Hayek tobt: Starker Franken killt unsere Arbeitsplätze.» So titelte der «Blick» in grossen Lettern im Juli 1994. Es herrschte Krisenstimmung in der Schweiz. Der Dollar hatte sich innert Kürze von 1.50 Franken bis auf einen Tiefstwert von 1.11 Franken abgewertet. Seit zwei Jahren steckte die Wirtschaft in einer hartnäckigen Rezession. Die Arbeitslosigkeit, bis dahin ein Fremdwort hierzulande, war auf gegen fünf Prozent geklettert. Lautstark verlangte Uhrenkönig Nicolas Hayek vom Bundesrat und der Nationalbank deshalb, sie sollten den Franken schwächen, um die Exportindustrie konkurrenzfähiger zu machen.

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Bereits sechs Jahre davor hatte der Swatch-Chef über den starken Franken geklagt: «Das macht uns kaputt.» Der Absturz des Greenback war damals noch dramatischer: Von 2.50 Franken Anfang 1985 tauchte der Kurs binnen dreier Jahre auf 1.30 Franken (siehe Grafik «Der tiefe Fall des Dollars» auf Seite 111). Der Schwächeanfall der US-Währung endete im Oktober 1987 mit dem legendären Börsencrash, als der Dow Jones Index innert Tagesfrist um 22,6 Prozent in die Tiefe sauste. Eine Billion Dollar an Vermögen war an diesem Montag, 19. Oktober, ausradiert worden.

Der Dollar bildet die Achillesferse der globalen Finanzmärkte. Bricht sein Kurs ein, ist eine Krise meist nicht weit. Verständlich deshalb, dass die Welt erneut mit Nervosität auf die Devisenmärkte blickt. Zwar beträgt die Abwertung seit März nur knapp zehn Prozent. Doch wieder hat der Greenback die Marke von 1.20 Franken geritzt, bis zum Tiefpunkt von 1.13 Franken vom Dezember 2004 fehlt nur wenig.

Herrschte an den Märkten bis vor kurzem eitel Sonnenschein, sind nun plötzlich besorgte Töne zu vernehmen. So warnt etwa die «New York Times» in einem Leitartikel: «Eine schwache Währung, gepaart mit einem gefährlich hohen Budgetdefizit und einem chronischen Mangel an Ersparnissen, ist das Rezept für eine Rezession.»

Der britische «Economist» beschreibt die heutige Situation als ein «Echo von 1987». Die auffälligste Parallele zu damals ist der rapide Anstieg des amerikanischen Handelsbilanzdefizits. Beide Male gab es zudem einen Wechsel an der Spitze der US-Notenbank – 1987 Alan Greenspan, jetzt Ben Bernanke –, verbunden mit Spekulationen über die künftige Geldpolitik. Prompt hat Bernanke in seiner jüngsten Rede vor dem US-Kongress die Dollarabwertung angeheizt. «Es besteht ein gewisses Risiko, dass ein plötzlicher Stimmungsumschwung zu Verwerfungen beim Wert des Dollars und bei anderen Vermögensanlagen führen könnte», erklärte der neue Währungshüter. Überdies deutete er eine Pause bei der Erhöhung der Leitzinsen an. Finanzminister John Snow lässt derweil durchblicken, dass ihm ein schwacher Dollar durchaus gelegen käme. Gleichzeitig
erhöht er den Druck auf China, den Yuan deutlich aufzuwerten.

Kurzfristig könnten die USA von einer Abwertung des Greenback profitieren. Vor allem das bedrohlich wachsende Handelsbilanzdefizit liesse sich auf diese Weise eindämmen. Der Fehlbetrag dürfte dieses Jahr 700 Milliarden Dollar erreichen und liegt somit dreimal höher als vor zehn Jahren. Mittlerweile übersteigen die amerikanischen Importe die Exporte um 83 Prozent. Im Gleichschritt haben die Auslandschulden der USA markant zugenommen. Derzeit steht Uncle Sam bei der Welt mit 3000 Milliarden Dollar in der Kreide, das entspricht einem Viertel des Sozialprodukts.

