BILANZ: Sie haben sich verspätet. Mussten Sie sichergehen, dass Sie nicht verfolgt werden?

Carson Block: Nein, ich habe mich nur verfahren und musste erst den Ort suchen.

Sie decken Betrugsfälle bei chinesischen Firmen auf. Sind Sie aus Vorsicht kaum in Chinatown in L.A.? Sie sorgen ja dafür, dass man Ihren Wohnort nicht erfährt. Wurden Sie schon bedroht?

Es gab Drohungen, auch Todesdrohungen gegen mich, meine Frau und weitere Familienmitglieder.

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Der Hedge Fund Manager John Paulson hat bei der Holzfirma Sino-Forest Millionen Dollar verloren. Auch einige Schweizer Banken wie CS, UBS, Pictet und Julius Bär, beziehungsweise ihre Kunden, waren dort oder in anderen Aktien dabei, die durch Ihre Anschuldigungen massiv an Wert verloren haben.

Ich verhindere mit meinen Recherchen, dass noch mehr Anleger Geld in diese Betrugsfirmen investieren und noch mehr verlieren. Der Betrug fliegt irgendwann sowieso auf. Ich sorge nur dafür, dass es etwas früher passiert.

Es ist aber auch ein Geschäft für Sie. Wenn Sie eine Firma angreifen, dann fällt deren Aktienkurs. Und Sie setzen jeweils schon vorher darauf, dass der Kurs fallen wird.

In den Analyseberichten steckt sehr viel Arbeit. Bei meiner Firma Muddy Waters arbeiten nicht einfach Leute mit MBA-Abschluss, die den ganzen Tag irgendwelche Excel-Tabellen wälzen. Unser Team besteht aus Unternehmern, die in China aktiv waren oder noch aktiv sind.

Sie haben schon über zwei Milliarden Dollar Marktwert bei verschiedenen chinesischen Firmen vernichtet und dabei sehr viel Geld verdient. Müssen Sie überhaupt noch arbeiten?

Von Müssen kann keine Rede sein. Alle in meinem Team machen ihre Arbeit gerne. Das ist teilweise auch eine sehr persönliche Sache.

Inwiefern persönlich?

Alle im Team haben auch Geschäfte in China aufgebaut oder aufbauen wollen. Jeder kennt den Typ des Machers in China, der glaubt, dass die Regeln für ihn nicht gälten und dass er tun könne, was er wolle.

Es ist also auch eine Art Rache?

Ja, es ist auch Rache an denen, die ehrliche Geschäfte in China schwieriger machen, als sie eigentlich sein sollten.

Haben Sie das einst selber erfahren müssen, als Sie in Shanghai Ihre Firma für Selbsteinlagerungen (Self-Storage) aufbauten?

Ich habe selber viele Fehler gemacht. Aber ich hatte es auch mit unehrlichen Leuten zu tun, die mein Geschäft schädigten, mich vorschnell altern liessen.

So etwas passiert doch überall auf der Welt. Sie gehen aber ausschliesslich gegen chinesische Firmen vor. Haben Sie gar etwas gegen Chinesen?

Ich habe nichts gegen Chinesen, höchstens gegen chinesische Betrüger. Dass ich längere Zeit in China gelebt habe, hat mir vor Augen geführt, dass sich dort fast alles verdunkeln lässt – sicher mehr als in den USA.

Wie sind Sie zur Aufgabe gekommen, Betrügereien bei chinesischen Firmen aufdecken zu wollen?

Mein Vater hat eine kleine Aktienanalysefirma in den USA. Er war eines Tages an einer Konferenz, an der verschiedene in den USA kotierte chinesische Firmen angepriesen wurden. Eine davon hiess Orient Paper, ein Papierhersteller.

Das war die erste Firma, die Sie dann gejagt haben.

Mein Vater war begeistert, wollte wissen, was ich davon halte.

Sie waren damals in Shanghai mit Ihrer Firma beschäftigt.

Die Promotoren von Orient Paper erzählten meinem Vater, dass der Chairman der Firma, Zhenyong Liu, anders sei als sonstige chinesische Firmenbosse: Er trinke nicht, rauche nicht und stelle auch nicht Frauen nach. Ich reagierte sehr skeptisch.

Wieso skeptisch? Das sind doch positive Eigenschaften.

