Es ist ein voll gepacktes Programm, das die Delegation aus Bonn in den drei Tagen vom 23. bis zum 25. Oktober abzuspulen hat: Unternehmensbesuch in Rümlang bei Sunrise, anschliessend Diskussion auf Konzernleitungsebene. An den darauf folgenden Tagen noch einmal das Gleiche bei Diax in Zürich und bei der Swisscom in Bern, ausserdem Treffen mit verschiedenen Consultants. Die Aufgabe des Beraterteams der Deutschen Telekom (DT): abzuklären, welcher Schweizer Carrier sich am besten eignet für eine Partnerschaft mit dem deutschen Mutterhaus.

Die Deutschen Telekömler sind nicht die Einzigen, die derzeit besonderes Interesse an der Schweiz bekunden. Auffallend häufig wurden in den letzten Wochen Verhandlungsteams der englischen Vodafone in den Zürcher Nobelherbergen Baur au Lac und Dolder gesehen. Und auch France Télécom (FT) und British Telecom (BT) haben ihre bereits bestehenden Kontakte in die Schweiz noch einmal intensiviert.

Sie alle verfolgen ein Ziel: den hiesigen Telekom-Markt für ihre Mutterhäuser zu erobern. Denn bisher spielt in der Schweiz noch keiner der grossen paneuropäischen Player eine wichtige Rolle. «Das wird sich demnächst ändern», ahnt Dominik Koechlin, Strategiechef bei der Swisscom. Katalysator für diesen Prozess ist die Auktion der UMTS-Mobilfunklizenzen, die am 13. November beginnt. Enorme Summen stehen auf dem Spiel: Zwei bis drei Milliarden Franken dürfte jede der vier Lizenzen kosten. Hinzu kommen jeweils eineinhalb bis zwei Milliarden Franken für den Netzaufbau. Das wollen oder können sich kleine Player nicht leisten. Sie müssen Verbündete suchen, welche die nötige Finanzpower bereitstellen – Weltkonzerne wie die Deutsche Telekom oder France Télécom.

Diese wiederum tilgen systematisch die weissen Flecken auf ihren Landkarten. Dass die Schweiz trotz ihren wenigen Einwohnern ein attraktiver Markt ist, dämmert inzwischen auch den Telekom-Strategen in London, Paris und Bonn. Doch ihr Interesse gilt nicht nur den geschätzten 20 Milliarden Franken, für die übernächstes Jahr hier zu Lande Telefonrechnungen geschrieben werden dürften: Die Kundenbasis zu erweitern, eine weltweite Marke aufzubauen und Skaleneffekte zu erreichen, ist das Ziel ihrer Internationalisierungsstrategie. Vodafone plant gar einen paneuropäischen Verbund ihrer Mobilfunknetze mit einem Einheitstarif. «In der UMTS-Welt wird ein flächendeckendes Angebot in Europa immer wichtiger», weiss Koechlin.

Deshalb soll die Festung Schweiz gestürmt werden, die zu zwei Dritteln noch immer von der Swisscom beherrscht wird. Die Deutsche Telekom, Europas grösster Operator, prescht vor. Ihre Handytochter T-Mobil bewirbt sich um eine UMTS-Lizenz und wird angesichts der Finanzkraft der Mutter ein ernst zu nehmender Bieter sein. T-Online, mit sechs Millionen Kunden Europas Internet-Service-Provider Nummer eins, hat erst im Sommer ihren Schweizer Markteintritt bekannt gegeben. Der Angreifer hat gegenüber der einheimischen Konkurrenz einen grossen Vorteil: Er kann zahlreiche Inhalte seiner deutschen und französischen Schwesterunternehmen übernehmen.

Im Festnetz sind die Deutschen über ihre Tochter Multilink bereits seit längerem aktiv. Doch bislang kam man mit der Strategie, über eigene Glasfasernetze in Genf, Zürich und Basel grosse Geschäftskunden zu bedienen, auf dem Markt nicht über eine Statistenrolle hinaus. Nun hat DT-Auslandschef Jeffery Hedberg, der als ehemaliger Swisscom-Mitarbeiter die Schweiz besonders scharf beobachtet, in Zürich aufgeräumt und mit Peter Schöpfer einen früheren Gefolgsmann als neuen Chef installiert. Er soll Multilink zu einer Grösse auf dem Schweizer Markt machen.

Doch möglicherweise holt Telekom-Chef Ron Sommer (Motto: «Wir kaufen bei jeder Gelegenheit») gar zum grossen Paukenschlag aus: Die Zeichen mehren sich, dass sich die Deutsche Telekom bei Diax einkauft, der Nummer zwei des Schweizer Marktes. Dass deren bisherige Eigentümer (60 Prozent halten die Schweizerischen Elektrizitätswerke, 40 Prozent gehören dem amerikanischen Carrier SBC) ihre Anteile reduzieren wollen, ist ein offenes Geheimnis. «Es laufen Verhandlungen, dass auf Eigentümerseite ein oder zwei neue Partner dazukommen», bestätigt Diax-CEO Frank Boller. Und er bejaht, dass auch die Deutsche Telekom zu den Verhandlungspartnern gehört. Die Gespräche, verrät ein Insider, fänden direkt zwischen Diax-VR-Präsident Hans-Peter Aebi und DT-Auslandschef Jeffery Hedberg statt. Für die Deutschen besonders reizvoll: Über eine Kapitalverflechtung oder eine Allianz bekämen T-Online beziehungsweise T-Mobil vom Start weg Zugang zu 110 000 Internet- und zu 700 000 Mobilfunkkunden.