Ginge dieser Trend weiter, käme die Verschuldungsquote der weltgrössten Wirtschaftsmacht in acht bis zehn Jahren auf 100 Prozent zu liegen, hat Fred Bergsten, der Gründer des Institute for International Economics in Washington errechnet. Nach seiner Ansicht wäre das eine «schiere Katastrophe», maximal tragbar sei eine Quote von 50 Prozent.

Angesichts dieser unerfreulichen Entwicklung könnte eine kontrollierte Dollar-abwertung Wunder wirken, hoffen manche Ökonomen. Joseph Quinlan, Chefstratege der Bank of America, erklärte kürzlich im renommierten Anlegermagazin «Barron’s»: «Ein schwächerer Dollar würde den US-Unternehmen kräftigen Rückenwind geben und die Last nötiger Strukturanpassungen Europa, Japan und vielen anderen Nationen aufbürden.» So denken derzeit viele in Amerika.

Eine Talfahrt des Greenback hätte für US-Investoren zweierlei Vorteile: Die
Aktienkurse der Exportfirmen würden steigen, zudem wären die im Ausland
investierten Vermögen plötzlich mehr wert. Darauf setzt zum Beispiel der Milliardär Warren Buffett, indem er ausländische Unternehmen und Devisen kauft.

So verlockend eine Abwertung erscheinen mag: Sie ist ein Spiel mit dem Feuer. Zum einen würde der schwache Dollar die Importe verteuern und somit die aufkeimende Inflation weiter anheizen. Überdies könnte es zu heftigen Reaktionen seitens der internationalen Notenbanken kommen. Um den amerikanischen Konsumboom zu finanzieren, hat allein China für über 600 Milliarden Dollar US-Devisen gekauft. Entschliesst sich die chinesische Regierung zu einem Abbau dieser Reserven, würden die Zinsen in den USA massiv nach oben schnellen, mit drastischen Folgen für die verschuldeten Haushalte und den überhitzten Immobilienmarkt.

Die grösste Knacknuss allerdings ist eine andere: Gegenüber welcher Währung soll sich der US-Dollar überhaupt abwerten? Zahlreich sind die Möglichkeiten nämlich nicht. Am naheliegendsten wäre der Euro, auf den ein Viertel der weltweiten Währungsreserven entfallen. Dagegen sprechen indes zwei Gründe: Der Euro hat schon bisher die weitaus grösste Last der Dollarabwertung getragen, von 2002 bis 2004 stieg der Kurs von 0.86 auf 1.36 $/€. Zweitens ist der Euro wenig attraktiv: Das Zinsniveau liegt weiterhin tief, während die Staatsdefizite ungebremst anschwellen und die Konjunktur kaum Fahrt aufnimmt. Aus fundamentaler Sicht, so lautet der Befund der Bank Morgan Stanley, ist der Euro gegenüber dem Dollar sogar leicht überbewertet.

Auch die schweizerische Notenbank hält die geldpolitischen Zügel nach wie vor sehr locker. Entsprechend lastet auf dem Franken zurzeit nur ein geringer Aufwertungsdruck.

Zu billig sei dagegen der japanische Yen, meinen die Währungsexperten von Morgan Stanley. Eine Aufwertung von zehn Prozent gegenüber dem Dollar halten sie für gerechtfertigt. Die japanische Notenbank allerdings wehrt sich bis jetzt vehement dagegen. Kaum war der Dollar ins Rutschen geraten, signalisierte der Gouverneur der Bank of Japan, dass die Null-Zins-Politik noch eine Weile andauern werde, was den Kurs des Greenback prompt stabilisierte. Kommt hinzu, dass der japanische Staat unter einer rekordhohen Schuldenlast ächzt.

Die Furcht Japans vor einer Aufwertung hat ihre Wurzeln im Plaza-Abkommen vom September 1985. Auf Druck von US-Präsident Ronald Reagan akzeptierten Frankreich, Deutschland, Japan und Grossbritannien eine Abwertung des Dollars um 50 Prozent. Der steigende Yen lockte darauf riesige Geldsummen nach Japan. Die Folge war eine gigantische Aktien- und Immobilienblase, die das Land bis heute nicht verdaut hat.

