Fredmund Malik erzählt. Erzählt, wie toll er die deutsche Automobilindustrie findet, Porsche und BMW, und dass die Pisa-Studie Äpfel und Birnen vergleiche und deshalb die deutschen Schüler so schlecht abgeschnitten hätten. Damit hat er die Deutschen auf seiner Seite, und deutsch sind die meisten im Saal. Malik gegenüber sitzen Manager von Siemens, von den Österreichischen Bundesforsten, von Migros, 45 Männer und eine Frau, vor sich den dicken Ordner «Managerial Effectiveness Program». Man tagt im Hotel Victoria-Jungfrau in Interlaken, fünf Sterne und Sicht auf 4158 Meter Jungfrau, aber nicht in diesem Raum, von hier aus geht der Blick in den Garten. Malik sagt: «Ich sehe meine Aufgabe darin, dazu beizutragen, vielen Menschen Managementwissen und -fähigkeiten zu vermitteln, die es ihnen ermöglichen, ihre Aufgaben besser zu bewältigen.» Malik: Unternehmer, Wissenschaftler, Autor, Seminarreferent, Consultant, Hochschullehrer, Verwaltungsrat und Manager. Er betont das, aber nur mit dem Zusatz, er wolle nicht unbescheiden sein. Seit 1977 wirkt er als Managementberater am Management Zentrum St. Gallen, heute ist er dessen Verwaltungsratspräsident; er lehrt Unternehmensführung an der Hochschule St. Gallen. Man kennt Malik, denn er tut oft und pointiert kund, was er denkt. Meistens übt er Kritik, häufig in einem arroganten und selbstgefälligen Ton – vielleicht mit Absicht, vielleicht auch unwillkürlich. Das fordert heraus, Stellung zu ihm zu beziehen. Wer ihn kennt, bezeichnet sich entweder als Malik-Fan oder als Malik-Hasser. Wer ist dieser Mann? Malik redet acht Stunden fast ununterbrochen. Ab und zu schreibt er Wörter auf den Overhead-Projektor, ansonsten redet er. In den Pausen, eine Stunde am Mittag und je 15 Minuten am Morgen und am Nachmittag, spricht Malik in sein Mobiltelefon, um das Büro zu kontrollieren, Termine zu klären. Mittagessen gibt es nicht in Maliks Welt, denn «essen ist für mich ein kulturelles Ereignis», sagt er; hier wäre alles andere als Kalorienzufuhr zwischen Tür und Angel Zeitverschwendung. Maliks Haar ist mehr grau als schwarz. Seinen Mund umspielt oft ein überheblicher Zug. Die Stimme ist tief, der Akzent unbestimmt alpenländisch. Malik wuchs auf im vorarlbergischen Lustenau, ohne Vater, mit einer Mutter, die – so sagt er – viele Bücher kaufte, oft mit ihrem Sohn diskutierte und ihm beibrachte, wie man spannend erzählt. Malik ist bekannt dafür, druckreif zu reden. Manchmal muss er sich fast konzentrieren, nicht wie beim Diktat Punkt und Komma mitzusprechen. Drei Seminartage lang erzählt Malik in Interlaken und vier Wochen später weitere drei. Das sind insgesamt 48 Stunden. Alle Manager hören zu. Keiner schläft ein. Keiner zeichnet Kringel oder Figuren aufs Papier. «Er spricht den Leuten aus dem Herzen», sagt ein Manager. «Er bleibt nüchtern.» Malik lehrt handfeste Regeln, keine Esoterik, nichts unnötig Kompliziertes. Management ist für ihn ein Beruf, den jeder ebenso lernen kann wie Möbel tischlern oder Menschen operieren. Er unterwirft sich keinen Moden. Bei ihm gibt es gesprochene Worte, keine Powerpoint-Folien. «Das kommt in diesen Zeiten extrem gut an. Alle sind den McKinseys auf den Leim gegangen, das ist jetzt vorbei», sagt der Manager. Am Ende des Seminars wird Malik seinen Fanklub wieder vergrössert haben. Auf dem «Managerial Effectiveness»-Seminar geht es im Wesentlichen um das, wovon Malik in seinem Buch «Führen – Leisten – Leben» schreibt, dem Buch, das monatelang die Bestsellerlisten anführte: um «Grundsätze, Aufgaben und Werkzeuge wirksamer Führung». «Malik beschreibt Techniken, die ich zu benutzen lernen kann, ebenso wie man lernt, einen Hammer zu gebrauchen», sagt ein ehemaliger Mitarbeiter von Malik. Er formuliert Regeln wie: Konzentrieren