BILANZ: Herr Doll, Sie sind einer der ganz wenigen Finanzexperten, die den Einbruch an den Aktienmärkten schon zu Beginn des Jahres vorhergesagt haben.

Bob Doll: Diese Prognose war ziemlich umstritten. Ich wurde von allen Seiten ungläubig mit Fragen bombardiert. Wie man jetzt sieht, hatte ich ja Recht.

Was gab Ihnen Anlass, diesen Kursrückgang zu erwarten?

Die Märkte waren so lange angestiegen, die Erwartungen hatten die Realität aufgeholt, und es gab erste Skepsis. Bedenken Sie auch, dass wir in den USA seit vier Jahren keinen deutlichen Kursrückgang mehr erlebt haben. Auch die technischen Kennzahlen liessen den Markt müde aussehen.

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Wie wird es jetzt weitergehen?

Das Wirtschaftswachstum und das Gewinnwachstum der Unternehmen werden sich abschwächen. Bevor das passiert, gerät der Markt meistens unter Druck. Hinzu kommt, dass wir uns im zweiten Jahr des Präsidentschaftszyklus in den USA befinden. Und das zweite Jahr ist normalerweise ein schlechtes Jahr.

Von Seiten der Unternehmen wird es in diesem Jahr also keine positiven Überraschungen mehr geben?

Ganz im Gegenteil. Zum Ende des Jahres wird sich das Gewinnwachstum auf jeden Fall verlangsamen. Das sieht zwar im Moment noch nicht danach aus, denn das erste Quartal war exzellent, und das zweite wird auch ziemlich gut sein. Aber ab der zweiten Hälfte wird das Wachstum nicht mehr zweistellig sein.

Wird das die Märkte noch mal negativ beeinflussen?

Diese Entwicklung ist schon grösstenteils von den Marktteilnehmern vorweggenommen worden. Was die Höhe des Preisverfalls angeht, ist die Korrektur schon fast vorüber. Aber was die zeitliche Dauer des Abwärtstrends betrifft, sind wir vermutlich noch nicht so weit. Der Grossteil der Kurskorrektur kam ziemlich schnell, und jetzt geht es noch eine Weile sehr langsam weiter runter.

Mittelfristig sind Sie aber ein Aktienbulle. Was stimmt Sie denn so optimistisch?

Was wir zurzeit erleben, ist eine Korrektur in einem Bullenmarkt. Ich sehe keine Anzeichen für einen Bärenmarkt. Es gibt keine schlimmen Exzesse, die korrigiert werden müssen. Rund um den Globus und vor allem in den USA sind die Bewertungen gut. Der US-Markt ist so billig wie zuletzt vor zehn Jahren.

Eine gute Bewertung allein bedeutet aber nicht, dass die Kurse steigen werden.

Aber sie ist ein Hinweis für ein gutes Chance-Risiko-Verhältnis. Noch ist viel Unsicherheit im Markt. Die Investoren bangen darum, wann die Fed ihre Zinssteigerungen beenden wird und ob sie es übertreiben wird, ob die Wirtschaft stabil bleibt und ob die Inflation ein Problem sein wird. Wenn diese Fragen alle zu unserer Zufriedenheit beantwortet werden – und davon gehe ich aus –, wird sich eine Basis für einen starken Markt formen.

Ist der kürzlich erfolgte Kursrückgang mit einer Situation in der Vergangenheit vergleichbar?

Dieser ist der Situation Mitte der achtziger und Mitte der neunziger Jahre sehr ähnlich. Alle drei Jahrzehnte begannen mit einer Rezession. Die Zentralbank senkte die Zinsen. Die Wirtschaft erholte sich. Die Aktienmärkte zogen an. Dann in der Mitte des Jahrzehnts entschied sich die Notenbank für eine neue Politik. Die Wirtschaft brauchte deren Meinung nach keinen Stimulus mehr. Sie normalisierten die Zinsen, was eine beschönigende Beschreibung für einen Zinsanstieg ist. In den vergangenen zwei Jahrzehnten gab es dann einen Kursrückgang an den Aktienmärkten – in diesem Jahrzehnt haben wir ihn im vergangenen Mai erlebt.

Also werden wir für die zweite Jahreshälfte...

...noch eine zweite Halbzeit der wirtschaftlichen Erholung und des Bullenmarktes erleben. So war es in den Neunzigern und Achtzigern. Daher bin ich auch so optimistisch.

Welches sind die grössten Risiken, die dieses Jahr die Märkte noch schwächen könnten?

Die Fed könnte ihre Politik übertreiben. Denn die Inflation ist ein Problem, und die Notenbanker wollen nun etwas stärker auf die Bremse treten. Auch die politischen Risiken sind in diesem Jahr höher als normalerweise. Die Tatsache, dass 2006 in den USA Senatswahlen sind, ist ein Risiko. Es besteht die Möglichkeit, dass die Republikaner ihre Mehrheit verlieren. Die Märkte mögen keine Veränderungen, bis sie wissen, welche Konsequenzen diese mit sich bringen. All diese Dinge können die Ängste nähren, derentwegen wir diese Korrektur schon hatten.

Glauben Sie, dass die Angst vor Inflation übertrieben ist?

Vor drei Monaten hat man sich wohl zu wenig Gedanken darüber gemacht, inzwischen zerbricht man sich vielleicht zu sehr den Kopf darüber. Die Inflation nimmt zwar zu, aber sie steigt von einem sehr tiefen Niveau auf ein immer noch tiefes Niveau. Die Richtung ist zwar schlecht, aber das Ausmass ist kein Problem.

Sind Sie generell mit der Zinspolitik der US-Notenbank zufrieden?

