Es war ein eindrückliches Stelldichein auf dem Zürichberg. Die Bankierfamilie Bär traf sich Ende August in einer grossen Scheune hinter dem Klösterli beim Zürcher Zoo zum Familienfest. 120 Bären – originäre und angeheiratete – kamen zusammen. Kein anderer Clan aus dem Schweizer Geldadel zählt auch nur annähernd so viele Mitglieder wie die Nachkommen von Bankengründer Julius Bär.
Höhepunkt des Treffens waren kurze Filmausschnitte mit Familienmitgliedern aus allen vier Generationen. Sogar ein verwackelter Streifen aus dem Jahr 1929 war dabei, in dem man Richard, Walter und Werner Bär, die Söhne des Firmengründers, beim Schlittschuhlaufen sehen konnte. Ziel des Ganzen war es, die alten Traditionen zu beschwören und die Familienbande zu stärken.
Dies ist auch nötig: Derzeit prägen starke Zentrifugalkräfte die einst so kompakte Bank. Ende Jahr wird mit Walter Knabenhans erstmals in der über hundertjährigen Geschichte des Bankhauses ein Nicht-Familienmitglied die operative Führung übernehmen. Knabenhans, ein Ex-Credit-Suisse-Mann, wird als Direktionspräsident Rudolf Bär ersetzen, der altershalber zurücktritt.
Die Nomination des 50-jährigen Knabenhans, im Frühling an der Generalversammlung der Bank offiziell verkündet, ist in der Branche mit einigem Erstaunen aufgenommen worden. Viele Beobachter hatten erwartet, dass Raymond Bär, Sohn von Hans J. Bär, den operativen Chefposten bei der Bank übernehmen würde. Schliesslich hat Raymond als Leiter des Bereichs Privatebanking einen guten Leistungsausweis. Mit 41 Jahren hat er zudem das ideale Alter für einen CEO.
Doch nicht die operative Leitung, sondern der eher repräsentative Präsidentenjob ist für Raymond Bär vorgesehen. Er wird «in einigen Jahren» den jetzigen Präsidenten Thomas Bär ersetzen. Auch diese mit einer undefinierten zeitlichen Übergangsfrist versehene Nachfolgelösung, sorgte weit herum für Stirnrunzeln. Denn angekündigte und noch nicht umgesetzte Nachfolgeregelungen bergen die Gefahr von Intrigen und können für Instabilität in den Machtverhältnissen sorgen.
Dem widerspricht Thomas Bär vehement: «Diese Regelung wurde getroffen, um Vertrauen einzuflössen.» Die frühe Nominierung von Raymond als VR-Präsident signalisiere das ungebrochene Engagement der Familie für die Bank. Die zeitliche Übergangsfrist rühre daher, dass es wenig sinnvoll sei, «wenn Rudolf und ich gleichzeitig unsere Posten verlassen.»
Dies mag stimmen. Doch der Hintergrund der neuen Lösung ist ein anderer: Die Bär-Familie hat trotz einem inzwischen auf rund vierzig Mitglieder angewachsenen Aktionärspool schlicht zu wenig Mitglieder der vierten Generation, um alle zentralen Posten mit Familienangehörigen zu besetzen. Ausser Raymond Bär ist derzeit nur gerade der 38-jährige Michael Bär, Chef des Devisenhandels, im harten Frontgeschäft bei der Bank Bär tätig. Er wird Ende Jahr als neuer Chef des gesamten Handels in die Konzernleitung aufrücken.
Andere Bären der vierten Generation züchten Schlittenhunde in Alaska (Patricia Bär), arbeiten im Hotelbusiness in New York (Eric Bär) oder im Kunstvertrieb in Wien (Sandra Bär). Das Reservoir banktauglicher Bären schrumpft bei näherer Betrachtung auf eine kleine Auswahl zusammen. So besetzt der Clan heute mit jungen Bären vornehmlich wenig bedeutende Verwaltungsräte von kleineren Schwestergesellschaften oder Stiftungen. Andreas Bär etwa, Sohn von Thomas, ist Rechtsanwalt in Zürich und nebenbei im Rat der Julius Bär Investment Fund Services. Herzblut wird für solche Funktionen kaum vergossen. Marc Bär, Tierarzt von Beruf und Sohn von Alfred Bär, spielt als einfaches VR-Mitglied der Bär-Holding die Rolle eines Kapitalvertreters.
Noch in der dritten Generation gab es beinahe einen Überschuss an Kandidaten, die in der Bank eine wirklich tragende Rolle übernehmen wollten. Interessenten mussten sogar abgewiesen werden. Ulrich D. Bär etwa, der daraufhin einen Verlag gründete, oder Alfred Bär, der Architekt wurde.
