Wie Models auf dem Laufsteg werden Finanztitel derzeit präsentiert. Der Markt unterschätze das Potenzial, die Branche stehe wieder deutlich besser da und Finanztitel seien der Call fürs laufende Jahr, hört man aus Analystenkreisen.

Noch vor einem Jahr hätten solche Statements nur Kopfschütteln ausgelöst. Nachdem die Wurmstichigkeit von Subprime-Krediten ruchbar geworden, die Märkte für kurzfristige Firmenkredite völlig ausgetrocknet und die Preise für verbriefte Kreditderivate und mit ihnen die Bewertungen von Aktien, Obligationen und Derivaten ins Bodenlose gefallen waren, fürchteten Anleger Finanzaktien wie der Teufel das Weihwasser.

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Zweieinhalb Jahre nach dem Untergang von Lehman Brothers notieren viele Finanztitel inzwischen aber wieder auf Vorkrisenniveau. Die Preise für Kreditausfallversicherungen für Finanzobligationen – gleichsam die Fieberkurve der Finanzindustrie – notieren zwar immer noch auf erhöhtem Niveau. Aber mit einem Kursplus von 10, 20 und teilweise 30 Prozent sind viele Titel nach oben ausgebrochen und signalisieren weiteres Aufwärtspotenzial. Das macht Investoren neuen Mut.

Wenig homogene Branche

Reste der Unsicherheit geistern aber nach wie vor herum. «Finanztitel stellen immer noch eine enorme Herausforderung dar, weil es keinerlei Erfahrungswerte zu einem Desaster solchen Ausmasses gibt», sagt Mojmir Hlinka vom Vermögensverwalter AGFIF. Der Behavior-Finance-Experte weiss aber auch, dass viele Marktteilnehmer aus psychologischen Gründen in Extremsituationen zu Übertreibungen neigen und so Opportunitäten für kühle Köpfe schaffen. «Vor 15 Monaten haben wir die Aktien des grössten US-Obligationenversicherers MBIA empfohlen, weil die Furcht vor einem Kollaps des Unternehmens rational betrachtet zu gross war», so Hlinka.

Der Kauf war ein Erfolg. Die MBIA-Aktie legte allein in den vergangenen zwölf Monaten 75 Prozent zu. Heute favorisiert der Vermögensverwalter unter den Schweizer Werten Zurich Financial Services und Swissquote, die Online-Plattform für Wertpapierhandel, im europäischen Kontext die Deutsche Bank und Allianz.

Die grösste Herausforderung des Sektors für die nähere und mittlere Zukunft stellen die strengeren gesetzlichen Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften dar. Der Branche peitscht ein scharfer Wind ins Gesicht. Vor allem den Banken. Der Basler Ausschuss der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich fordert ab 2019 mit dem neuen Basel-III-Regelwerk 10,5 Prozent Eigenkapital, gemessen an den risikogewichteten Vermögenswerten. Beim härteren «Swiss Finish» werden sogar 19 Prozent verlangt.

Alles halb so wild, winken die Experten bereits heute ab. «Banken haben viel mehr Möglichkeiten, um auf die Veränderungen zu reagieren, als die aktuellen Bewertungen vermuten lassen», heisst es etwa in einer neuen Studie der US-Bank Morgan Stanley. Rund drei Viertel der gesamten Brancheneinnahmen seien schon kompatibel mit dem neuen Regime. Die Schere zwischen Gewinnern und Verlierern werde sich aber weiter öffnen. Banken mit gesunden Bilanzen und besseren Finanzierungsmöglichkeiten seien besser positioniert, und schweizerische sowie britische Institute könnten aufgrund strengerer Kapitalanforderungen international benachteiligt werden.

Neue Geschäfte für Nischenanbieter

Morgan Stanley empfiehlt in diesem Umfeld Universalbanken wie UBS, Société Générale, Barclays, Bank of America oder J.P. Morgan. Die Aktienprofis setzen aber auch auf Nischenanbieter wie die Luzerner Finanzboutique Partners Group. «Die Märkte und die Regulatoren dürften unterschätzen, wie viele Geschäfte langfristig in Hedge Funds, Private Equity, Vermögensverwalter und andere alternative Quellen des Kapitalbusiness fliessen werden, wenn Banken auf die regulatorische Agenda antworten werden», sagen die Morgan-Stanley-Analysten. Die Partners Group dürfte deshalb in den kommenden Jahren mit Geldzuflüssen und höheren Kommissionen rechnen.

Dem Bankensektor bereits einen Schritt voraus ist die Versicherungsbranche. Das hat historische Gründe: Nach dem Platzen der Internetblase kurz nach der Jahrtausendwende gerieten viele Versicherer in finanzielle Schieflage. Die Regulatoren schritten ein und schufen ein schärferes Regime. Mit Erfolg. «Kein einziger Versicherer ist in der letzten Finanzkrise in Konkurs gegangen», sagt Fabrizio Croce, Versicherungsanalyst bei Kepler Capital Markets. Sogar der US-Versicherer AIG, der während der Finanzkrise in arge Bedrängnis geriet, hat ein Revival erfahren.

In der Schweiz gelten die neuen Bestimmungen des Schweizer Solvenztests (SST) bereits seit Anfang 2011. Das europäische Pendant Solvency II dürfte wahrscheinlich 2013 eingeführt werden. «Der Solvenztest für Versicherer ist dabei viel härter als Basel III», sagt Croce. Das hat zur Folge, dass Versicherer heute solider finanziert sind als Banken. Während die Bilanzsummen von Versicherern wie Zurich Financial Services, Swiss Re, Nationale Suisse und Helvetia rund das Zehnfache des Eigenkapitals ausmachen, sind die Bilanzen der Banken immer noch weit über 20fach gehebelt (siehe Tabelle auf Seite 87). «Käme eine zweite Welle der Finanzkrise auf uns zu – was ich für möglich halte –, könnten Versicherer also deutlich mehr Verluste absorbieren als Banken», sagt Croce.

