BILANZ: Der Wirtschaft geht es schlecht, Cartier geht es wunderbar. Herr Fornas, können Sie uns diesen Widerspruch erklären?

Bernard Fornas: Der Wirtschaft ist es tatsächlich schon besser gegangen, das ist richtig. Aber bei einem global agierenden Unternehmen darf man nicht nur in die Schweiz oder nach Europa schauen, sondern muss die Lage auf der ganzen Welt betrachten: Es gibt auch Länder mit bemerkenswertem Wachstum.

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Anders gesagt: Cartier geht es dort gut, wo es der Wirtschaft gut geht?

Nein, Cartier geht es generell gut. Aber Cartier geht es natürlich noch besser, wenn es der Wirtschaft gut geht.

Wir verstehen Sie richtig: Cartier geht es auch dort sehr gut, wo es der Wirtschaft nicht gut geht?

Sagen wir mal so: Wir haben eine Widerstandskraft, die sehr gross ist, vor allem deshalb, weil wir uns in zehn verschiedenen Metiers oder Handwerkskünsten bewegen. Wir sind der unangefochtene Leader für hochwertigen Schmuck mit einer schönen Performance, wir haben die Uhrmacherei, in der wir weltweit der zweitgrösste Top-Player im Markt sind, und dann haben wir ausserdem Lederwaren, Brillen, Feuerzeuge, Füllfederhalter, Parfums, Geschenke. Wie Sie sicher wissen, verkauft sich nie alles gleichzeitig gut oder schlecht. Dies gilt sowohl für die Produkte wie auch für die globale Wirtschaft. Sie können in einem Land sehr stark sein und in einem anderen zur selben Zeit ernsthafte Probleme haben. Denken Sie an den 11. September, als in den USA plötzlich alles stillstand!

Sie spürten das?

Nach dem 11. September 2001 führte in den USA nichts am Befund vorbei, dass die Stimmung nun wirklich nicht fantastisch war. Oder nach der Sars-Geschichte in Asien: Da fühlte sich niemand in der Traumstimmung, ein Schmuckstück oder eine Uhr zu kaufen. In anderen Regionen der Welt konnten wir diese Ausfälle kompensieren. Wenn es in Asien nicht gut geht, sind die Chancen intakt, dass es stattdessen in den USA gut läuft oder in Europa. Die Wirtschaft wird zwar zunehmend globalisiert, und die Märkte werden vernetzter, aber gewisse Ereignisse und Dynamiken bleiben dennoch auf einzelne Staaten oder Regionen beschränkt. Cartier ist ein spezielles Tier: Wir haben sozusagen zehn Arme und fünf Beine, denn wir sind sowohl hinsichtlich unseres geografischen Wirkungskreises als auch bezüglich unseres Angebotes sehr diversifiziert. Das macht uns widerstandsfähig.

Anders gesagt: Wenn es jemandem schlecht geht, findet man immer einen andern, dem es gut geht?

Das kann man so sagen, sowohl auf die Produkte als auch auf die Regionen bezogen. Wir haben Zeiten erlebt, in denen der Uhrenmarkt Turbulenzen durchlebte – damals ging dafür das Schmuckgeschäft viel besser. Alles gleicht sich letztlich aus. Kommt hinzu, dass das Unternehmen Cartier immer mit Mut in die Offensive gegangen ist, das sehen Sie auch an den neuen Produkten, die jetzt auf der Lancierungsrampe stehen.

Beispiel?

Es gibt nicht nur ein Beispiel, es gibt viele Beispiele. Im Uhrenbereich würde ich die Lancierung der neuen Santos-Linie nennen, die der Marke extrem viel bringt.

Und was bedeutet Luxus für Sie ganz persönlich?

Luxus wird von Menschen kreiert, die etwas erneuern können, mit immer neuen Ideen aufwarten und nicht einfach Nachahmer sind. Es gibt viele Marken, die sich als Luxusmarken bezeichnen, in Wirklichkeit aber nichts anderes als blosse Nachahmer sind. Wenn das deren Strategie ist – schön. Aber dies ist nicht unsere Art, die Dinge zu sehen. Wenn das Haus Cartier heute stärker als bisher auf der Bühne des Grand Luxe präsent ist, dann hat das damit zu tun, dass dieses Haus seit 158 Jahren allen Konkurrenten immer voraus war. Das Geheimnis liegt darin, Trends zu antizipieren, adäquate Produkte zu schaffen und damit im genau richtigen Moment auf den Markt zu kommen.

Beispiel?

Vor drei Jahren lancierten wir unsere Schmucklinie Le baiser du dragon. Es braucht eine gewisse Zeit, um so etwas zu entwickeln. Unsere Kreativen hatten das Thema China gespürt, lange bevor es in aller Leute Mund war. Im November 2002 dann, als wir damit auf den Markt kamen, berichteten alle Zeitschriften über China. Wir hatten das Thema richtig vorhergesehen und waren im richtigen Moment präsent. Wir haben 25 Designer, und 99,9 Prozent dessen, was bei Cartier lanciert wird, werden auch von Cartier kreiert. Diese exzellente Force de Frappe von Designern spürt den Zeitgeist. Antizipation ist die herausragende Qualität erfolgreicher Kombattanten.