Ich fragte mich, warum das an einer Investorenkonferenz Thema war. Ich hatte die Vermutung, dass jemand die amerikanische Anlegerpsyche zu beeinflussen versuchte und einen Mythos um den VR-Präsidenten Liu bilden wollte. Das sprach für mich stark gegen die Firma.

Ihr Vater wollte seinen Kunden die Firma Orient Paper mit einer Aktienanalyse präsentieren. Als Gegenleistung würde er Aktien der Firma im Wert von rund 200 000 Dollar erhalten.

Das Geschäft mit den Aktienanalysen läuft normalerweise so. Die Anleger sind nicht bereit, genügend dafür zu bezahlen, also kommt das Geld meist von den Firmen, direkt oder indirekt. Wir bei Muddy Waters machen das eben nicht so. Wir versuchen Aktienanalysen mit Eigenhandel zu verbinden. Die Analysen sind sehr teuer. Wir gehen vor Ort und nehmen das, was das Management uns erzählt, nicht einfach für bare Münze.

Haben Sie damals mit dem Finanzchef von Orient Paper überhaupt sprechen können?

Ich stellte ihm viele Fragen zu einer geplanten Fabrikerweiterung, von denen er praktisch keine beantworten konnte. Im Gespräch stellte sich heraus, dass Orient Paper kurz zuvor dem Verwaltungsratspräsidenten eine Firma für rund zwölf Millionen Dollar abgekauft hatte.

Das tönt in der Tat ziemlich eigenartig. Wie erklärte denn der Finanzchef den Vorgang?

Der Finanzchef erklärte, es sei ein guter Deal für Orient Paper, sie hätten das von externer Stelle überprüfen lassen, von einer lokalen Firma in der Provinz Baoding, also am Geschäftssitz der gekauften Firma. Ich dachte, oh mein Gott, es würde den Verwaltungsratspräsidenten Zhenyong Liu nicht viel kosten, diese Leute zu kaufen.

Sie dachten also sofort an Betrug. Warum haben Sie den aber nicht angezeigt?

Ich dachte: Wahrscheinlich bereichert sich das Management. Aber schauen wir mal, ob für die Aktionäre genug übrig bleibt, sodass die Aktie trotzdem ein gutes Investment sein könnte.

Eine sehr pragmatische Sichtweise. Aber wie konnten Sie überprüfen, wie gut das Investment sein könnte?

Ich kontaktierte einen Freund in China, der sich mit Fabriken auskennt, um die Firma in China zusammen zu besichtigen.

Was sahen Sie dort?

Zuerst schauten wir uns alle Geschäftsunterlagen der Firma an. Wir fanden offensichtliche Schummeleien.

Zum Beispiel?

Die zehn Topkunden der Firma änderten jedes Jahr. Trotz dieser Kundenfluktuation wuchs der Umsatz der Firma aber rasant. Für jeden, der schon einmal ein Geschäft aufgebaut hat, ist klar, dass es schon schwierig ist, den Umsatz stabil zu halten, wenn auch nur einige der zehn Topkunden abspringen. Aber dann noch zu wachsen, mit solchen Raten – das ist praktisch unmöglich.

Gab es neben dieser eher unwahrscheinlichen Kundenbuchhaltung noch mehr Auffälligkeiten?

Der Hauptlieferant von Orient Paper war eine Handelsfirma, die dem Verwaltungsratspräsidenten Liu persönlich gehörte. Orient Paper hätte also den Zwischenhändler überhaupt nicht gebraucht.

Gingen Sie nach diesen Erkenntnissen die Fabrik überhaupt noch besichtigen?

Ja, als wir durch die Fabrik liefen, sagte mein Kollege zu mir: «Schau, wir haben sie.» Es war eine potemkinsche Fabrik. Überall im Betrieb war Wasser. Die Arbeiter falteten Karton, während das Wasser in das Papier einzog, es musste völlig unbrauchbar sein.

Welche Schlüsse haben Sie aus diesen Erlebnissen gezogen?

Als wir Baoding verliessen, waren wir sehr aufgeregt. Wir konnten nicht glauben, was wir herausgefunden hatten. Ich dachte, wow, die Firma hat eine Marktkapitalisierung von über 100 Millionen Dollar und ist eigentlich fast nichts wert. Wir könnten wetten, dass der Kurs fällt, und dabei viel Geld verdienen.

Könnten? Sie haben das doch wirklich getan.

Nicht sofort. Nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen hatte, bekam ich Bedenken.