Sinkende Renditen

Wer das Risiko und damit auch eine höhere Rendite sucht, ist mit Bankaktien gut bedient, glaubt hingegen Panagiotis Spiliopoulos, Leiter Research bei der Bank Vontobel. Die Visibilität im Zusammenhang mit den schärferen regulatorischen Vorschriften sei heute recht hoch. «Das Ganze wird jetzt noch politisch ausgeschlachtet, und man macht viel Lärm um Detailfragen», so Spiliopoulos. Das Wichtigste sei allerdings bekannt: Da Banken die Risiken mit mehr Eigenkapital unterlegen müssen, werden ihre Renditen schrumpfen. «Eigenkapitalrenditen von 20 bis 25 Prozent wie vor der Krise wird es nicht mehr geben, realistisch sind unter dem neuen Regime 12 bis 15 Prozent», prognostiziert Panagiotis Spiliopoulos.

Damit würden zwar auch die Bewertungskennzahlen sinken, doch heute seien Banktitel trotzdem zu tief bewertet. «Die neuen Verhältnisse rechtfertigen im Schnitt ein Preis-Buchwert-Verhältnis (KBV) von 1,8 bis 2 oder ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 11», so der Aktienprofi. Das KGV vieler Bankaktien liegt heute auf Basis der Gewinnschätzungen für 2011 allerdings erst bei 8 oder 9 und das KBV bei 1 oder noch tiefer (siehe Tabelle auf Seite 87). Eine Rendite im zweistelligen Prozentbereich liegt im laufenden Jahr mit Bankaktien gemäss Spiliopoulos durchaus drin. Die europäische Schuldenkrise werde die Branche erst in zwei oder drei Jahren treffen, wenn die Bilanzen wieder genug stark seien, sodass Abschreiber auf problematischen Staatsanleihen verdaut werden können.

Teure Compliance-Apparate

«Bei den Schweizer Vermögensverwaltern wäre ich derzeit aber vorsichtig», sagt Spiliopoulos. Wegen der Besteuerungsdiskussion und des Wandels vom Offshore- zum Onshore-Business und des damit einhergehenden Aufbaus eines teueren Compliance-Apparats kommen auf Vermögensverwalter wie Julius Bär, EFG International, LGT und die Bank Sarasin beträchtliche Kosten zu. «Wir empfehlen gegenwärtig keine Vermögensverwalter zum Kauf», so der Aktienprofi.

Auch bei Regionalbanken wie Valiant, Banque Cantonale Vaudoise oder St. Galler Kantonalbank ist Zurückhaltung geboten. Diese Institute haben zwar in den vergangenen zwei Jahren vom Schweizer Hypothekarboom profitiert. Wenn die Zinsen rasch steigen, könnte sich das Blatt allerdings wenden. Das Problem sind nicht möglicherweise faule Kredite, die zu leichtfertig an Schuldner mit zweifelhafter Bonität vergeben worden sind, sondern drohende Margenerosionen beim Zinsdifferenzgeschäft. «Höhere Zinsen können die Margen belasten und Banken in Schwierigkeiten bringen», sagt Spiliopoulos.

Die Kreditnehmer konnten die Hypotheken in den vergangenen Jahren nämlich zu historisch tiefen Zinsen für die nächsten fünf bis zehn Jahre abschliessen. Die Refinanzierungskosten der Kantonal- und Retailbanken sind heute ebenfalls tief. Steigen die Zinsen, wachsen auch die Refinanzierungskosten, während die Einnahmen auf den fest abgeschlossenen Hypokrediten tief bleiben. Auch die Finma warnte jüngst vor einer Margenerosion. «Für das laufende Jahr sind mehrere Vor-Ort-Besuche bei Banken geplant, um die Erfassung und die Steuerung der Zinsrisiken zu untersuchen», hiess es vor einigen Tagen an der Finma-Jahresmedienkonferenz.

Anders stellt sich die Zinsfrage bei Versicherern. Im Fokus sind hier vor allem die Bond-Portfolios der Lebensversicherer, die eine lange Duration haben. Denn je grösser die Duration einer Obligation ist, umso stärker fällt ihr Wert, wenn die Zinsen steigen. Das könnte sogar zur Überlebensfrage werden. Versicherungsanalyst Fabrizio Croce geht jedenfalls nicht von dem angenehmen Szenario leicht steigender Zinsen aus. In einer Stagflation blieben die Zinsen zuerst lange stabil. Wenn die Zinsen dann aber zu steigen anfingen, dann passiere das schlagartig.

Der Versicherungsanalyst rechnet sogar mit einem «Zinsschock»: «Wir leben heute in einer Welt exponentieller Entwicklungen, da könnten auch die Zinsen in relativ kurzer Zeit um 200 Basispunkte in die Höhe schnellen.» Er empfiehlt deshalb Titel von Unternehmen, die vorgesorgt haben. «Immobilien und Aktien sind das richtige Mittel gegen schnell steigende Zinsen», so Croce. Seine Lieblingsaktien sind die Schweizer Nischenversicherer Nationale Suisse und Helvetia, wo Immobilien 13 bis 18 Prozent und Aktien 6 bis 7 Prozent des Anlageportfolios ausmachen.

Von Swiss Life und Swiss Re hält er dagegen wenig, weil in diesen Unternehmen in der Vergangenheit massive Managementfehler begangen wurden. «Investoren vergessen das trotz Aufschwung nicht so schnell.»