Alex Hinder hat seinen Glauben verloren. Ende der neunziger Jahre erfuhr er als Fondsmanager bei Vontobel hautnah, wie schwer es ist, den Index zu schlagen. Jetzt glaubt er nicht mehr an das aktive, auf der Selektion besonders gewinnbringender Investments basierende Fondsmanagement. «Stockpicking kostet nur viel Nerven und bringt langfristig nichts», sagt Hinder. Als einer der bekanntesten Schweizer Vermögensverwalter verwirklicht er seine Strategien fast ausschliesslich über Exchange Traded Funds (ETFs), passive Investments, die nur eines können: möglichst genau Indizes folgen.

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Hinder war kein schlechter Fondsmanager. Ihm erging es bloss so wie dem grössten Teil seiner Kollegen. Laut einer Analyse der Fondsgesellschaft Vanguard schneiden die passiven ETFs in acht von zehn Fondskategorien besser ab als die teureren aktiven Fonds. Rechnet man die Fonds, die vom Markt genommen wurden, mit ein, lagen die Fondsmanager in keiner Kategorie über dem Index.

Dabei machen die Fondsmanager keinen schlechten Job. Ihr Problem sind die hohen Gebühren. Rund zwei Prozent werden den Anlegern für die Expertise Jahr für Jahr verrechnet. Meist kommt beim Kauf noch ein saftiger Ausgabeaufschlag dazu. «Über zehn bis zwanzig Jahre zusätzlich zur Benchmark-Entwicklung zwei Prozent Gebühren reinzuholen, ist nahezu unmöglich», sagt Hinder.

Unmögliches schaffen wenige. Über einen Zeitraum von zehn Jahren geht nur noch ein kleiner Prozentsatz der Fonds als Sieger im Rennen gegen den Index hervor. «Den Star unter den rund 50 000 existierenden aktiv verwalteten Fonds zu finden, ist wie Lotto – reine Glückssache», sagt Hinder.

Starallüren

Zudem haben es die Stars nicht leicht. Mit der zunehmenden Fondsgrösse wird es immer schwieriger, eine überdurchschnittliche Performance zu erzielen. Meist steht die Masse an Kundengeldern der bisherigen Strategie im Wege. Die Ablenkung durch Medienrummel und ständige Investorentreffen kommen noch dazu. Selbst der renommierte Obligationen-Manager Bill Gross fiel in den letzten zehn Jahren hinter seine Konkurrenten zurück. 2011 musste er sich sogar einem ETF aus dem Hause Vanguard geschlagen geben. Anders als das passive Produkt hatte Gross das Rally bei den US-Treasuries verpasst.

Solche Beispiele machen die Runde. Immer mehr Marktteilnehmer scheinen wie Hinder den Glauben an das aktive Fondsmanagement zu verlieren. Von 2003 bis 2013 schoss das in ETFs investierte Vermögen von 220 auf 2620 Milliarden Dollar in die Höhe. In den ersten drei Quartalen kamen 191 Milliarden Dollar dazu. Zunehmend werden Bond-ETFs nachgefragt. «Geht es so weiter, dürfte das Jahr 2014 der ETF-Industrie Neuzuflüsse in Rekordhöhe bringen», sagt Sven Württemberger, Chef iShares Deutschschweiz.

Die Schweiz ist bei dem Trend voll dabei. «Schweizer Investoren setzen aus taktischen Gründen vermehrt auf indexnahe Anlagen, speziell bei europäischen und US-Aktien», weiss Marco Mautone, Managing Director beim ETF-Anbieter Source. Hierzulande seien 65 Milliarden Franken in ETFs investiert.

Dumpingpreise

Die niedrigen Kosten sind das erste Argument, das Anlegern bei ETFs einfällt. Zuletzt sind die Kosten noch weiter in den Keller gerasselt. Hintergrund ist ein Preiskampf unter den Anbietern. Amundi hat die Spesen aller Emerging-Markets-ETFs kuzerhand mehr als halbiert. Marktführer iShares brachte die günstige Core-Linie auf den Markt. Ein ETF auf den S&P 500 Index ist für 0,07 Prozent zu haben. Ob solche Tarife überhaupt noch Geld bringen, ist fraglich. Das operationelle Risiko, das sich bei der Replizierung von 500 Titeln ergibt, muss einkalkuliert, die Kosten für Mitarbeiter, Maschinen und die Indexgebühr müssen noch getragen werden.

Wer ETFs kauft, glaubt an Diversifikation. «Wie ein optimales Portfolio zusammengesetzt sein soll, ist noch immer eine ungelöste Frage. Sicher ist, dass es gut diversifiziert sein muss», sagt UBS-ETF-Experte Thomas Merz. Extrem breit kann sich der Anleger mit nur einem ETF aufstellen. Wer etwa einen MSCI World-ETF kauft, verteilt sein Geld auf 1615 Aktien. 85 Prozent der handelbaren Marktkapitalisierung der 23 wichtigsten Aktienmärkte sind abgedeckt.

