BILANZ: Sie haben freien Blick auf den Central Park, Upper Manhattan, den Hudson River – eine fantastische Aussicht!

Fabrizio Freda: Das dachte ich auch, als ich das erste Mal hierherkam. Leider gewöhnt man sich selbst an etwas so Ausserordentliches.

Vor drei Jahren hat die Familie Lauder Sie in die Firma geholt. Wofür?

Leonard Lauder sagte mir, die Mission heisse, die beste Firma weltweit zu sichern.

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Sie gehören weder zur Familie Lauder, noch machten Sie innerhalb des Unternehmens Karriere. Warum holte man gerade Sie als CEO?

Die Familie, die das Unternehmen davor über drei Generationen aufgebaut und geführt hatte, hielt die Zeit für reif für jemanden von aussen, jemanden mit unverstelltem Blick und ohne grosse persönliche Verbindungen zum Management.

Und was reizte Sie an diesem Job: Geld, Macht?

Weder noch. Mir kommt es heute so vor, als hätte ich, ohne es zu wissen, diesen Job schon immer gewollt. Als hätte ich, ohne es zu wissen, mein ganzes Leben auf diesen Job hin trainiert.

Was ist die grösste Herausforderung?

Das Beste aus der Vergangenheit zu bewahren und, davon ausgehend, das zu ändern, was Sinn ergibt. Wer weiss, was nicht geändert werden soll, weiss auch, was geändert werden kann. Es ist einfacher, mit Veränderungen schnell voranzukommen, wenn man auf bestehende Stärken aufbauen und sie an neue Gegebenheiten anpassen kann, als wenn man neue Stärken aufbauen muss. Mit dieser Haltung habe ich hier angefangen.

Und?

Dieses Unternehmen ist stark geprägt von der Familie Lauder, die Werte wie Hochachtung vor Kreativität und unternehmerisches Denken hochhalten. Die andere grosse Stärke hier sind die Marken an sich. Uns gehören 25 Kosmetikbrands im Bereich Prestige Cosmetics. Jede hat eine eigene, weltweite Ausstrahlung – und Kundschaft.

Aber?

Die grossen Stärken waren dem Unternehmen zu wenig bewusst – weil sie zum Selbstverständnis gehörten, wie für mich diese Aussicht aus meinem Büro selbstverständlich geworden ist. Entsprechend wurden die Stärken auch nicht optimal genutzt. Wir haben manches geändert.

Und das mitten in der Krise. Das war mutig.

Unsere Prestige Cosmetics sind das am schnellsten wachsende Segment in den am schnellsten wachsenden Märkten. Wir haben von der Krise nicht viel zu spüren bekommen.

Am schnellsten wachsen bekanntlich die Emerging Markets. Je nach Hemisphäre sind die Frauen sehr verschieden. Wie können Sie da global sein?

Global heisst für uns nicht, dass wir allen die gleichen Produkte vorsetzen. Diese Idee mag ein gutes Geschäft sein, stiess mich aber schon ab, als sie Mitte der achtziger Jahre aufkam. Wir arbeiten hier nicht nach dem Konzept, das Beste aus den USA dem Rest der Welt zu verkaufen. Vielmehr sind wir in dem Sinne global, dass wir versuchen, das Beste aus dem Rest der Welt zu erkennen und dann daraus Produkte zu entwickeln. Dass die Frauen so verschieden sind, ist für uns ein Asset.

Sind Sie mit dieser These als CEO angetreten?

Nein, diese Diskussion fand erst statt, als ich schon angestellt war. Offen gestanden, kam ich in dieses Unternehmen, weil ich insgeheim wusste, dass es das Profil hat, Globalisierung auf diese Weise zu verstehen und umzusetzen. Genau so arbeiten wir heute.

Können Sie das konkretisieren?