Weshalb denn? Waren Sie Ihrer Sache doch nicht ganz sicher?

Ich fürchtete eher, dass das organisierte Verbrechen hinter der Firma stecken könnte. Mein Kollege und ich wurden beide ängstlich und wollten so tun, als ob wir sie nie gesehen hätten.

Und warum kam dann der Gesinnungswandel?

Meine Firma war damals am Rande des Bankrotts, und meine finanziellen Lebensumstände hatten sich so stark verschlechtert, dass ich das Gefühl hatte, ich hätte nichts mehr zu verlieren. Einige Zeit später brachte Orient Paper dann die Kapitalerhöhung über 30 Millionen Dollar erfolgreich hinter sich. Das organisierte Verbrechen, wenn es denn dahinterstecken sollte, hätte sein Ziel also bereits erreicht.

Und dann schlugen Sie los.

Wir recherchierten noch einmal, riefen zum Beispiel die Firmen in China an, bei denen Orient Paper mit dem Geld aus der Kapitalerhöhung Maschinen kaufen wollte. Wir fanden heraus, dass es diese speziellen Maschinen gar nicht gab. Die hatten gar nicht die technischen Fähigkeiten, solche zu bauen.

Haben die Investoren, welche die Kapitalerhöhung finanzierten, gar nicht richtig recherchiert?

Die amerikanischen Promotoren dieser chinesischen Aktien, also Banker, Juristen und Buchhalter, verdienten mit ihrer Arbeit viel Geld. Warum sollten sie überkritisch sein? Alles war plausibel widerlegbar. Der Banker zeigte auf den Buchhalter, der auf die Anwaltsfirma, die wieder zurück zum Buchhalter oder zum Banker.

Niemand wollte also die Verantwortung übernehmen.

Chinesische Firmen haben gezeigt, wie diese Lücken zwischen den Anwälten, Bankern und Buchhaltern ausgenützt werden können. Viel später fanden wir heraus, dass sich einige Hedge Funds schon länger dem Thema widmeten. Wir waren nur die Ersten, die öffentlich in einer Analyse zeigten, dass eine chinesische Firma ein völliger Betrug ist.

Damit verdienten Sie auch Geld. Wie viel war es denn?

Zu zweit kauften wir Put-Optionen im Wert von 4000 Dollar.

Nicht gerade viel, bei den brisanten Rechercheergebnissen.

Wir rechneten nicht damit, dass wir einen starken Effekt an der Börse haben würden. Wir sandten den Report nur an etwa 70 Leute. 25 davon waren Freunde, die ich von meinem Jura-Studium her kannte. Ich wollte ihnen einfach zeigen, woran ich die letzten Monate gearbeitet hatte.

Was erwarteten Sie, dass mit der Aktie passieren würde?

Dass sie vielleicht einige Prozent fallen würde. Dann hat sich der Wert der Firma innert 48 Stunden halbiert. Wir dachten, dass da bestimmt viel Unheil auf uns zukomme.

Wieder die Gedanken an das organisierte Verbrechen?

Ich lebte damals in China und hatte mein ganzes Vermögen in China. Ich dachte, ich bin in Lius Land, ich wusste nicht, wer da sonst noch alles dahintersteckt. Alles, was ich wusste, war, dass diese Leute gerade sehr viel Geld verloren hatten. Deshalb hatte ich Angst.

Und was passierte?

Die Firma bezeichnete uns als Lügner. Ich antwortete, dass ich nichts von dem Gesagten zurückziehen würde. Wir hatten den Schaden schon angerichtet. Es gab keinen Grund mehr, von unseren Aussagen Abstand zu nehmen. Es gab ein Hin und Her zwischen der Firma und uns. Der «21st Century Business Herald» machte eine Geschichte darüber, das ist so etwas wie das «Wall Street Journal» in China.

Warum kann man diesen Artikel nirgends finden?

In China gibt es Reverse-Public-Relations-Firmen, die alles aus dem Internet verschwinden lassen können. Ich habe aber noch ein Bilddokument der Ausgabe.

Das war nicht Ihr letzter Kampf mit einer chinesischen Firma. Wenn Sie so viel Angst hatten, warum haben Sie dann weitergemacht?

Zuerst wollte ich eigentlich nichts mehr veröffentlichen. Im Juli 2010 traf ich die Entscheidung, mit meiner Frau in die USA zurückzukehren und meine Firma in Shanghai nur noch aus der Ferne zu begleiten. Zudem kamen einige Leute auf mich zu, die mit mir an weiteren Fällen arbeiten wollten.

