Unsere innere Uhr kann ganz schön lästig werden: Obwohl am Sonntag kein Wecker klingelt, wachen wir um acht Uhr auf. Die mit Terminen reich befrachete Geschäftsreise nach New York oder der lang ersehnte Kanada-Urlaub werden in den ersten Tagen zur Qual – tagsüber sind wir hundemüde, nachts können wir nicht schlafen. Sogar bei der vergleichsweise harmlosen Umstellung von Winter- auf Sommerzeit plagt uns eine Art Mini-Jetlag. Unser Körper kann nichts dafür, dass er sich gegen einen neuen Tagesrhythmus sträubt. Er ist so programmiert.

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Ein Chronometer, der unsichtbar und unhörbar in uns tickt, bestimmt unseren Tageslauf. Er steuert nicht nur, wann wir schlafen und wann wir wach sein sollten, sondern sorgt auch dafür, dass die Körpertemperatur, der Blutdruck oder der Spiegel der Hormone sich rhythmisch verändern. Die innere Uhr regelt die Aktivität von Leber, Niere, Herz und Magen, sie beeinflusst die Schmerzempfindlichkeit und die Leistungsfähigkeit. Sie ist dafür verantwortlich, dass wir morgens zwischen zehn und zwölf besonders gut lernen, um die Mittagszeit auf Verdauung programmiert sind und gegen drei Uhr nachmittags eine Behandlung durch den Zahnarzt am besten ertragen. Hätten wir keine innere Uhr, würden uns unvorhersehbare Ausbrüche von Aktivität oder Schlaf überfallen. Temperatur, Hormonspiegel, Blutdruck, alles ginge wild durcheinander. Damit unser Leben zudem mit dem Rhythmus der Umwelt synchron verläuft, ist der Chronometer auf 24 Stunden eingestellt.

Der wohlbekannte Jetlag

Doch anders als Pflanzen oder Tiere, die sich dem Regime ihrer inneren Uhr unterordnen, durchbricht der Mensch den von der Natur vorgegebenen Zyklus. Er macht die Nacht zum Tag und überwindet mittels Flugzeug die Zeit- und Klimazonen. Dafür bezahlt er, indem er aus dem Takt gerät. Da sich die innere Uhr pro Tag nur um etwa eine Stunde verstellen lässt, kommt es zu einer Verschiebung, einem «lag». Für Flugpersonal, das Langstreckenflüge betreut, gehört der Jetlag quasi zum Beruf. «Am schlimmsten war die Nordatlantikstrecke», erzählt Thomas Jacob, ehemaliger Swissair-Pilot. Abflug in Zürich um 11.00 Uhr, Ankunft in New York oder Boston um 14.00 Uhr amerikanischer Ortszeit, Zeitverschiebung: sechs Stunden. «Wenn wir angekommen sind, hätten wir nach Schweizer Zeit eigentlich schon bald schlafen müssen», erzählt Jacob. Er hat aber versucht, sich jeweils dem Leben vor Ort anzupassen, wach zu bleiben, wenn die anderen wach waren – und sich gut dabei gefühlt. Dass etwas nicht stimmte, merkte er erst, als er keine Langstrecken mehr flog. «Da habe ich realisiert, dass ich eigentlich über Jahre irgendwie neben der Spur war.»

Besonders schwer haben es Menschen, die unregelmässig nachts arbeiten. Sie müssen sich zwingen, gegen ihre innere Uhr wach zu bleiben. Am Tag versuchen sie, zu schlafen und den vermissten Schlaf nachzuholen. Selbst wenn es gelingt, ist der Tagschlaf immer zwei bis drei Stunden kürzer als der Nachtschlaf. Dafür ist der weniger harmonische, durch Träume gekennzeichnete Paradoxalschlaf verlängert. Der Schlafmangel führt dazu, dass sich Nachtarbeiter häufig müde, schlapp und unkonzentriert fühlen. Missachten sie ihre innere Uhr regelmässig, kann dies ernsthafte Probleme auslösen. Am häufigsten sind Schlafstörungen, auch Depressionen und Herz-Kreislaufstörungen können die Folge sein.

Besser als die gelegentlichen Nachtarbeiter kommen die Menschen zurecht, die ihren Lebensrhythmus vollständig umgestellt haben. Wer freiwillig nachts arbeitet, hat womöglich eine Arbeitszeit gewählt, die seinem natürlichen Rhythmus entgegenkommt. Das Ganze hat jedoch einen gravierenden Nachteil: Nachtmenschen müssen auch an den Wochenenden oder im Urlaub die Nacht zum Tag machen, wenn sie nicht wieder aus dem Rhythmus geraten wollen. Über einige Jahre mag sich der Körper darauf einstellen können, doch nach zehn oder fünfzehn Jahren seien gesundheitliche Probleme bei Nachtarbeitern nicht auszuschliessen, meint der Arbeitsmediziner Alain Kiener vom Staatssekretariat für Wirtschaft in Bern. Auch wenn es bislang keine aussagekräftigen Langzeituntersuchungen über die Folgen von Nachtarbeit gibt, plädiert er für eine Einschränkung. «Wir müssen vorsichtig sein», sagt Kiener. Deutsche und amerikanische Experten raten bereits heute dazu, maximal zwei Nächte hintereinander zu arbeiten. In der Schweiz, so Kiener, «verhindert der Druck der Industrie derartige Empfehlungen».