Klingt überzeugend. Wir möchten allerdings wissen, was für Sie ganz persönlich Luxus bedeutet. Wann sagen Sie sich: So, jetzt gönne ich mir Luxus?

Das ist ein bisschen delikat, weil es eine so persönliche Frage ist. Für mich ist Luxus die rare Perle, etwas extrem Seltenes, schwierig zu Findendes. Eine Sache, die sehr limitiert ist etwa, etwas scheinbar Unauffindbares, das man dann doch aufgespürt hat und es sich schliesslich gönnt.

Geben Sie uns ein Beispiel?

Gewisse Uhren zum Beispiel, von denen pro Jahr nur ein paar Stück hergestellt werden, sind ein Luxus, weil alles für diese Produkte gegeben worden ist: Kreativität, Qualität, Zuverlässigkeit, Raffinement, Langlebigkeit. Das ist auch eine Disziplin, die Luxusmarken beherrschen müssen: die Produktion auch dann einzustellen, wenn immer noch Käufer Schlange stehen, die ein Produkt erwerben möchten. Wir bei Cartier müssen immer ein paar Uhren oder Schmuckstücke weniger verkaufen, als der Markt sich eigentlich wünschen würde.

Wir insistieren, Herr Fornas. Was ist Luxus für Sie, was macht Ihnen Freude?

Das kann ein ganz schönes Bild sein. Ein schönes Auto. Ein rares Sammelstück.

Konkret?

Ich gebe Ihnen kein Beispiel, das ist persönlich und interessiert gewiss niemanden. Aber richtig ist: Ich sammle gerne schöne Dinge, und ich habe da meine Kriterien.

Sie besitzen eine Art-déco-Sammlung.

Ich habe Art déco gerne, das ist richtig. Ich würde sagen, Art déco ist gleichzeitig Moderne und Reinheit in den Formen. Das gefällt mir, und es war eine Epoche, die extrem reich war an Kreationen und Qualität. Aber wenn ich Ihnen hierfür Beispiele geben müsste, könnten wir den ganzen Tag allein damit verbringen …

… wir könnten uns fürs Erste auf Ihre liebsten Uhren beschränken.

Meine liebsten Uhren? Von Cartier?

Von wem auch immer.

Ich habe je nach Bedürfnis verschiedene Favoriten. Für das Ästhetische wäre es die Cartier Santos-Dumont, die in Form und Proportion perfekt ist. Man kann nichts mehr verbessern daran. Ich besitze sie in Rosagold und halte sie für extrem raffiniert. Aber ich mag auch Uhren von der befreundeten Konkurrenz. Ich schätze Vacheron-Constantin zum Beispiel, von denen ich auch ein Exemplar mein Eigen nennen darf. Es sind Uhren, die sich bezüglich Form und Engineering von unseren eigenen unterscheiden. Vacheron-Constantin ist für herausragende technische Lösungen bekannt, weshalb ich sie sehr schätze. Also: Die Santos-Dumont liebe ich wegen ihrer bestechenden Schönheit, die Vacheron wegen ihrer Technik.

Welches sind sind die treusten Kunden von Cartier?

Wir haben einen hohen Frauenanteil unter unserer Kundschaft. Insbesondere auf Grund des Schmuckes sind wir eine eher feminine als maskuline Marke. Ich würde allerdings sagen, diese Marke ist fähig, die verschiedensten Kundensegmente zu bedienen. Da unsere Produktepalette recht breit ist, lässt sich die typische Cartier-Kundschaft kaum in einem einzigen Profil definieren. Wir bedienen jüngere und ältere, männliche und weibliche Personen und versuchen, diese mit verschiedenen Produkten anzusprechen.

Das kann problematisch sein.

Ich betrachte es eher als eine Stärke von Cartier. Wir wenden uns an alle Generationen und Geschlechter. Alle können aus unserer breiten Produktepalette etwas finden, das in ihr individuelles Budget passt.

Alles in allem ein extrem breites Spektrum, das wohl nur schwierig zu managen ist.

Man kann die Tatsache, dass wir ein extrem breites Produktespektrum haben, tatsächlich als Problem sehen – mit Komplikationen im Verwalten der verschiedenen Produktelinien, bei der Herstellung, im Lager usw. Hierbei ist allerdings einzuwenden, dass wir hervorragende Arbeitskräfte haben und uns in unserem Markt sehr gut auskennen. Des Weiteren sind wir ein Haus mit langer Tradition, weshalb wir unsere Kunden gut kennen. Und schliesslich existiert Cartier seit bald 160 Jahren, was unserer Fähigkeit, Prognosen über Entwicklungen zu stellen, ein selbstredendes Zeugnis ausstellt.