Vertraglich festgeschrieben war die alte Ordnung im so genannten Drei-Stämme-Konzept und basierte auf den Familienzweigen, sortierbar nach Richard, Walter und Werner, den drei Söhnen des Firmengründers. Laut dem Vertrag sollte immer «einer, aber nicht mehr» aus jedem der drei Bär-Stämme in der Führung der Bank vertreten sein. Auf drei folgen drei, hiess die Losung. Bis Mitte der Neunzigerjahre schien es, als ob das Drei-Stämme-Konzept auch in der vierten Generation umgesetzt würde. Mit Raymond aus dem Stamm Richard, Christopher aus dem Stamm Walter und Michael aus dem Stamm Werner schienen die drei Repräsentanten bestimmt. Die Medien feierten bereits «die neuen Bärenkräfte» (BILANZ 9/93).
Doch Christopher, der sich dem Vernehmen nach mehr mit dem Golfspielen als dem harten Bankgeschäft identifizierte, musste die Bank verlassen. Über die Hintergründe schweigt sich die Familie aus. Da aber gleichzeitig Christophers Vater Nicolas, der lange den Walter-Stamm vertrat, den «dritten Frühling spürte» («Facts») und sich mit dem Umzug zu seiner neuen Frau nach Genf von der Familie verabschiedete, entstand ein Machtvakuum, das bis heute nicht aufgefüllt wurde. Der Stamm Walter ist nicht mehr in der Bankführung vertreten. «Die Drei-Stämme-Regel gilt nicht mehr», sagt Thomas Bär. Der Grund? «Die Stämme sind verwässert.»
Dem derzeitigen Präsidenten, Thomas Bär, ist es zu verdanken, dass im Anschluss an die delikaten Stammesfehden nicht familiäres Prestige- oder Quotendenken, sondern die Vernunft obsiegte. Anstatt die Schlüsselfunktionen mit wenig motivierten oder gar wenig fähigen Familienmitgliedern zu bestücken, setzt er mit der Berufung von Knabenhans, seit Februar 1998 bei Bär, ein klares Zeichen, dass eine neue Ära bei der Bank Einzug gehalten hat. Und definiert den Anspruch der Familie neu: «Die Führungsleistung der Familie besteht darin, dass sie die Führungsetage bestimmt.»
Die Wahl des Grossbankenprofis als CEO ist nur der letzte und konsequente Schritt im Umbau der Bank Bär von einer Familien-Privatbank zu einer Bankengruppe, die mit einer Bilanzsumme von 22 Milliarden und betreuten Kundenvermögen von 146 Milliarden längst zu einer Grossbank im Kleinformat mutiert ist. Obwohl das klassische Privatebanking immer noch klar den Kernbereich bildet, ist die Bank in neue Gefilde aufgebrochen. So wurde das Fondsgeschäft gezielt ausgeweitet. Zudem wurde geografisch stark diversifiziert, vor allem in Europa. Immer mehr Kunden sind institutionelle Anleger, die weniger auf eine Vorzugsbehandlung durch die Herren Bär als vielmehr auf knallharte Performance setzen.
Der neue Kurs ist erfolgreich – und wie. Das im August veröffentlichte Halbjahresergebnis mit einer Gewinnsteigerung um über 80 Prozent auf 250 Millionen übertraf die Erwartungen der optimistischsten Analytiker bei weitem. Die betreuten Kundenvermögen stiegen um 14 Prozent. Die Eigenmittelrendite stieg auf sagenhafte 36 Prozent. Das «hervorragende Ergebnis» («Neue Zürcher Zeitung») führte am Tag der Bekanntgabe zu einem Anstieg der Bär-Aktien um fast zehn Prozent. Er habe gezielt nach einem Haar in der Suppe gesucht, das das gute Ergebnis relativieren würde, habe aber nichts gefunden, meinte auch Finanzanalyst Christoph Bieri von der Banca Del Gottardo. «Da wurden ein paar clevere strategische Weichen gestellt», windet er der Bankführung ein Kränzchen.
Das exzellente Halbjahresergebnis ist ein klares Signal, dass die Neuausrichtung Früchte trägt. «Professional Leadership» soll, so Thomas Bär, als einziges Kriterium über die Besetzung von Posten in der Bank entscheiden. Dies hat nicht nur zu einer Zurückstutzung der Rolle der Familienmitglieder geführt, auch viele langjährige Mitarbeiter am Schweizer Hauptsitz bekamen den neuen Wind zu spüren. So wurde mit Stéphane Michel ein Franzose an die Spitze des Schweizer Brokergeschäfts berufen. Auch dieser Posten gilt als eine der Dreh- und Angelstellen der Bank. Michel wird zudem in die Konzernleitung aufgenommen.