Im Bunker eingesperrt

Dass der Mensch über eine innere Uhr verfügt, zeigten Versuche in den Sechzigerjahren. Forscher vom Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie bei München fanden mehr als 200 Freiwillige, die sich über Wochen in einem unterirdischen Bunker einsperren liessen, abgeschottet von der Umwelt, ohne Tageslicht oder Geräusche, ohne Uhren, Radios oder sonstige Geräte, welche die Zeit hätten verraten können. Es zeigte sich, dass die Bunkerbewohner über Wochen einen regelmässigen Schlaf-Wach-Rhythmus einhielten. Allerdings ging ihre Uhr nach, ihr Tag dehnte sich auf 25 Stunden aus. Damit der Mensch dem Tageslauf nicht hinterherhinkt, braucht es Zeitgeber. Und es braucht eine Uhr, die sich verstellen lässt.

Ein winziger Zellkern

Bei Säugetieren wie dem Menschen tickt die Hauptuhr im Kopf, in einem winzigen, reiskorngrossen Zellkern (Nucleus). Weil er auf der Höhe des Nasenrückens über (supra) der Kreuzung (Chiasma) der Sehnerven liegt, heisst er suprachiasmatischer Nucleus, kurz SCN. Eine Nervenbahn versorgt ihn mit Informationen über Hell oder Dunkel und ermöglicht ihm so, sich an die aktuelle Umwelt anzupassen. Tagsüber sind die Zellen des SCN aktiv, nachts feuern sie nur noch schwach. Heute weiss man, dass das Uhrwerk molekularer Natur ist: das gleichzeitige An- oder Abschalten von Genen sorgt dafür, dass die rund 20000 Zellen des SCN im Gleichtakt pulsieren. Mit ihrem Rhythmus koordinieren sie die tageszyklischen Abläufe im Körper. Sind die Gene verändert, kann dies den Zyklus verkürzen, verlängern oder völlig zerstören. Vermutlich verdanken früh aufstehende «Lerchen» wie eher nachtaktive «Eulen» ihre Veranlagungen kleinen Abweichungen in den Uhren-Genen.

Licht spielt eine Rolle

Die Temperatur lässt die innere Uhr unbeeinflusst, im Winter läuft sie gleich schnell wie im Sommer. Aber sie ändert sich, wenn der Rhythmus der Umwelt ein anderer ist. Doch woher bekommt der SCN seine Informationen oder, anders gefragt, wie wird die Uhr gestellt beziehungsweise verstellt? Da Licht eine Rolle spielt, muss der Taktgeber im Auge sitzen. Da jedoch auch die Hälfte der blinden Menschen in einem mit der Aussenwelt synchronisierten Rhythmus lebt, können die Sehzellen in der Netzhaut, Stäbchen und Zapfen, nicht die alleinigen Lichtsensoren sein. Erst im Februar des vergangenen Jahres entdeckten Forscher in der Netzhaut von Ratten weitere lichtempfindliche Nervenzellen, die in direkter Verbindung zum Chronometer im Gehirn standen. Das Auge hat offenbar, wie das Gehirn auch, mehrere redundante Systeme, welche die innere Uhr regulieren können. Ohne die Augen fehlt der Taktgeber – blinde Menschen, bei denen die Augen entfernt wurden, sind aus dem Tagesrhythmus.

Das rasant wachsende Wissen über die innere Uhr nutzt die relativ neue Chronomedizin. Sie sucht nach Möglichkeiten, Störungen des biologischen Rhythmus gezielt zu behandeln. So weiss man heute, dass eine Therapie mit Licht die Winterdepression und die damit verbundenen Schlafstörungen kurieren kann. Zudem versucht die Chronomedizin, die Einnahme von Medikamenten auf den inneren Rhythmus abzustimmen und so eine bessere Wirkung mit weniger Nebenwirkungen zu erzielen. Genutzt wird dies beispielsweise bei der Chemotherapie. Während die Zellteilung gesunder Zellen der Kontrolle der inneren Uhr unterliegt, ist das bei den Krebszellen nicht der Fall. Werden die Zellgifte zur rechten Zeit verabreicht, bekämpfen sie die Krebszellen besonders effizient und schädigen gleichzeitig die gesunden Zellen nur minimal.

Helga Kessler ist Wissenschaftsjournalistin in Zürich.

TIPPS GEGEN DEN JETLAG

Geht es nach Westen, also Richtung USA oder Kanada, hilft es, in den Tagen vor der Abreise die Einschlafzeit allmählich in die Nacht zu verschieben.

Geht es nach Osten, kann man die Schlafphase bereits zu Hause nach vorne verschieben, indem man früher ins Bett geht.

Vor Ort die Uhr umstellen.

Am Tag möglichst im Freien aufhalten – durch das Licht begreift der Körper den neuen Tagesrhythmus schneller.

Schlafen zur Schlafenszeit am Zielort.

Grössere Mahlzeiten erst dann einnehmen, wenn am Zielort die Zeit fürs Essen gekommen ist.

WUNDERMITTEL MELATONIN?

Die innere Uhr sorgt dafür, dass am späten Abend Melatonin ausgeschüttet wird. Das Hormon signalisiert dem Körper, dass es Zeit zum Schlafen ist. Nach Zeitzonenflügen wird es zur falschen Zeit ausgeschüttet, nämlich tagsüber. Melatoninpillen, wie sie in den USA im Handel erhältlich sind, können helfen, die innere Uhr zu verstellen, aber nur, wenn sie zur richtigen Zeit eingenommen werden. Weder die optimale Dosierung noch die Nebenwirkungen einer Langzeiteinnahme sind derzeit ausreichend untersucht.