Sie sind mit Cartier in China präsent, Sie sind in Russland, Sie sind überall vertreten, in komplett unterschiedlichen Märkten. Wie kann man dennoch ein unverwechselbares Markenimage beibehalten?

Wir achten darauf, unsere Marke oder die DNA unserer Marke immer auf dieselbe Weise zu präsentieren. Dass die Marke zum Beispiel in China oder Russland genau gleich wahrgenommen wird, erfordert eine ständige Gratwanderung zwischen globalem Markenimage und lokaler Anpassung. Was sich zwischen den Kulturen unterscheidet, sind die Verhandlungsart und die Kanäle, in denen ein Image transportiert wird. Bei den Produkten gibt es dagegen eher wenige Anpassungen. Wir haben Erfolge, die ich fast als planetarisch bezeichnen möchte, zum Beispiel mit der Tank Française oder der Pasha. Diese Modelle treffen einen Nerv, was überkulturell und überzeitlich zu wirken scheint.

Und wie gehen Sie in China vor?

In China haben wir schon elf Boutiquen. Wir waren die Ersten dort und sind die erste Marke, die Schmuck aus 18 Karat Gelbgold verkaufen darf. Warum? Weil wir uns gut geschlagen haben und die richtigen Kontakte knüpften. Ende Jahr werden wir 16 Boutiquen haben. Wie wir das machen? Wir reden mit den Chinesen in der Cartier-Sprache, das heisst, wir erklären ihnen, was Cartier ist. Zum Beispiel haben wir in Shanghai drei Monate lang die Collection privée von Cartier ausgestellt. Wir haben die Ausstellung «Montres et Merveilles» in Peking organisiert und unsere Uhren gezeigt. Wir geben Diners mit VIPs an allen wichtigen Orten. Wir sind mit der gleichen Dynamik in China wie in Genf.

Sie sagen, Sie seien punkto Prognosen besser als andere. Welche Trends sehen Sie in der Uhrenbranche auf uns zukommen?

Der Markt hat sich sehr verändert. Es gibt viele neue Mitspieler, viele neue Marken mit intelligenten Leuten und viel technischem Wissen. Das ist gut so, weil die Branche als Ganzes weitergekommen ist und Marktanteile zurückerobert hat. Ich sehe eine Tendenz zu grossen Uhren. Was früher eine grosse Uhr war, wird heute als lächerlich kleines Stück wahrgenommen. Eine Uhr wie die originale Tank suchen Sie mittlerweile auf dem Handgelenk.

Dies ist allerdings kein ganz neuer Trend. Denken Sie, er hält weiter an?

Es ist immer noch ein Trend, und interessanterweise hat er sich auch auf den Frauenbereich ausgedehnt. Das ist eine ungebrochen wichtige Tendenz. Dann gab es auch ein grosses Wiederaufleben des mechanischen Werkes. Sogar asiatische Frauen möchten heute lieber ein mechanisches Werk, und zwar auch in einer Schmuckuhr. Das ist neu.

Wo sehen Sie das Potenzial für die Marke Cartier?

Beim Schmuck sind wir weltweiter Leader. Und der Markt für Schmuck ist weltweit ungefähr 140 Milliarden Dollar wert. 40 Milliarden Dollar entfallen auf das Spitzensegment. Darin sind wir mit fünf bis sechs Milliarden Dollar vertreten. Die Marke Cartier hat also einen schönen Weg vor sich mit einem Potenzial irgendwo zwischen 5 und 40 Milliarden Dollar. Wir werden alles daransetzen, in diesem Bereich weiterzukommen.

Sie produzieren viel in der Schweiz. Wie wichtig ist das Land für Cartier?

Die Schweiz ist sehr wichtig. Denn Cartier hat eine Basis in der Schweiz, und alle Uhren werden in der Schweiz hergestellt.

Und was erwarten Sie von der Schweiz?

Ich hoffe, dass der Tourismus wieder anzieht. Touristen sind für uns auch gute Kunden. Leider war die Zahl der Touristen in den letzten Jahren rückläufig.

Was könnte die Schweiz vom Erfolg von Cartier lernen?

Kühnheit. Ich halte das Haus Cartier für sehr kühn. Es gibt Leute, denen das manchmal nicht gefällt und die das stört. Aber Kühnheit gehört ebenso zu uns wie auch Pioniergeist. Ich weiss, wir werden manchmal als die Saurier der Juwelierbranche angesehen. Wir dürfen allerdings sagen, dass wir der Juwelier sind, der am schnellsten rennt. Wir rennen den jüngeren Sauriern zuweilen um die Ohren. Ich glaube, dies verdanken wir unserer Kühnheit. Warum waren wir die Ersten in China und auch die Ersten in Russland? Weil wir kühn sind. Wir palavern nicht lange, wir gehen einfach. Der Sinn für Dringlichkeit und Kühnheit sowie unsere ausgeprägte Kreativität sind die Werte, die uns ausmachen und die uns von dem anderen unterscheiden.