Mit dem Ende des Kalten Krieges schienen Konflikte um Rohstoffe endgültig der Vergangenheit anzugehören. Die Interneteuphorie der späten Neunzigerjahre degradierte die Jagd nach dem Öl vorübergehend zu einer Nebensache. Mit Bill Gates erstürmte erstmals ein Mann die Spitze in der Liste der Superreichen, der keine Ressourcen kontrollierte. Zuvor waren es Ölbarone und Herrscher von Saudi Arabien, Dubai oder Brunei gewesen, die das weltweit grösste Privatvermögen angehäuft hatten.

Der 11. September 2001 läutete auch hier eine Trendwende ein. Der Kampf der USA gegen den internationalen Terrorismus ist auch ein Kampf um die Kontrolle über Öl- und Gasressourcen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand.

Der weltweite Energiebedarf soll sich nach Schätzungen in den nächsten zehn Jahren verdoppeln. Erdöl wird auch seine Stellung als wichtigster Energielieferant behalten. Bis zum Jahr 2020 dürften nach Prognosen der US-Energiebehörde, der Energy Information Administration (EIA), täglich 118,9 Millionen Barrel Öl pro Tag verbraucht werden. Das entspricht 40 Prozent des weltweiten Energiekonsums. Zum Vergleich: Im Jahr 2001 waren es noch 75,81 Millionen Barrel pro Tag. Der weltweite Ölbedarf steigt demnach bis 2020 um rund 57 Prozent. Grösster Verbraucher werden die USA bleiben.

USA: steigende Abhängigkeit von Importen
Während die Ölförderung in den USA und Europa ihren maximalen Ausstoss demnächst erreicht haben wird, könnte die Produktion in Mexiko bis 2010 um etwa 30 Prozent steigen. Den stärksten Produktionszuwachs erwarten die EIA-Analysten in der Region um das Kaspische Meer. In jenem Gebiet liegt mehr Rohöl zur Exploration bereit als in den USA.

Die elf Opec-Staaten könnten in der Zeit bis 2020 ihren Output sogar verdoppeln und ihren weltweiten Marktanteil auf rund 48 Prozent ausweiten. Die EIA schätzt, dass die Preise pro Barrel Rohöl bis dahin nur um rund zehn Prozent steigen werden.

Bisher sind die USA zu mehr als 50 Prozent von Ölimporten abhängig. Im Jahr 2020 wird die grösste Volkswirtschaft der Welt sogar 62 Prozent ihrer Treibstoffe importieren müssen. Trotz sparsameren Fahrzeugen sollten dann immer noch über 70 Prozent der Treibstoffe im Transportsektor verbraucht werden. Ein Hauptziel der US-Politik muss deshalb die Sicherung der Ölversorgung bleiben. Grösster Einzellieferant ist das Opec-Mitglied Saudi-Arabien. Die politischen Spannungen in diesem abgeschotteten Land haben parallel zur Verschlechterung des Gesundheitszustandes von König Fahd zugenommen. Tracy Herrick, Ökonom bei der US-Bank Jefferies, glaubt, dass es zu den strategischen Zielen der USA gehört, die Ölquellen Saudi-Arabiens zu kontrollieren. «Aus militärischer Sicht ist die hohe Abhängigkeit der USA von Ölimporten eine Achillesferse.» Herrick setzt daher auf Aktien der grossen US-Ölkonzerne wie etwa Exxon.

Die Grundzüge der künftigen Politik werden derzeit festgelegt. US-Truppen festigen ihre Position im rohstoffreichen Georgien, und auch im für Öl- und Erdgasproduzenten interessanten Pakistan wächst die US-Präsenz. Mit dem Ende der Taliban in Afghanistan werden auch alte Pipeline-Pläne der USA durch den Hindukusch wieder aktuell. Der neue starke Mann in Kabul, Hamid Karazai, war früher Berater des US-Ölkonzerns Unocal. Dieses Unternehmen gehört zu den grössten Teilhabern des Central Asia Gas Pipeline Consortium (CentGas), das eine Pipeline für Öl und Erdgas von den Ölfeldern Zentralasiens und des Kaspischen Meers vorbei an Russland und Irak durch Pakistan nach Indien plant.

Unsichere Transportwege
Das grosse Problem der reichen Ölgebiete in der Senke des Kaspischen Meeres ist der Transport des schwarzen Goldes zu Verladehäfen, die nicht im Einfluss von «Schurkenstaaten» liegen, wie sie US-Präsident Bush bezeichnet. Derzeit führt eine Pipeline von Aserbaidschan zum Schwarzen Meer auf rund 130 Kilometern Länge durch das Kriegsgebiet in Tschetschenien. Eine neue Pipeline durch Dagestan sollte den Moslem-rebellen in der Krisenregion Tschetschenien ausweichen, doch auch in Dagestan kommt es immer wieder zu Unruhen. Keine dieser Pipelines ist auf Grund der latenten Gefahr von Anschlägen in ihrer Kapazität ausgelastet. Pipelines vom Kaspischen Meer in die Türkei würden Russland die Kontrolle über die wertvollen Ressourcen in den ehemaligen Sowjetrepubliken entziehen. Die USA hätten durch ihren Verbündeten Türkei und ihre neuen Militärbasen rund um das Schwarze Meer leicht die Kontrolle über die Verladehäfen der Region. Russland fördert aus diesem Grund verstärkt im Norden des Riesenreiches. Der zweitgrösste russische Erdölkonzern, Yukos, erschliesst derzeit neue Fördergebiete in Ostsibirien und plant den Bau einer neuen Pipeline nach China.