Sie sich aufs Wesentliche! Stärken Sie Ihre Stärken! Orientieren Sie sich an Ergebnissen! Das klingt ein bisschen banal, was aber egal ist, weil Malik es gut verkauft und viele das Gefühl haben, es helfe. «Wenn es um komplexere Dinge geht wie Menschen, wie Vertrauen, darum, wann ich bestimmte Techniken einsetzen muss, wird er unklar», sagt der Exmitarbeiter. Das Buch ähnelt den Lebens- und Psychoberatungen in Frauenzeitschriften – aber für Manager: in schlichten Worten verfasst, für jeden ist etwas dabei, voller Weisheiten, die eigentlich niemandem neu sind, die einem nur lange keiner so auf den Punkt gebracht hat. «Ich sehe meine Aufgabe darin, die Dinge so auszudrücken, dass sie im Grunde jeder verstehen kann», sagt Malik. «Was ich zu sagen habe, gereift durch viele Jahre des Abschleifens und der Konfrontation mit der Wirklichkeit, trifft die Situation eines grossen Teils von Führungskräften.» So oder so ähnlich klingen viele seiner Sätze. Warum ihn Management fasziniere, wisse er nicht genau, ein Buch von Peter Drucker, das seine Mutter ihm, als er 22 Jahre alt war, zu lesen gab, habe sein Interesse geweckt. Drucker, der bedeutendste Management-Denker des 20. Jahrhunderts und ein Vielschreiber wie Malik, prägte Maliks Denken über Management. Ab und zu reichert Malik seine Rede mit Anekdoten aus dem echten Leben, vorzugsweise dem eigenen, an. Beispiel Umgang mit Zeit: Malik führt eine Art Wettstreit mit sich selbst – wie viel kann ich in 24 Stunden schaffen? Er vervollkommnet das ständig. Alle drei Monate sagt ihm Ruth Blumer, mit Unterbrechungen seit 25 Jahren seine Sekretärin, wann er noch Zeit verschwendet. Fernsehen erlaubt sich Malik nur, wenn er sich nebenbei auf dem Rudergerät, dem Fahrradergometer oder dem Stepper in seinem Keller abrackert. Er schaut ausgewählte Sendungen, die schweizerische, die österreichische und die deutsche Tagesschau zum Beispiel, um zu wissen, was seine Kunden bewegt. Zwei Stunden auf dem Sofa hocken und Filme gucken wären verlorene Punkte im Wettkampf um Minuten. Malik, Ausnahmemensch – so stellt er sich selbst dar. Die Manager im Seminar stellen selten Fragen, die Malik auch manchmal beantwortet. Einige sind ihm vielleicht zu dumm oder zu unbequem – dann erzählt er lieber etwas anderes, das entfernt zur Frage passt. Manchmal lehnt er sich auf den Overhead-Projektor und lässt sich von unten anstrahlen, sodass Schatten Muster auf sein Gesicht werfen. Seine Gestik ist sparsam. Malik wollte mal Berufsmusiker werden, als junger Mann sang er in einer Rockband und spielte Gitarre. Er weiss, was es heisst, auf der Bühne zu stehen. Ausser Management hat Malik einige weitere Lieblingsthemen. Zum Beispiel die Entwicklung der Wirtschaft. Er prophezeite die japanische Wirtschaftskrise, den Börsencrash 1987, den schwachen Euro, er sah auch 1997 Kursstürze an den Aktienmärkten voraus. Malik hatte oft, aber nicht immer Recht mit seinen Prognosen. Er stellt sie, weil er meint, «Muster und Entwicklungen zu sehen, die offensichtlich anderen verborgen bleiben». Deshalb fühlt er sich dazu verpflichtet, ähnlich wie ein Arzt, der seinem Patienten klar macht, dass man vom Rauchen Krebs bekommt. Seit dem Sommer redet Malik gern davon, dass es der deutschen Wirtschaft gar nicht so schlecht gehe wie rundum behauptet und dass das amerikanische Wachstum ein Lügengebilde sei. «Das sind keine Provokationen», sagt Malik. «Das ist Sorge um die Probleme, die auftreten werden.» Seiner Firma tut Malik mit den Nörgeleien nur begrenzt einen Gefallen. In den Unternehmen, die das Management Zentrum St. Gallen berät, möchte man gerade heute nicht nur Schlechtes hören. Im Management Zentrum wird überlegt, wie sich weiterhin Vorteile aus dem Namen Malik ziehen liessen, ohne dass die Schwarzmalereien abfärben. Im Oktober schimpfte der Rektor der Hochschule St. Gallen, Peter Gomez, auf der Promotionsfeier in seiner Rede vor den Absolventen über die «Propheten des Niedergangs». Einer von ihnen sei «ein in den Medien omnipräsenter Wirtschaftsprofessor, der entgegen dem, was eine breite Öffentlichkeit glaubt, nicht zur Faculty unserer Universität gehört». Malik ist nur Titularprofessor. Mit Gomez hat er gemeinsam seine Dissertation verfasst, beide waren Schüler von Hans Ulrich, dem Verfasser des St.