Nach einer längeren Zeit mit tendenziell steigenden Kursen hat der Schweizer Aktienmarkt am Mittwoch wieder einmal deutlich nachgegeben. Die Unsicherheit im Markt bleibt hoch. Das Bild ist an allen Börsenplätzen das gleiche: Es ist eine Achterbahnfahrt.

Wie geht es jetzt weiter? Stehen die Zeichen eher auf Erholung? Oder kommt alles noch viel schlimmer? Anastassios Frangulidis gibt Antworten im Interview.

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Herr Frangulidis, die Aktienkurse stiegen zuletzt deutlich. Was ist Ihre Erklärung?
Wir müssen dafür zuerst etwas zurückschauen. Die Märkte sind trotz der jetzigen Erholung noch immer tiefer als zu Jahresanfang. Wir haben in diesem Jahr, welches gar noch nicht so lange dauert, so viel erlebt wie selten davor. Bereits im Januar und Anfang Februar kam es weltweit zu einer Korrektur. Sie wurde ausgelöst durch die steigende Zinsstruktur, die vom Fed initiiert wurde. Zudem haben die Fed und andere Notenbanken bekannt gegeben, dass sie ihre Bilanzen reduzieren wollen. Bereits jetzt nimmt die Liquidität ab.

Mit was für einer Korrektur hatten wir es vor ein paar Wochen zu tun?
Das war eine reine Bewertungskorrektur, die von der Geldpolitik getrieben wurde. Das betraf vor allem Märkte, die hoch bewertet waren, darunter auch die Schweiz. Von Jahresbeginn bis zur zweiten Februarwoche performte der Schweizer Aktienmarkt schlechter als viele andere. Dann kam der Krieg in der Ukraine. Neben den Bewertungsängsten kamen nun auch Wachstumsängste dazu. Die Erwartungen für das globale Gewinnwachstum, welche knapp im zweistelligen Bereich lagen, mussten nun nach unten revidiert werden. Folglich haben wir eine starke Korrektur erlebt, welche beim S&P 500 fast 15 Prozent betrug.

Ist der Aufwärtstrend an den Märkten nun eine Antwort darauf?
Man hat aktuell das Gefühl, dass der Krieg wohl doch nicht über die Grenzen der Ukraine hinausgeht. Das war eine wichtige geopolitische Befürchtung beim Ausbruch und hat für sehr schlechte Marktstimmung gesorgt. Dieses Risiko wird jetzt tiefer eingeschätzt. Damit sind auch die Wachstumsrisiken nicht mehr so hoch, wie am Anfang des Kriegs befürchtet wurde. Die weitere Entwicklung des Marktes hängt von drei Faktoren ab.

Welche Faktoren sind das?
Es geht um die Dividende, das Gewinnwachstum und die Veränderung der Bewertung. Die Dividende bringt zwischen 2 und 4 Prozent Rendite je nach Markt. Sie wird im aktuellen Umfeld ziemlich stabil bleiben. Wenn wir aber an die Bewertungen der Unternehmen denken, haben diese in den letzten Quartalen teilweise über 20 Prozent korrigiert. Diese deutliche Korrektur entspricht nach unseren Modellen zu einem bedeutenden Teil der Veränderung der geldpolitischen Ausrichtung. Schliesslich ist die weitere Gewinnentwicklung von grosser Bedeutung.

Wenn diese Angst vor den Zinserhöhungen besteht, weshalb gibt es zurzeit diese Rally?
Die Kursrally zurzeit ist eine Reaktion auf die Korrektur der letzten Wochen. Nun findet eine Gegenbewegung statt. Ob diese anhält, hängt davon ab, ob die Gewinne der Unternehmen hoch genug sind. Es wird aber wahrscheinlich kein gutes Jahr mehr werden an den Börsen. Denn die hohen Energiepreise und der anhaltende Krieg haben einen negativen Einfluss auf die globale Konjunktur und damit das globale Gewinnwachstum.

*Anastassios Frangulidis ist seit Oktober 2016 Chefstratege und Leiter Multi Asset bei Pictet Asset Management in Zürich. Bevor er zu Pictet kam, leitete er als Chefökonom und Chefstratege das Multi Asset Research bei der Zürcher Kantonalbank. Frangulidis trat der Bank im Jahr 1999 bei und wurde 2002 zum «Chief Economist International» ernannt. Er begann seine Karriere 1997 bei der UBS im Bereich Portfolio Management.

Anastassios Frangulidis ist seit Oktober 2016 Chefstratege und Leiter Multi Asset bei Pictet Asset Management in Zürich. Bevor er zu Pictet kam, leitete er als Chefökonom und Chefstratege das Multi Asset Research bei der Zürcher Kantonalbank.

Quelle: ZVG

Wie wird sich das auf die Schweiz auswirken?
Im Umfeld des schwindenden globalen Wachstums und einer restriktiveren Geldpolitik sind defensive, hochqualitative Märkte wie der Schweizer Markt attraktiv. Aber auch die Schweizer Volkswirtschaft sollte vom Krieg in der Ukraine weniger stark betroffen sein als die europäische.  

Was sind die Gründe?
Lebensmittel- oder Energiepreise fallen in unserem Konsum nicht so stark ins Gewicht wie in anderen Ländern. Dazu haben wir eine starke Währung. Die Inflation steigt deshalb weniger stark als anderswo. Der Schweizer Aktienmarkt ist wie gesagt ein defensiver Markt. Ein solcher Markt hat in Zeiten von Krisen einen Vorteil. Beim SMI machen Nestlé oder die Pharmawerte etwa die Hälfte der Marktkapitalisierung aus. Diese Konzerne wie auch einige andere Schweizer Unternehmen sind global ausgerichtet und gut diversifiziert. Sie sind nicht nur vom europäischen Markt abhängig, der zurzeit stark unter dem Krieg leidet.

Der SMI hat international im laufenden Jahr besser performt als die meisten anderen Indizes der Welt. Warum?
Inländische Anleger, aber auch globale Investoren realisieren, dass in Zeiten der Krise der Schweizer Markt ein Hort der Sicherheit ist. Der defensive Charakter des Marktes hilft. Das ist eine Stärke, die wir in dieser krisengeschüttelten Welt brauchen.

Wird diese positive Stimmung bleiben für die nächsten Tage oder sogar Wochen?
Jetzt, wo die Wachstumsrisiken grösser geworden sind, ist der Schweizer Markt bestimmt stabiler als andere Märkte – und bleibt auch künftig attraktiv. Auch wenn der Krieg irgendwann hoffentlich zu Ende ist, wird der Trend zur restriktiveren Geldpolitik weiter bestehen. Dies wird die US-Konjunktur und insbesondere den Konsum zunehmend schwächen. Defensive Märkte und Sektoren werden dann zunehmend gesucht.