Bleibt also der chinesische Yuan, auf den sich die US-Regierung nun eingeschossen hat. Seit über zehn Jahren hat China seine Währung an den US-Dollar gebunden. Dass die chinesische Regierung, trotz den aggressiven Tönen aus Washington, am fixen Wechselkurs festhält, sei indes richtig. Diese Meinung vertritt Stephen Roach, der einflussreiche Chefökonom von Morgan Stanley. Andernfalls würde in China das Gleiche geschehen wie in Japan nach 1985, so Roach. Eine Menge spekulatives Kapital würde ins Land fliessen und die überhitzte chinesische Konjunktur weiter antreiben.

Die Situation an den Devisenmärkten wirkt reichlich absurd: Galt früher die Stabilität der eigenen Währung als Ausdruck nationaler Stärke, ist heute das Gegenteil der Fall. Die Staaten lechzen allesamt nach einer – euphemistisch formuliert – «konkurrenzfähigen Währung». Abwertung heisst das Zauberwort, um die Konjunktur zu stimulieren und die Last der Schulden zu mindern. In dem Schwarz-Peter-Spiel gewinnt, wer am Schluss mit der schwächsten Währung dasteht.

Seinen Ursprung hat die Abwertungsspirale im Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems 1971. Zuvor hatten die USA für stabile Wechselkurse gesorgt. Jedes Land konnte seine Dollarbestände in Gold umtauschen, und zwar zum fixen Kurs von 35 Dollar je Unze. Allerdings begann die US-Regierung, ihre Stellung als Hüterin der weltweiten Leitwährung zu missbrauchen. Es wurde inflationiert: Die Zahl der Dollarnoten wuchs weit schneller als die Goldbestände im Keller der Zentralbank.

Immer höher begannen sich deshalb die Dollarreserven bei den ausländischen Handelspartnern zu türmen. Als die Franzosen im August 1971 den Umtausch ihrer Reserven in Gold verlangten, setzte Präsident Richard Nixon die Goldbindung des Dollars aus.
In sechs Jahren stürzte der Dollarkurs von 4.30 Franken bis gegen 1.50 Franken. Die Notenbanken setzten ihre Gelddruckereien nun erst recht in Gang. Es folgte eine Dekade der Hochinflation mit jährlichen Teuerungsraten von bis zu 15 Prozent in den USA und 12 Prozent in der Schweiz. Vor allem US-Notenbankchef Paul Volcker war es, der dem Spuk mit seiner rigiden Geldpolitik ab 1979 ein Ende bereitete. Nachfolger Alan Greenspan jedoch hat die Liquiditätsschleusen ab Mitte der neunziger Jahre wieder weit geöffnet. Seit 1995 ist die Geldmenge in den USA um 120 Prozent gewachsen – deutlich schneller als das Sozialprodukt (siehe «Geldpresse auf Hochtouren» links unten).

Anleger schützen sich vor dieser Papiergeldflut am besten mit dem Kauf von Sachwerten. Der Preis von Gold hat in den letzten vier Jahren von 260 auf 650 Dollar zugelegt. Und das Edelmetall dürfte weiter an Wert gewinnen, wie die Erfahrungen der siebziger Jahre zeigen. Von 1976 bis 1980 explodierte der Goldpreis gar von 100 auf 850 Dollar pro Unze, was heute, inflationsbereinigt, rund 2000 Dollar entsprechen würde. Auch zahlreiche weitere Rohstoffe wie Öl, Silber, Platin oder Kupfer haben sich markant verteuert.

Eine klassische Sachanlage sind ausserdem Immobilien, deren Preise bei uns – im Gegensatz zu den USA – erst moderat gestiegen sind. Auch Aktien rentieren bei einer Liquiditätsschwemme besser als festverzinsliche Anlagen. Sollte es tatsächlich zu einem weiteren Abwertungsschub beim Dollar kommen, würde dies allerdings die Schweizer Exportindustrie bremsen, so auch die Swatch Group.

Zum vorläufig letzten Mal hat sich Nicolas Hayek am 28. Dezember 2002 via «Blick» zum Thema gemeldet. «Harter Schweizer Franken: Uhrenkönig schlägt Alarm», lautete die Schlagzeile diesmal. «Es ist fünf vor zwölf, die Notenbank muss handeln», liess Hayek verlauten. Der Dollarkurs freilich notierte an diesem Tag noch deutlich höher als heute, bei
1.39 Franken.