Die Schweizerische Nationalbank (SNB) segelt nun zu lange schon im Windschatten der Europäischen Zentralbank (EZB). Ihr notorisches Schweigen trägt dazu bei, dass viele dies inzwischen normal finden. Nun aber steht einiges auf dem Spiel. Bislang ist die Wertstabilität des Schweizer Franken legendär. In unruhigen Zeiten wird er als sicherer Hafen gesucht.

Aber auch in normalen Zeiten profitiert er von einer Aufwertungstendenz, die ihn über längere Zeiträume regelmässig zur stärksten G10-Währung macht. Verdanken kann er dies der Reputation der SNB und ihrer Fähigkeit, die Inflation niedrig zu halten, ohne dass wie in Japan nachhaltige Deflationssorgen aufkommen.

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Dabei sind die Verbraucherpreise in der Schweiz und in Japan in den letzten zehn Jahren mit kumuliert gut 5 Prozent fast identisch stark angestiegen.

Karsten Junius
Quelle: ZVG
Der Autor

Dr. Karsten Junius, CFA, Chefvolkswirt Bank J. Safra Sarasin

Diese Reputation ist ein Privileg, ähnlich wie beim US-Dollar, der es den USA erlaubt, Haushaltsdefizite auf den internationalen Kapitalmärkten fast unbegrenzt zu finanzieren. Sie als gegeben hinzunehmen, wäre für jede Zentralbank eine riskante Strategie. Dies ist es auch für die SNB. Immerhin liegt die Inflationsrate mit 2,9 Prozent nun weit ausserhalb ihres Zielbereichs und dürfte angesichts eines Anstiegs der vorgelagerten Erzeugerpreise von 9 Prozent gegenüber Vorjahr in den nächsten Monaten sogar eher noch steigen.

Von kaum einer Zentralbank ist aktuell so wenig zu hören wie von der SNB.

Dabei haben sich selten in so kurzer Zeit so viele Determinanten, die für die Gestaltung der Geldpolitik wichtig sind, verändert: Deglobalisierung, neutrale Zinsniveaus, Lieferengpässe und Arbeitskräfteknappheit sind nur einige der Stichworte, zu denen man gerne die Einschätzung einer Zentralbank hören würde, die für eine wichtige internationale Reservewährung verantwortlich ist.

Der Schweizer Arbeitsmarkt boomt

Dazu kommt die Einschätzung des aktuellen Konjunkturzyklus. Das Schweizer Bruttoinlandprodukt liegt nach einem starken Wachstum im ersten Quartal preisbereinigt 2,5 Prozent über dem Vorpandemieniveau. Der Arbeitsmarkt boomt. Die Inflation steigt. Der reale Wechselkurs liegt exakt auf seinem Zehnjahresdurchschnitt und kann damit kaum mehr als überbewertet gelten. Warum liegen die Leitzinsen dann noch auf dem Niveau, das während der dunkelsten Wochen der Pandemie angemessen war? Eine vierteljährliche Lagebeurteilung reicht in diesem Umfeld nicht aus, das Handeln oder Nicht-Handeln einer Zentralbank zu verstehen.

Bei anderen Zentralbanken erklären die Direktoriumsmitglieder und Chefvolkswirte ihren Gedankenprozess und ihre Analysen in Blogs, Reden und Interviews. Sie steuern die Markterwartungen aktiv. Auf der SNB-Homepage werden dagegen selten aktuelle Beiträge allen zeitgleich zur Verfügung gestellt. Auch auf Reuters und Bloomberg sind wenige zusätzliche Zitate zu finden.

«Glaubwürdigkeit kann die SNB von der EZB nicht importieren.»

Im digitalen Zeitalter hat eine moderne Kommunikation eine höhere Frequenz. Ist das Direktorium zu klein, die Kommunikation zu zentralisiert?

Die Quittung ist nun jedenfalls da. Eine Straffung der Geldpolitik auf der nächsten Sitzung der SNB am 16. Juni käme für viele überraschend, obwohl fast alle Zentralbanken weltweit unter Druck sind, auf den stärkeren Inflationsdruck zu reagieren. Das schliesst eine Zinserhöhung nicht aus. Sie würde aber als schlecht vorbereitet gelten.

Keine Rechtfertigung fürs Warten auf die EZB

Schlimmer als eine verspätete Zinserhöhung ist allerdings die Begründung, die die meisten SNB-Beobachter für ihre Prognose angeben: Die SNB würde erst einmal eine Zinserhöhung der EZB abwarten.

Hat die SNB ein Wechselkursziel, das dies rechtfertigen würde, oder keine eigenen Analyseabteilungen, die die Angemessenheit ihrer Geldpolitik beurteilen können, oder eine schwächere Wirtschaftsentwicklung als der Euro-Raum? Nein.

Warum sollte die SNB dann ausgerechnet der EZB folgen, deren Geldpolitik häufig als zu expansiv betrachtet wird, deren Zentralbankrat von «Tauben» dominiert wird und deren Währung weniger als der Franken als Stabilitätsanker gilt? Glaubwürdigkeit kann sie von der EZB nicht importieren, Wechselkurstabilität auch nicht. Sie sollte daher unbedingt dem Eindruck entgegentreten, dass sie nur im Schlepptau der EZB hängt, und bei der Inflationsbekämpfung aktiv voranschreiten.

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