Diversifikation bedeutet nicht zwangsläufig, dass man keine Wetten eingeht. Hinder setzt seit dem positiven Stresstest auf eine Erholung europäischer Bankaktien. Das Risiko bei einem ETF auf den Index Euro Stoxx Banks hat er automatisch auf 32 Banken verteilt. Der Ausfall eines einzelnen Institutes ist so leicht verkraftbar. Das macht den Charme von ETFs aus: Investmentideen sind einfach, billig und transparent umzusetzen.

Extreme Artenvielfalt

Dabei haben sich die Möglichkeiten in den letzten Jahren deutlich erhöht. Weltweit sind 5303 ETFs erhältlich. Die Zahl der in der Schweiz gelisteten ETFs stieg auf knapp 1000 und hat sich damit binnen fünf Jahren mehr als verdoppelt. «Mittlerweile ist praktisch jedes Thema umsetzbar», sagt iShares-Chef Württemberger. «Long only» ist ETF-Geschichte. Längst können Anleger auch mittels ETF auf fallende Kurse setzen, ganz nach Risikoneigung mit verschieden grossen Hebeln.

ETF Securities hat etwa im April dreimal gehebelte Long und Short ETFs auf die wichtigsten europäischen Märkte lanciert. Produkte auf MLPs, die auf US-Energie-Infrastruktur spezialisiert sind – bisher in erster Linie US-Anlegern vorbehalten –, kamen noch dazu. «Es ist ein kompetitiver Markt. Den zwanzigsten ETF auf den Euro Stoxx braucht niemand. Man muss sich etwas einfallen lassen», sagt Bernhard Wenger, Vertriebschef Europa von ETF Securities.

Dabei werden Grenzen getestet. Kürzlich liessen die US-Regulierer ETFs der Firma Pro Shares auf die in der Finanzkrise in Verruf geratenen Credit Default Swaps (gebündelte Kreditrisiken) zu.

Die Innovationen gehen so weit, dass die passiven Produkte zunehmend aktiv werden. Hintergrund ist eine Schwäche der ETFs: Steigt eine Aktie, nimmt ihr Stellenwert im zugrunde liegenden Index zu. Der Anleger kauft also verstärkt Titel, die gut gelaufen und teurer sind. Index-Anbieter versuchen, mehr nach Faktoren wie Bewertung, Wachstum, Risiko zu gewichten und so höhere Renditen zu erzielen. Solche Strategien werden zunehmend als Risk Factor Investing oder Smart Beta Investing bekannt.

Kritiker werfen der ETF-Industrie vor, sich damit zu weit vom passiven Investment zu entfernen. UBS-Experte Merz beruhigt: «Auch solche ETFs sind passive Bausteine. Es steht immer noch ein Index dahinter, den man verstehen muss.» An der Schweizer Börse machen solche Strategien zwei Prozent der ETFs aus. Merz glaubt nicht, dass es sich bei Risk Factor Investing nur um einen kurzfristigen Trend handelt. Er könnte recht behalten. Selbst Norwegens Staatsfonds setzt sein Portfolio jetzt verstärkt in dieser Art um.

Entscheidungsfreude

«Passiv investieren heisst nicht, dass man das Gehirn abschalten muss», sagt Finanztheorie-Professor Erwin Heri. Das wäre auch nicht empfehlenswert. Es gibt viele Entscheidungen zu treffen. Die unterschiedlichsten Anlageklassen, Regionen, Länder, Sektoren stehen zur Wahl. Für die meisten Märkte gibt es wiederum verschiedene Indizes. Als Grundregel gilt: Auf den breiteren Index setzen. Da sind kleinere Werte drin, und die haben den Blue Chips in Sachen Wachstum und Performance meist einiges voraus.

Gültigkeit hat diese Regel besonders in der Schweiz. Während der SMI vor allem von Nestlé, Roche und Novartis dominiert wird, macht der Anteil der kleinen und mittelgrossen Unternehmen im SPI rund 20 Prozent aus. Langfristig hat das eine Outperformance gebracht.

Ist der passende Index gefunden, beginnt die Suche nach dem entsprechenden ETF. Ausgewogene Depots lassen sich bereits mit wenigen ETFs zusammenstellen. Puristen kommen mit einem MSCI World ETF und einem globalen Obligationen-ETF aus. Sinnvolle Ergänzungen sind Rohstoffe, Immobilien und Schwellenländer.

Fragt sich nur, ob man derzeit überhaupt investieren soll. Die Bondmärkte geben kaum noch etwas her. Ob die Rekorde an den US-Börsen gerechtfertigt sind, wird besser nicht hinterfragt. Das halten viele Investoren auch nicht für relevant. Denn mit ihrem billigen Geld geben die Notenbanken den Takt an den Märkten vor. Zunehmend scheint Alex Hinder den Glauben an die Märkte zu verlieren: «Die Party an den Börsen läuft, doch irgendwann ist die Musik aus.»

 

Erich Gerbl
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