Wie schwer man sich intern noch mit den neuen Prioritäten tut, zeigte sich umgehend. Nach Bekanntgabe der Berufung von Michel warfen die Mitarbeiter am Zürcher Hauptsitz gleich reihenweise das Handtuch. Thomas Bär musste sich im Mai im einem Interview mit der «Finanz und Wirtschaft» rechtfertigen und verkündete gewunden, dass bei der Bank «wie in der Natur gewisse Blätter abfallen und neue nachwachsen».
Die Fluktuationsrate bei der Bank sei insgesamt nicht höher als bei der Konkurrenz, sagt Bär heute. Zudem bedinge das Konzept der Professional Leadership, dass nur die Besten an die Spitze kämen. Die Herkunft sei dabei nicht von Bedeutung, und «gewisse Abgänge werden bewusst in Kauf genommen.»
Klar ist, dass mit der operativen Zurückstutzung der Familie und der immer internationaleren Ausrichtung der Bank auch viel Unruhe verbunden ist. Von einem regelrechten Kulturschock sprechen viele Mitarbeiter hinter vorgehaltener Hand.
Die Mitarbeiterzahl hat sich seit 1986 auf 2150 mehr als verdoppelt. Einzelne Mitarbeiter sehen mit dem Einzug vieler Externer Gefahren einer «neuen Kultur der Geldgier» in der Bank entstehen und verweisen etwa auf die Rolle als Leadbank bei der Kapitalerhöhung des Spielautomaten- und Casinounternehmens Escor. Die Bank, die sich mit Galionsfiguren wie Hans J. Bär etwa in der Holocaust-Diskussion den Ruf einer besonders ethischen Grundhaltung erworben hat, schiele derzeit nur noch auf die Performance.
Experten halten diesen Vorwurf für nicht angemessen. Ganz abgesehen davon, dass sich die Bank seit jeher unverblümt zum Geldverdienen bekennt, ist der steigende Performancedruck auch eine Erfordernis des Marktes. Die Kunden, das zeigen Studien, begrüssen klar den derzeitigen Kurs der Bank. Die unabhängigen League-Tabellen des amerikanischen Branchenbeobachters Greenwich-Associates etwa belegen, dass die Bank in der Kundenakzeptanz weit vorne liegt und zudem weiter zugelegt hat.
Ein Teil des Erfolgskonzeptes scheint in einer gezielten Arbeitsteilung zu liegen. Familienmitglieder setzen sich vor allem fürs Privatebanking ein, wo der direkte Kontakt des Kunden mit einem Bär wichtiger ist als etwa bei den institutionellen Kunden. So wollen sich Thomas Bär wie auch Rudolf Bär nach ihrem Rückzug weiter um gewisse langjährige Kunden kümmern. Viele der jungen Kunden und auch viele institutionelle Anleger hingegen schätzen die erfolgreiche Mischung aus diskretem Privatebanking und eindrücklicher Performance, die mit den neuen Repräsentanten Einzug gefunden hat.
Die Analysten erwarten, dass der Höhenflug der Bank in Zukunft weitergeht. Das einzige Problem, welches das Management noch zu lösen hat, sind die im Vergleich zur Konkurrenz immer noch zu hohen Kosten.
Die Familie wird langfristig immer mehr die Rolle eines Besitzers und weniger die eines Leiters übernehmen. Exmitarbeiter Hans Kaufmann, ehemals Chefökonom der Bank Bär, glaubt gar, dass die Bank verkauft werden wird. Auch der jetzige Erfolgskurs sei vor diesem Hintergrund zu sehen: «Die Braut wird für den Verkauf geschmückt», so Kaufmann. Schon in drei bis fünf Jahren könne es so weit sein. Als «absolut absurd» weist Bär-Sprecher Jan Bielinski diese Spekulation zurück. «Eine Abgabe der Mehrheit steht nicht zur Diskussion», bekräftigt auch Präsident Thomas Bär. Die Bank weist im Gegenteil darauf hin, dass man die Aktien in Fremdbesitz, namentlich das Paket der UBS, im Frühling 1999 zurückgekauft habe.
Dass heute weniger junge Bären für die Bank tätig seien, sei nicht unbedingt ein Zeichen für eine Abnahme des Engagements der Familie, sagt auch Ulrich Bär, der längst ausgeschiedene Vertreter der dritten Generation. Er glaube, dass der Zusammenhalt in der vierten Generation sogar eher enger ist als vorher. Von den gehässigen Zwisten der dritten Generation sind die neuen Bären bisher verschont geblieben. Ein «sehr gutes Einvernehmen» beobachtet Thomas Bär in der vierten Generation. Für gute Stimmung dürfte nicht zuletzt die jüngste Kursentwicklung sorgen: Der Erfolg der neuen Strategie hat den Bär-Titel seit Jahresbeginn um rund 80 Prozent nach oben schnellen lassen – und die Familienmitglieder insgesamt um rund 800 Millionen reicher gemacht.
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