Die Militärs als Erdölpolizei
Potenzial für künftige Konflikte bietet der unklare Grenzverlauf zwischen den Anrainerstaaten am Kaspischen Meer. Turkmenistan, Aserbaidschan und Iran streiten über ein Ölfeld, in dem Royal Dutch/Shell derzeit Probebohrungen vornimmt. Iran hält seit einiger Zeit auch drei Inseln im Persischen Golf besetzt, die von den Vereinigten Arabischen Emiraten für sich beansprucht werden.

Die Golfregion mit ihrem labilen politischen Gleichgewicht wird noch lange ein Spielball geopolitischer Interessen bleiben. Während die derzeit bekannten Ölreserven in den nächsten 25 Jahren weitgehend aufgebraucht sein dürften, könnten die Quellen der Golfstaaten nämlich noch 100 Jahre unvermindert weiter fördern.

Sowohl Iran als auch Irak verfügen über genügend Reserven, um künftig ihre Ölförderung zu erhöhen. Doch die Regimes beider Länder sind Washington ein Dorn im Auge. Das Pentagon simuliert deshalb verstärkt unterschiedliche Szenarien zum Sturz dieser Regierungen.

Das Säbelrasseln von Präsident Bush an die Adresse von Saddam Hussein blieb nicht ohne Wirkung auf die Ölpreise. Je nach Schätzung sind in den aktuellen Barrel-Preisen rund drei bis vier US-Dollar Zuschlag für die jüngsten Spannungen enthalten. Eine weitere Eskalation hätte einen sprunghaften Anstieg der Spot-Preise zur Folge. Dies würde allerdings einen beginnenden konjunkturellen Aufschwung in den G-7-Ländern massiv verzögern.

Im Visier der US-Militärs sind derzeit einige Länder, die bereits im August 2001 von der US-Energiebehörde als besonders kritisch beurteilt wurden. So haben die USA ihre Truppenpräsenz beispielsweise in Indonesien verstärkt. US-Einheiten kämpfen dort gegen Terroristen. Im südasiatischen Inselstaat gab es im Jahr 2001 wiederholt Angriffe auf Einrichtungen des US-Ölkonzerns Exxon. Ebenfalls im Visier des Pentagons ist der von Bürgerkriegen zerrüttete Sudan. Erst ein Teil der Ölreserven in diesem afrikanischen Land wurde bisher erschlossen. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Angriffen auf die Einrichtungen westlicher Ölkonzerne und zu Anschlägen auf Pipelines. Eine gezielte Militäraktion in dieser Region könnte den Weg zu den begehrten Quellen ebnen.

Der Trend zu einer militärischen Sicherung von strategisch wichtigem Öl scheint unumkehrbar, und der Schutz von Ölfeldern und Supertankern wird in den kommenden Jahren aufwändiger werden. Russland stellte bereits spezielle Raketensysteme zur Verteidigung von Ölfeldern vor. Der Schutz von Seetransporten vor Angriffen wird ebenfalls aufwändiger und teurer. Ein rund 300 Meter langer Supertanker ist schliesslich ein leichtes Ziel. So genannte Private Military Companies (früher: Söldnerfirmen) wie Marine Risk wittern das grosse Geschäft beim Schutz von Öltankern vor sich häufenden Angriffen durch Piraten und wachsender Terrorgefahr. Auch die weltweit rund 2100 Bohrplattformen unterliegen seit dem 11. September erhöhten Sicherheitsanforderungen, ebenso Raffinerien und Tanklager.

Diese Verwundbarkeit zeigt auch die ganze Schwierigkeit der Situation. Die G-7 und vor allem die USA sind auf Öl aus «unsicheren» Regionen angewiesen. Bis alternative Energien auch nur annähernd die wachsende Energienachfrage befriedigen können, bleiben die ölreichen Regionen ein politischer Zankapfel – und der Streit um deren Kontrolle wird vermutlich mit immer härteren Bandagen ausgetragen.

Ölaktien: hohe Volatilität zu erwarten
Die Börsen reagieren auf solche Entwicklungen immer besonders sensibel. Hohe Volatilitäten bei den Aktien der grossen Ölkonzerne dürften deshalb deren künftige Entwicklung prägen. Trotzdem bleiben für Investoren Ölaktien auch in den nächsten Jahren ein Basisinvestment. Die grossen integrierten Ölkonzerne sind in der gesamten Wertschöpfungskette von der Quelle bis zum Endverbraucher aktiv und damit am besten für private Investoren geeignet. Weltweit die Nummer eins ist derzeit Exxon. Wer in diesem Sektor investieren möchte, kommt an diesem Titel kaum vorbei. Interessant positioniert ist auch Chevron Texaco, die Nummer zwei nach Exxon.

Europa: BP als Favorit
Die anstehende Konsolidierung in der mexikanischen Ölindustrie ist im Sinne der USA und könnte für Investoren interessante Einstiegschancen durch M&A-Fantasien ergeben. Neben mexikanischen Unternehmen werden daran wohl auch Partner aus den USA beteiligt sein.

In Europa streiten BP, Royal Dutch/Shell und Total Fina um die Vorherrschaft. Die meisten politischen Risiken nimmt derzeit wohl Royal Dutch/Shell auf sich mit einer starken Exposition in Ländern wie Nigeria. Viele Analysten sehen BP insgesamt besser positioniert.

Spekulativen Charakter haben derzeit noch die russischen Ölgiganten wie Gazprom, Lukoil oder Yukos. Einige russische Konzerne erzielten in den vergangenen Monaten eine hervorragende Performance an der Börse. Jeremy Baker, Analyst bei der CSPB, bemerkt allerdings, dass der Shareholder-Value-Gedanke bei diesen Unternehmen noch weitgehend unbekannt. ist. Private Investoren sollten bei diesen Werten also vorsichtig sein.

Links im Net:
www.opec.org
www.iea.org
www.oil-gasoline.com

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