Russinnen zum Beispiel benützen mehr Mascara als alle anderen Frauen der Welt. In Indien sind Lippenstifte sehr wichtig. Und Amerikanerinnen lieben Lidschatten. Wenn wir also an einer neuen Mascara arbeiten – eines der anspruchsvollsten Produkte in der Kosmetik überhaupt, by the way –, orientieren wir uns an den Russinnen, für Lippenstifte konsultieren wir Inderinnen und so weiter.

Und gleich verfahren Sie bei Pflegeprodukten?

Genau. Asiatinnen wollen einen ebenmässigen Teint, Europäerinnen Crèmes gegen Falten, Amerikanerinnen sind mehr als andere auf Feuchtigkeit ihrer Haut bedacht. Kurz: Für jedes Produkt gibt es irgendwo auf der Welt die Frauen mit der höchsten Anspruchshaltung. Even Better Clinical von Clinique zum Beispiel ist so zustande gekommen, ein Produkt, das sehr wirksam gegen Pigmentflecken ist. Die Idee dazu stammt von uns, das Know-how und die Technologie kommen aus Asien, wo wir das Produkt auch testeten. Es war dort auf Anhieb ein Erfolg und wurde weltweit ein Verkaufsschlager – für uns der beste Beweis, dass es funktioniert.

Wie verschaffen Sie sich Zugang zu solchem Wissen?

Wir haben dafür eine Division aufgebaut, die für uns Konsumtrends und -verhalten in jedem unserer Märkte für jede unserer Marken analysiert und daraus ableitet, wo sich für uns das jeweils grösste Potenzial bietet. Auf dieser Basis haben wir China bearbeitet: Aufgrund unserer Analysen wussten wir, dass wir dort mit der Marke Estée Lauder sehr viel Erfolg haben können. Also haben wir in China sehr viel für diesen Brand getan und sind innerhalb von nur drei Jahren tatsächlich Marktführer geworden.

Was für eine Bedeutung hat der Schweizer Markt?

Der Anteil der Prestige Cosmetics am gesamten Kosmetiksektor mit all den Massenprodukten ist in der Schweiz einer der grössten der Welt. Andere Länder holen aber auf. Nie in der Geschichte ist die Mittelklasse so rasch gewachsen wie jetzt. Frauen werden wohlhabender. Rein mathematisch ist der Reichtum in den Händen von Frauen eine der am schnellsten wachsenden Finanzgrössen überhaupt: Jedes Jahr kommen drei Billionen Dollar verfügbares Einkommen dazu. Auch in diesem Kontext ist China sehr wichtig, zumal Beauty dort eine der Top-Prioritäten ist, sobald eine Frau es sich finanziell leisten kann. Zudem: Chinesen reisen mehr als andere, und wenn sie reisen, shoppen sie und wollen in Zürich die gleichen Produkte und den gleichen Service erhalten wie in Peking. Deshalb haben wir an beliebten Reisedestinationen chinesische Beraterinnen engagiert.

Benützen Sie eigentlich selbst Produkte von Estée Lauder?

Ab und zu trage ich nach der Rasur einen Moisturizer auf, seit ich hier arbeite. Männer wie ich sind nur schwer zu gewinnen.

Was ist besonders italienisch an Ihnen?

Alles, ich bin Italiener durch und durch. Ich träume auf Italienisch, spreche mit meinen beiden Kindern ausschliesslich italienisch, verbringe meine Ferien wenn immer möglich in Italien. Ich liebe das Land.

Männer als Kunden interessieren Sie also nicht?

Alles in allem wächst dieser Bereich zwar, aber langsam.

Zu langsam, um für Sie interessant zu sein?

Wir haben uns einfach vorgenommen, uns auf die Bereiche mit dem grössten Potenzial zu konzentrieren, und das ist im Bereich Pflege Anti-Aging für Frauen. Da legen wir dann auch den Schwerpunkt in Forschung und Entwicklung.

Wie ist diese Division im Konzern eingebettet?

Wir haben eine Abteilung, die Grundlagenforschung betreibt. Unabhängig davon hat jede Marke eine eigene Produktentwicklung mit kreativen Köpfen, die sich zu 100 Prozent mit ihrer jeweiligen Marke identifizieren.