Einige davon arbeiten jetzt für Muddy Waters.

Zusammen analysierten wir die Firma Rino. Am Tag, als wir den Report veröffentlicht hatten, sass ich gerade im Flugzeug in die USA. Ich wusste also gar nicht, wie sich meine Positionen bei Rino auszahlen würden. Bis ich landete.

Die Aktie ist fast auf null gefallen.

Rino hat uns wirklich vertrauenswürdig gemacht. Denn die Leute von Rino haben zugegeben, betrogen zu haben, und so bestätigt, dass einige unserer Anschuldigungen richtig waren.

Gehen Sie immer noch selber Firmen besichtigen?

Wir können uns Zutritt verschaffen zu einer Firma. Ich möchte das nicht zu genau erklären. Natürlich kann ich nicht selber hingehen. Aber andere aus dem Team können es.

Wie viele Leute gehören zu Ihrem Team?

Wir sind etwas mehr als zehn Leute. Ich bleibe hier absichtlich vage, damit niemand eine Liste überprüfen und einen nach dem anderen abkreuzen kann.

Sie verärgern ja nicht nur die Firmen, die Sie angreifen, sondern auch die Anleger, die dort investiert sind.

Ja, es kämpfen auch viele Aktionäre der Firmen gegen uns. Sie senden uns dreckige E-Mails und schreiben böse Kommentare in Blogs. Es fällt ihnen schwer zu glauben, dass diese Firmen nichts wert sein könnten.

Bei Focus Media, Betreiberin eines digitalen Werbenetzes in China, wo noch im September UBS-Kunden mit rund 60 Millionen investiert waren, scheint der Kampf am härtesten zu sein. Der Aktienkurs steht noch recht hoch. Wird er auf null fallen?

Focus Media hat zwar betrogen, aber es steht viel mehr reales Geschäft dahinter als etwa bei Orient Paper.

Was ist Ihre Kursprognose für Focus Media?

Über die Zeit wird die Aktie wohl weiter fallen. Weil die Aktionäre mitbekommen werden, dass das Management der Firma nicht das Wohl der Aktionäre im Sinn hat.

Haben Sie schon viel Geld mit Focus Media verdient?

Das kommentiere ich nicht. Wir haben Focus Media motiviert, den Aktionären eine Dividende auszuzahlen. Das ist besser, als es dem Management zu erlauben, das Geld zu missbrauchen. Dies reduziert aber nicht die Gefahr, dass das Management seine Position missbraucht.

Sie glauben, das Management wolle die Aktionäre bestehlen?

Das Geschäftsmodell von Focus Media ist undurchsichtig. Die haben eine Preisliste für die Werbung auf ihren Bildschirmen, gewähren darauf aber mindestens 65 Prozent Rabatt.

Hohe Rabatte sind doch nicht verboten.

Wir haben aber festgestellt, dass der Durchschnittspreis, den Focus Media angeblich von ihren Kunden erhalten haben will, mit den Preisnachlässen nicht erreicht wird. Wir haben bei den Betreibern von Bürogebäuden nachgefragt, wie viel Focus Media als Miete dafür bezahlt, ihre Werbebildschirme im Gebäude aufzustellen. Die Miete ist so hoch, dass das nicht profitabel sein kann.

Was ist das nächste Projekt?

(lacht) Ich suche nach einer Aktie, die ich zum Kauf empfehlen könnte. Aber das ist schwierig.

Wieso? Es gibt doch viele Unternehmen, die nicht betrügen.

Selbst Manager, die sich ehrlich verhalten wollen, sind in Konkurrenz um Kapital mit den anderen, den unehrlichen. Ich denke, das hat viele Ehrliche so weit gebracht, dass sie ebenfalls etwas schummeln.

Der Jäger wettet auf fallende Kurse: Carson Block (35) jagt mit seiner Firma Muddy Waters chinesische Betrugsfirmen und wettet darauf, dass deren Aktienkurse fallen. Zu seinen Opfern zählen Orient Paper, Rino, China Media Express, Duoyuan Global Water, Sino-Forest, Spreadtrum Communications und Focus Media. Muddy Waters steht für ein chinesisches Sprichwort, dass man Fische besser im schlammigen Wasser fangen kann, weil sie dann näher an der Oberfläche schwimmen.