Nicht unrealistisch, dass DT sogar zum Mehrheitsaktionär wird. Zum einen haben die E-Werke wenig Lust, ihre Mittel in UMTS zu stecken, statt sich auf die bevorstehende Liberalisierung im Strommarkt vorzubereiten. «Das kann nicht das langfristige Hauptinvestment der Strombranche sein», sagt Jürg Gassmann, Chef der Diax Holding. Quer durch Europa ziehen sich deshalb die Stromkonzerne aus der Telekommunikation zurück. In der Schweiz, bestätigt Gassmann, werden die E-Werke Teile ihres Diax-Anteils verkaufen, wenn nach der Versteigerung weitere Milliardeninvestitionen für den Netzausbau fällig werden.

Auch das 40-Prozent-Paket von SBC soll zur Disposition stehen, sobald die UMTS-Versteigerung vorbei ist. SBC verabschiedet sich zurzeit systematisch aus Europa, um sich ganz auf das amerikanische Geschäft zu konzentrieren. So geschehen mit ihren Anteilen an der ungarischen Matav (Verkauf an – welch Zufall – die Deutsche Telekom) und Tele Danmark (Verkaufsverhandlungen mit der schwedischen Telia). Dass die Verträge der meisten SBC-Manager, die Diax Starthilfe geben sollten, in den letzten Monaten abgelaufen sind, passt ins Bild: In der neunköpfigen Diax-Geschäftsleitung sitzen heute nur noch zwei Amerikaner. Bei den Versteigerungen in Grossbritannien und Deutschland hat SBC zudem gezeigt, dass man kein Geld in UMTS stecken will. «Die Langfristigkeit und vor allem die Unsicherheit des Returns entsprechen nicht der amerikanischen Businessphilosophie», urteilt Peter Wild, der für die schweizerische Beteiligungsgesellschaft BT&T den US-Telekom-Markt beobachtet. Eine Diax ohne UMTS-Lizenz wäre jedoch kaum denkbar – erst recht nicht, wenn das Unternehmen für einen Verkauf herausgeputzt werden soll.

Dass Diax ihren Altaktionären bislang wenig Freude gemacht hat, dürfte den Rückzug erleichtern: Die Kundenzahlen bei Internet und Fixnetz sind enttäuschend, im Mobilfunk wird Diax demnächst sogar von Orange überholt werden. Seine Businesspläne kann Diax-CEO Boller dieses Jahr nicht mehr erreichen. Nun will er die Vollanbieterstrategie über den Haufen werfen: «Wir müssen unsere Kräfte auf das Mobilgeschäft konzentrieren. Das Fixnetz ist nicht mehr Kerngeschäft», sagt er.

Da käme ein neuer Eigentümer gerade recht. Insbesondere, wenn er eine ähnliche Strategie verfolgte. Vodafone, nach der feindlichen Übernahme von Mannesmann der weltgrösste Mobilfunkanbieter, ist ein heisser Kandidat – und, wie Boller bestätigt, ebenfalls bereits in Kontakt mit Diax. Vodafone-Chef Chris Gent will in Europa flächendeckend präsent sein. In Mitteleuropa ist die Schweiz neben Luxemburg und Dänemark der einzige weisse Fleck auf seiner Karte. Da sich Vodafone nur in Ländern, in denen sie bereits aktiv ist, um eine UMTS-Lizenz bewirbt, ist sie auf der Schweizer Kandidatenliste nicht zu finden. Durch einen Einstieg bei oder eine Allianz mit Diax könnten die Briten doch noch mitbieten und im Erfolgsfall gleich auf einen grossen Kundenstamm zurückgreifen. Bei einer Übernahme könnte das Fixnetzgeschäft sogar weiterverkauft werden – ähnlich wie es Vodafone in Italien und Deutschland getan hat. Interessenten dafür gäbe es in der Schweiz genug: «Natürlich würden wir das anschauen. Das wäre sehr interessant für uns», sagt Sunrise-Chef Urs Fischer. Allerdings wäre die operative Entflechtung nicht einfach, weil Diax ihr Festnetz auch als Backbone für den Mobilfunk nutzt.