Die Fed bekommt von mir eine Fünf plus für ihre Politik.

Aber für die Kommunikation nur eine Zwei minus. Ben Bernanke hatte einen schweren Start und tappte gleich zu Beginn seiner Amtszeit in ein Fettnäpfchen, indem er mit einer TV-Journalistin etwas zu offenherzig über seine Politik plauderte.

Alan Greenspan hat ebensolche Dinge in seinem ersten Jahr erlebt. Die Leute werden sich zwar daran erinnern, aber
lachen. Sicherlich wird Bernanke seinen Weg finden. Alan Greenspan kannte auch niemand, als er gewählt wurde. Er hatte auch ein hartes erstes Jahr.

Von der Fed zu Ihren Aktienempfehlungen: Welche Titel werden am Ende des Jahres die Gewinner sein?

Das ist immer noch die schwierigste aller Fragen. Zyklische Aktien werden gute Investments sein, aber nicht durch die Bank. Solide Wachstumstitel, die in den vergangenen drei bis vier Jahren hinterherhinkten, werden erstarken. Ich setze auf ein mehr diversifiziertes Portfolio. Denn es ist jetzt entscheidend, die richtigen Einzeltitel herauszupicken. Viel wichtiger, als sich auf einige Sektoren zu konzentrieren.

Sie sind immer noch positiv gegenüber Energie- und Ölaktien eingestellt.

Die meisten Rohstoffe haben sich in den vergangenen Monaten 20 bis 30 Prozent verbilligt. Öl hat sich dagegen kaum bewegt. Der Ölpreis wird so lange hoch bleiben, bis plötzlich auf der ganzen Welt Friede herrscht. Das ist zwar eine wirklich schöne Vorstellung, ist aber leider unwahrscheinlich.

Von welchen Sektoren raten Sie ab?

Wir untergewichten Konsumtitel. Das sind zwar gute Firmen mit bekannten Namen, aber die Aktien sind zu teuer. Die Firmen leiden zudem unter den steigenden Kosten wegen der Rohwarenpreise. So schrumpfen ihre Margen. Ich investiere jetzt lieber in Unternehmen aus dem Industriesektor als in solche, die näher am Konsumenten sind.

Erwarten Sie eine Abschwächung der Konsumausgaben?

In der Tat. Der US-Konsum wird wegen der steigenden Zinsen und der Energiepreise zurückgehen. Zudem steigen die Immobilienpreise in den USA nicht mehr deutlich an, und die Sparquote liegt bei null und darunter. Nachdem die US-Konsumenten jahrelang die Weltkonjunktur angetrieben haben, wird jetzt eine Flaute einsetzen.

Gilt das auch für den Konsum in Europa?

Etwas weniger ausgeprägt, denn die Konsumenten in Europa sind weniger ausgebeutet als in den USA. Vor allem in Deutschland hat sich die Konsumentenstimmung verbessert, nachdem der Konsum jahrelang schwach war.

Vielleicht liegt das an der Fussballweltmeisterschaft.

Das kann sein (lacht). Die Fussballer machen dem Konsum Beine.

Betrachten Sie auch den europäischen Aktienmarkt?

Ich habe die höchste Präferenz für Asien, die zweithöchste für Europa, und zuletzt kommen die US-Börsen. In den vergangenen Jahren haben sich die europäischen Märkte aber besser entwickelt, als die meisten Investoren – ich eingeschlossen – erwartet hatten. Ich bin auch immer noch positiv gegenüber den europäischen Schwellenländern eingestellt.

Die Kurskorrekturen in den Schwellenländern waren wohl gerechtfertigt, nach dem Boom, der dort stattfand.

Dieser Kursrückgang ist ganz klassisch. Denn diejenigen, die am meisten gewonnen haben, verlieren später am meisten. Das gilt für jeden Markt, jeden Sektor, sogar für jeden Einzeltitel.

Interessieren Sie sich ausser für die Schwellenländer Europas noch für andere, zum Beispiel in Lateinamerika?

Ich finde beide attraktiv und ziehe sie gegenüber den entwickelnden Ländern Asiens vor. Meine Sicht auf die Schwellenländer Europas ist generell positiv. In Südamerika schreibe ich vor allem Brasilien viel Potenzial zu.

Welche Risiken sehen Sie für diese Märkte?

In Südamerika ist sicher der Dollar ein Risikofaktor. Die Tatsache, dass in jeder grossen Volkswirtschaft Lateinamerikas in diesem Jahr Wahlen stattfinden, deren Ausgang ich natürlich nicht kenne, löst Unsicherheit aus.

Wagen Sie schon einen Blick auf die Aktienmärkte 2007?

Wenn ich damit Recht behalte, dass die Korrekturen über den Sommer beendet werden und die globale Wirtschaft stabil bleibt, dann erwarte ich auch für das nächste Jahr weitere Kurssteigerungen. Wir werden zwar keinen Boom erleben, aber die Richtung wird nach oben sein.

Bob Doll

Bob Doll schloss 1976 sein Studium in Rechnungslegung und Volkswirtschaft an der Universität Lehigh ab. An der Wharton School erlangte er zudem einen MBA. Er begann seine Karriere bei Citicorp Investment Management. Nach sieben Jahren wechselte er zu Oppenheimer Funds, wo er zum Chief Investment Officer avancierte. Seit 1999 arbeitet der 52-Jährige bei Merrill Lynch Investment Managers (MLIM). Schon zwei Jahre nach seiner Einstellung wurde Doll dort Präsident und Chief Investment Officer. Zudem managt der musikalische Anlageexperte – er spielt Klavier und Orgel – eine Reihe von US-Aktienfonds.