Für die meisten Assetklassen und Investmentstile war 2022 ein anspruchsvolles Jahr. Aber am Aktienmarkthorizont sind trotz keimender Rezession Silberstreifen zu erkennen. Denn nach den jüngsten Bewertungsexzessen rund um nicht profitable Technologiewerte, Kryptowährungen & Co. kommen viele Anleger wieder zur Vernunft. Statt Hoffnungen und Fantasien zählen bei der Bewertung von Unternehmen wieder harte Fakten.

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Um die neuen Chancen nutzen zu können, ist allerdings eine Handwerkskunst erforderlich, die während der Growth-Aktien-Party der vergangenen Jahre nahezu ausgestorben ist: Value Investing.

Der Grund für den Niedergang der Value-Zunft während der jüngsten Dekade ist einfach zu beschreiben: Während die Teslas und Carvanas dieser Welt stets zu neuen Höhenflügen ansetzten, entwickelten sich unterbewertete Aktien ohne die richtige «Story» schlechter, weil die meisten Anleger sich auf die Kursraketen stürzten.

Doch wie einst nach der Dotcom-Blase dürfte sich mit dem Ende der Bewertungsexzesse und dem Ende der Negativzins-Ära das Blatt wenden. Vorbei sind die Zeiten, in denen ohne Wimpernzucken das Hundertfache der in ein paar Jahren erwarteten Gewinne bezahlt wurde.

Über den Autor

Oliver Scharping ist Portfolio Manager beim Asset Manager Bantleon.

Für diese Kehrtwende gibt es gute Gründe – allen voran stehen die zurückgekehrte Vernunft vieler Anleger und das Ende der Negativzinsen. Zudem analysieren nur noch wenige Investoren Unternehmen akribisch fundamental, was in den vergangenen Jahren zu länger andauernden und sich vertiefenden Fehlbewertungen geführt hat.

Unter dem Strich ergibt sich für Value-Investoren hier eine Jahrhundertchance. Die strukturell bedingte höhere Inflation wird nämlich in den nächsten Jahren zu dauerhaft höheren Zinsen führen. Weil die Gewinne vieler Growth-Tech-Unternehmen jedoch weit in der Zukunft liegen, führen steigende Zinsen aufgrund der hohen Verschuldung dieser Firmen zu tieferen Gewinnerwartungen. Und während die Kurse der einstigen Tech-Höhenflieger immer neue Tiefpunkte erreichen, wird den Marktteilnehmern langsam, aber sicher bewusst, wie übermässig optimistisch sie noch vor gut einem Jahr Wachstumswerte betrachtet haben.

Value und Growth kombinieren

Die jüngste Entwicklung bedeutet aber nicht, dass Growth-Aktien jetzt verbrannt sind. So schrieb Warren Buffett schon 1992 an seine Aktionäre: «Wachstum ist immer ein Bestandteil der Unternehmensbewertung und stellt eine Variable dar, deren Bedeutung von vernachlässigbar bis enorm reichen kann.» Höchste Zeit also, dass auch Growth-Anhänger zu Value-Investoren werden und die Chancen beider Stile komplementär nutzen.

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Entscheidend für den Anlageerfolg wird in den nächsten Monaten und Jahren sein, traditionelle Wertmassstäbe nicht erneut aus den Augen zu verlieren. Schliesslich sind auch einstige Growth-Höhenflieger wie Servicenow und Nvidia bei einem Kurseinbruch von mehr als 50 Prozent unfreiwillig Value-Freiwild geworden.

Mindestens ebenso interessante Unternehmen finden sich aber auch in den klassischen Value-Sektoren wie Energie, Bergbau & Co. Werte wie Glencore, Equinor und British American Tobacco haben derzeit exzellente Aussichten, sollten auch einer bevorstehenden Rezession trotzen können und sind auf aktuellen Bewertungsniveaus attraktiv.

Egal also, ob klassische Value-Aktie oder ehemaliger Growth-Höhenflieger – auch Privatanlegern mit Value-Fokus und dem nötigen Weitblick bietet sich derzeit ein Paradies.