Doch auch Sunrise-Chef Fischer könnte sich bald einmal mit neuen Besitzverhältnissen konfrontiert sehen. Dass Tele Danmark, mit 44 Prozent grösster Sunrise-Aktionär, nach dem sich abzeichnenden Verkauf an die schwedische Telia noch viel Interesse an Sunrise haben wird, ist fraglich: «Es macht auf die Dauer wenig Sinn, dass ein kleiner Player an einem anderen kleinen Player eine Minderheitsbeteiligung hält», urteilt Swisscom-Chefstratege Koechlin. Ganz anders British Telecom, mit 34 Prozent zweitgrösster Sunrise-Aktionär: «Wir haben die feste Absicht, unsere Beteiligungen auszubauen», verkündete Europa-Chef Pat Gallagher diesen April. Bereits zweimal hat BT seither zugeschlagen. In Deutschland übernahm sie die Mehrheit am drittgrössten Mobilfunkbetreiber, Viag Interkom, in Schweden stockte sie ihren Anteil an Telenordia auf 50 Prozent auf. Verkäufer war – welch Zufall wiederum – Tele Danmark.

Dass BT nach jahrelangem Zögern nun eine glaubhafte Expansionsstrategie hat, davon sind die meisten Branchenexperten überzeugt. Zumal sich BT Hoffnung macht, ihre Hand auch auf die schweizerische Orange legen zu können. Die Hoffnung beruht auf einem alten Vorkaufsrecht, dass der deutsche Energieriese E.On an der Schweizer Orange hält. Ob E.On dieses Vorkaufsrecht ausüben darf, darüber streitet sich das Unternehmen seit über einem Jahr mit dem Orange-Konzern, der inzwischen zu France Télécom gehört. Mittlerweile liegt der Fall vor einem Schiedsgericht. Sollte E.On Recht behalten, würde der Stromerzeuger die Anteile wohl umgehend teuer weiterverkaufen, denn er hat sich auf breiter Front aus dem Telekom-Geschäft zurückgezogen. Logischer Käufer wäre BT, die von E.On bereits die deutschen Mobilfunkaktivitäten (Viag Interkom) übernommen hat. Dann wäre es für die Briten strategisch nahe liegend, ihre beiden Schweizer Töchter, die heute nur hinter den Kulissen kooperieren, zusammenzuführen: Schliesslich fehlt Sunrise das Mobilfunkgeschäft, und genau das betreibt Orange mit grossem Erfolg.

Ein verlockendes Szenario, würde doch neben Swisscom und Diax ein dritter Vollanbieter auf dem Schweizer Markt entstehen. Doch dazu dürfte es kaum kommen. «Es gibt klare Anzeichen, dass Orange Schweiz französisch bleibt», sagt ein Schweizer Telekom-CEO. Dann wäre France Télécom, Europas zweitgrösster Mobilfunkbetreiber und aggressiv expandierend, auch hier zu Lande ein gewichtiger Player. Seine Hundert-Prozent-Tochter Global One betreibt Fixnetz- und Datendienste so erfolgreich, dass sie diesen Frühling von den Schweizer Informatik- und Telekom-Leitern zum besten Carrier gewählt wurde (siehe Bilanz 4/00). Daneben ist France Télécom zu 25 Prozent an der britischen NTL beteiligt (mit Option auf 34 Prozent), der wiederum die Schweizer Cablecom gehört. Über ihr Kabelfernsehnetz, das direkt in 1,4 Millionen Haushalte führt, bietet Cablecom zurzeit Internetdienste an, die Telefonie soll folgen.

Geht es nach dem Willen von France Télécom, werden Global One, Orange und Cablecom künftig enger zusammenarbeiten. «Erste Abklärungen haben bereits begonnen», bestätigt Peter Moebius, Chef von Global One Schweiz. Doch die Kooperation dürfte vor allem hinter den Kulissen stattfinden, etwa bei der Vermittlung von Leitungskapazitäten. «Wir wären schlecht beraten, den Auftritt der bereits sehr stark etablierten Marken zusammenzulegen», sagt Orange-Chef Andreas Wetter.

France Télécom dürfte also ebenso wie ihre Konkurrenten aus Bonn und London auf dem Schweizer Markt in Zukunft eine wichtige Rolle einnehmen. Doch noch zwei weitere klangvolle Namen finden sich auf der Teilnehmerliste der UMTS-Versteigerung: Die spanische Telefónica hat bereits in Deutschland für über 13 Milliarden Franken eine Lizenz gelöst. Konkurrent Hutchison Whampoa war in England erfolgreich. Die Hongkongchinesen wären sogar als Diax-Käufer denkbar. «Es würde nach allgemeiner Auffassung der Branche in die Strategie von Hutchison passen, ein Unternehmen aufzukaufen, mit Investitionen auszubauen und später teuer weiterzuverkaufen», sagt Orange-Chef Andreas Wetter. Er muss es wissen: Auch der Orange-Konzern wurde einst von Hutchison grossgezogen.

Klar ist: Der Umbau des Schweizer Telekom-Marktes hat bereits begonnen. Die UMTS-Versteigerung am 13. November beschleunigt diesen Prozess. Wer immer die Auktion als Sieger verlässt, die Folgen bleiben gleich: Die Weltkonzerne der Telekommunikation drängen mit Macht in die Schweiz. «Das wird den Wettbewerb noch einmal massiv anheizen», weiss Swisscom-Chefstratege Koechlin. Sein Unternehmen profitiert als Exmonopolist bisher am meisten vom fragmentierten Heimmarkt. Diese Zeiten dürften bald der Vergangenheit angehören.
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