projekt Cubus, einem 11 000 Quadratmeter grossen Geschäftsgebäude in Oerlikon, dessen Baubeginn bereits letzten Herbst angesetzt gewesen wäre. Ebenso ergeht es dem kleineren Nordhof in Oerlikon. In der Region Zürich wurde letztes Jahr fast jedes dritte Projekt gestoppt oder aufgegeben. Wüest und Partner schätzen, dass auch für das laufende Jahr etwa jedes vierte Neubauprojekt in seiner Umsetzung gefährdet ist. Die Kosten von rund einer halben Million Franken, die in der Planungs, Werbe- und Baugesuchsphase anfallen, werden in Kauf genommen. Ein Projekt nach der Grundsteinlegung zu stoppen, wäre zu teuer und käme nicht in Frage.

Werner Richli, Immobilienanalyst bei der Credit Suisse, wundert sich nicht über die Rückzieher der Bauherren: «Derzeit sind im Grossraum Zürich Büroflächen von rund einer Million Quadratmetern angedacht, geplant, bewilligt oder bereits im Bau. Bei einer Fortsetzung dieses Trends würde in den kommenden drei Jahren so viel gebaut wie sonst in einem ganzen Konjunkturzyklus. Dies hiesse gleichzeitig, dass netto gegen 40 000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden müssten, um diese Flächen zu füllen.»

Ungeachtet dieser Entwicklungen projektieren einige Hartgesottene munter weiter. Die Baugesuche und Baubewilligungen befinden sich mit einem Gesamtwert von 160 Millionen Franken auf einem Rekordhoch. Und dies bei sinkenden Renditen am Geschäftsflächenmarkt. «Vor zwei Jahren lag die Bruttorendite für Geschäftsflächen noch bei acht bis neun Prozent», weiss Abi Pranjes von SPG Intercity. «Heute liegt sie eher bei fünf Prozent. Der Quadratmeterpreis in Wallisellen ist von 450 bis 550 Franken auf 250 bis 300 Franken gesunken. In Wiedikon, Binz, Zürich Nord, Wallisellen, Kloten und Glattbrugg müssen so gut wie alle Vermieter Abstriche machen.»

Letztes Jahr sind die Preise für Geschäftsflächen laut einer Studie der Credit Suisse um rund fünf Prozent gestiegen. In näherer Zukunft wird sich dieser Trend jedoch nicht fortsetzen. Die Immobilienhändler gehen laut einer Umfrage des Schweizer Hauseigentümerverbandes von einem Preisrückgang aus.

Während sich die Bauherren im Geschäftsflächenmarkt um Kunden prügeln, bleibt der Wohnungsbau vernachlässigt. Sandra Burlet vom Hauseigentümerverband begründet diese Entwicklung mit dem Rechtsschutz, der im Bürosektor wesentlich vermieterfreundlicher ist als im Wohnbereich. Auch schreckt der höhere Verwaltungs- und Investitionsaufwand, der unweigerlich auf die Rendite drückt, viele Investoren ab. Doch während die Rendite im Wohnsektor im Durchschnitt zwar nur um die fünf Prozent pendelt, ist das Risiko eines Leerstands wesentlich geringer. Denn die Nachfrage ist anhaltend hoch.

Die Credit Suisse weist in ihrer kürzlich veröffentlichten Immobilienstudie darauf hin: «Der Mietwohnungsmarkt in Zürich und Genf ist dermassen ausgetrocknet, dass nicht von einem funktionsfähigen Markt gesprochen werden kann», heisst es dort. «Selbst im inneren und äusseren Agglomerationsgürtel von Lausanne, Zürich und Genf hat sich die Anspannung des Wohnungsmarktes massiv verschärft.» In Zürich stehen derzeit 118 leere Mietwohnungen einer Wanderungsbewegung (Zuzüge, Umzüge, Wegzüge) von 120 000 Personen pro Jahr gegenüber. Doch das allein scheint den Bauherren nicht zu genügen, um die Nachteile des Wohnungsbaus zu kompensieren. Ob das Baubarometer demnächst wieder in Richtung Wohnungsbau ausschlägt, weil sich viele die Finger am Geschäftsflächenmarkt verbrannt haben, wird wohl nur die Zeit zeigen.

Bauen für die Katz

Flaute am Wohnungsbaumarkt
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