-Galler Managementmodells, auf das sich Maliks Managementlehre gründet. «Typisch männliches Gockelverhalten» nennt ein Bekannter die Sticheleien, mit denen sich Gomez und Malik seither ärgern. Im Management Zentrum St. Gallen ist die Fluktuation der Mitarbeiter hoch; Leute, die das Unternehmen verlassen haben, begründen das damit, dass Malik niemanden neben sich gelten lasse. «Er hat eine sehr verletzende Art», sagt ein ehemaliger Mitarbeiter. Der Platz an der Sonne gehört Malik. Vorstellungsgespräche mit Malik laufen angeblich so: Er redet 90 Prozent der Zeit, wer an den richtigen Stellen nickt, ist eingestellt. «Beim Personal hat er nicht immer eine glückliche Hand», sagt ein ehemaliger Mitarbeiter. «Maliks Gespür für Menschen ist nicht sehr ausgeprägt.» Sehr schmerzlich war für Malik, als sich 1984 vier seiner Mitarbeiter verabschiedeten, um eine eigene Managementberatung zu gründen. Heute gibt es die Firma nicht mehr. «Ich will nicht sagen, dass es eine Gerechtigkeit gibt, so weit gehe ich nicht, aber jedenfalls gibt es die Beratung nicht mehr», sagt Malik. In St. Gallen tummeln sich die Berater; im Dunstkreis der berühmten Hochschule wittern viele so etwas wie eine Goldader für Beratungen. Malik sagt, er habe nichts gegen Konkurrenz, nur etwas gegen Leute, die so tun, als seien sie er, indem sie ihr Unternehmen so ähnlich nennen wie seines. Malik erwähnt vor den Managern immer mal wieder die Berge. «Ich klettere in hohen Schwierigkeitsgraden, im Fels und im Eis. Ich bin sehr gut auf den Ski, habe extreme Skiabfahrten gemacht», sagt Malik. Auf Maliks Homepage gibt es einen Link zu «Malik on Mountains». Dort kann man Fotos von seinen Touren auf den Mount McKinley in Alaska oder auf den Aconcagua in den Anden betrachten. Für Malik gehören Management und Alpinismus zusammen; der Manager muss wie der Bergsteiger Entscheidungen treffen, Risiken eingehen, Angst überwinden und sich im Team beweisen. In den Bergen sei Malik ein anderer Mensch, sagen Leute, die ihn kennen. Am Seminar wird Malik irgendwann sein Jackett ablegen und die Ärmel hochkrempeln – früher hätte er das nicht getan. Selbst im Büro blieb er immer korrekt gekleidet, egal, wie warm es war. Seine Sekretärin hat ihn nach 15 Jahren zum ersten Mal ohne Jackett und Krawatte gesehen. In den Bergen ist das alles anders. «Wenn ich wieder auf die Welt komme, werde ich Bergführer», sagt Malik. Das ist zwar Koketterie, aber Berge sind ihm sehr wichtig. Wenn er nicht geworden wäre, was er ist, wäre Malik wahrscheinlich Reinhold Messner.
WIRTSCHAFTS-INTELLEKTUELLER Fredmund Malik, geboren 1944 in Lustenau, Österreich, studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Innsbruck und an der Hochschule St. Gallen. 1977 wurde er zum Direktor des Management Zentrums St. Gallen (MZSG) ernannt, 1984 übernahm er es zusammen mit zwei Mitgründern im Rahmen eines Management-Buy-out. Seither ist Malik Verwaltungsratspräsident des MZSG, das Niederlassungen in Zürich, Wien und Madrid hat und 143 Mitarbeiter beschäftigt. Seine Lehrtätigkeit an der Hochschule St. Gallen nahm er 1978 nach seiner Habilitation auf. Malik ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.
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