Das klingt nach hartem internem Wettbewerb.

Das ist so. Jede Marke ist eine eigene Company, das war schon immer so und wird auch so bleiben. Allerdings haben wir auch gelernt zu kollaborieren, wo es sinnvoll ist. Ein Beispiel ist die Marktforschung, die früher jede Marke für sich selber betrieben hat. Zudem habe ich keine Geduld mit einem Status quo, wenn er das System belastet. Wir haben viele Kosten aus dem System herausnehmen und in profitables Wachstum investieren können.

Sie haben unter anderem 2000 Leute entlassen, darunter auch Executives. Hat die Familie Lauder nie opponiert?

Im Gegenteil. Ich hatte ja die Kompetenz für grosse Veränderungen, und ich wusste die Familie bei allen Entscheiden auch immer geschlossen hinter mir.

Die Lauders sind dank Ihnen letztes Jahr noch reicher geworden: Der Aktienkurs ist 2011 um 40 Prozent gestiegen. Auch die Analysten lieben Sie.

Die Einschätzungen und Kommentare der Analysten bedeuten mir viel. Aber ich weiss genau, dass sie nicht mich lieben, sondern einzig und allein unsere Zahlen.

Welche Bedeutung hat bei Estée Lauder das Online-Geschäft?

Warenhäuser wie Jelmoli in Zürich sind das Herzstück in unserer Distribution und werden es auch bleiben. Eine Kundin kauft an einem MAC-Counter nicht einfach Schminke, sondern wird von bei uns ausgebildeten Make-up Artists auch noch instruiert, die Produkte richtig zu benützen. Das ist ein hoher Mehrwert gegenüber dem Kauf via Internet.

Mascaras und Make-ups Ihrer Marken sind sehr teuer. Kundinnen, welche die Produkte bereits kennen, würden einen günstigeren Online-Preis durchaus schätzen.

Erstens: Es gibt Studien, die belegen, dass eine Frau in einem Supermarkt mit schlechtem Licht mit grösster Wahrscheinlichkeit ein oder zwei Fehlgriffe getätigt hat, bevor sie die richtige Nuance eines Make-up findet. An den Estée-Lauder-Verkaufsständen haben wir eine spezielle Beleuchtung, die es ermöglicht, die perfekte Farbe zu finden. Diese eine Farbe kostet zwar klar mehr als eine, aber nicht viel mehr als zwei oder drei Farben aus dem Supermarkt. Zweitens: Prestige-Cosmetics-Kundinnen kaufen nicht nur ein Produkt, sondern eine Marke, und da gehören Service sowie Ambiente dazu. Deshalb sind Frauen, die solche Produkte möglichst billig online kaufen wollen, absolut in der Minderheit. Mit den technischen Möglichkeiten, die immer besser werden, sehe ich aber auch für unser Segment durchaus Chancen im Internet, und unser Angebot entwickelt sich laufend weiter – nicht über den Preis, sondern vor allem über den Service. Damit ist Estée Lauder gross geworden, das ist Teil unserer DNA, eine unserer grossen Stärken. Die wollen wir behalten.

 

Der Schachspieler
1958 in Neapel geboren und dort aufgewachsen, studierte Fabrizio Freda Ökonomie an der dortigen Universität und absolvierte danach in den USA einen MBA-Kurs. Seine Berufskarriere absolvierte er mehrheitlich bei Procter & Gamble, wo er 23 Jahre lange arbeitete und die Karriereleiter bis zum President Global Snacks hochkletterte. 2008 wechselte er zu Estée Lauder, wo er seit Sommer 2009 CEO und Präsident ist. Freda ist Vater von zwei Teenagern, verheiratet mit einer Belgierin und gilt als hervorragender Schachspieler. Sein Büro befindet sich im 40. Stock des General Motors Building in New York. 

Iris Kuhn Spogat
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