Mit dem SWX New Market (SNM) verhält es sich ein bisschen wie mit einem dieser süss-klebrigen Kaugummis. Erst kaut man ihn gut durch, dann bläst man ihn auf, und wenn er einem schliesslich im Gesicht zerplatzt ist, bekommt man ihn kaum mehr weg.

2,5 Milliarden Franken kosteten die Aktien der 16 New-Market-Firmen zum Zeitpunkt der Erstemission. Weitere zehn Milliarden Franken pumpten Anleger während des New-Economy-Booms in die Wachstumsaktien hinein. Bei einer Börsenkapitalisierung von insgesamt 13 Milliarden Franken zerbarst der Ballon. Heute liegt der Börsenwert aller New-Market-Firmen wieder bei rund drei Milliarden Franken. Die Zahl der an der Börse gehandelten Aktien hat sich indes gegenüber dem Zeitpunkt der Emission drastisch erhöht. Alles in allem notierten per Anfang Juni 2002 nur noch 2 der insgesamt 16 Firmenaktien (inklusive Card Guard) über ihrem Emissionspreis. Der SNM-Index, im Sommer 1999 mit 1000 Punkten gestartet, liegt nunmehr deutlich unter Emission. Die Anleger sind konsterniert: Wie wird man diese Titel jetzt wieder los?

Im letzten Jahr betrug der Umsatz am SWX New Market noch 6,5 Milliarden Franken, weniger als ein Prozent der gesamten Umsätze der Schweizer Börse. Basierend auf den Umsätzen des ersten Quartals 2002, dürften sich die annualisierten Einnahmen heuer sogar halbieren. Das einstige Wachstumssegment ist für die Schweizer Börse zur Hypothek geworden.

Derzeit hat mehr als die Hälfte der New-Market-Firmen keinen vertraglich gebundenen Market-Maker mehr, der einen reibungslosen Handel garantieren würde. New- Market-Chef Robert Wyss, vor einem Jahr trotz schwieriger Grosswetterlage an den weltweiten Finanzmärkten noch verhalten optimistisch, was den Zuzug neuer Firmen anbelangt, kann seinen Frust heute nur noch mit Mühe verbergen. Dem Ex-Chefanalysten wird schon beim Gedanken an die nächste Promo-Tour mulmig. Womit, bitte schön, soll er jetzt noch werben?

Seine Crew ist arg lädiert. Zwei Mitglieder der aggressiveren Sorte sind bereits über Bord gestürzt (Miracle ging in Konkurs, Complet-e wurde kurz vor dem Aus übernommen), zwei sind desertiert respektive stehen kurz davor (Card Guard wechselte ans Hauptsegment, Think Tools kaufte die eigenen Aktien zurück), eines ist chronisch überlastet (4M musste das Aktienkapital erhöhen), und drei weiteren droht bald die Luft auszugehen (bei E-Centives, Day und Jomed reicht das Geld nur noch für wenige Monate). Mit 15 Firmen ist der New Market heute ungefähr auf dem gleichen Stand wie im ersten Jahr nach seiner Entstehung (14 Firmen). Die einstige Wachstumsbörse ist derzeit gleich gross wie das Local-Caps-Segment und bedeutend kleiner als das Segment der Investmentgesellschaften (39 Firmen). Das Ziel, die kritische Grösse von 50 Unternehmen innert nützlicher Frist zu erreichen, kann Wyss erst einmal vergessen.

Wenn am New Market derzeit überhaupt noch etwas im Überfluss vorhanden ist, dann sind das bestenfalls die Verluste oder die Mitarbeiteroptionen. In den Jahren seit dem Börsengang haben sich die angesammelten Verluste der New-Market-Firmen von kumuliert rund 100 Millionen Franken vor dem IPO auf mittlerweile 800 Millionen Franken erhöht. Nur wenige Unternehmen haben den Sprung in die Gewinnzone geschafft.

Statt gewissenhaft in den Aufbau zu investieren, verpulverten viele «New Economies» Abermillionen für grössenwahnsinnige Expansionen. Jetzt, da bei vielen Firmen das Geld nur noch für kurze Zeit reicht, muss gespart werden. In den letzten zwei Jahren betrugen die für Massenentlassungen, Filialschliessungen und Bilanzbereinigungen aufgewendeten Kosten mehr als 100 Millionen Franken. Die ursprünglichen Businesspläne sind zum Teil nicht mehr wieder zu erkennen.

So sucht die Internet-Marketingfirma E-Centives seit Monaten verzweifelt Untermieter für ihre knapp 5600 Quadratmeter überschüssiger Büroflächen im nunmehr blutleeren Silicon Valley. Je länger die Büros leer stehen, umso höher die Kosten. Allein im letzten Jahr stellte das Unternehmen neun Millionen Dollar für Verluste aus Untermietverträgen zurück. Die Softwareschmiede Day musste die überteuerte Akquisition von MarketingNet um zehn Millionen Franken abschreiben und 85 Stellen streichen, weil das Servicegeschäft eingestellt und ein Grossteil des US-Geschäfts nun wieder von der Schweiz aus abgewickelt werden soll. Der Online-Broker Swissquote hat seinem französischen Portal den Stecker rausgezogen und 7,5 Millionen Franken für die Restrukturierung zurückgestellt.

Den grössten Schiffbruch aber erlitt die Denkwerkzeugefabrik Think Tools. Sie musste nicht nur ihre Beteiligung an der gescheiterten Internetbank You sowie diverse Darlehen in zweistelliger Millionenhöhe abschreiben, sondern wegen der schlechten Ertragslage 9 ihrer 13 Niederlassungen dichtmachen. Am Ende musste auch noch die Villa in Cap d’Antibes dran glauben.

Seit das Renommee vieler New-Market-Manager angeknackst ist, sehen sich profi- table und reife Unternehmen am SWX New Market je länger, je mehr in eine Aussenseiterrolle gedrängt. «Als Stabilitätsfaktor müssten die uns eigentlich etwas bezahlen», scherzt Mirko Sangiorgio, Sprecher der am New Market kotierten Bank Swissfirst. Ein Wechsel ins Hauptsegment, so Sangiorgio, wäre eine Option. «Doch seien wir ehrlich. Wir waren hier bislang eigentlich nie handicapiert», relativiert der Banker. Einen Wechsel erwägt auch die Softwarefirma Pragmatica. «Sobald wir das nötige Eigenkapital von 25 Millionen Franken haben, werden wir wechseln», sagt Verwaltungsrat Hans Ziegler bestimmt.

Ein Börsenwechsel allein löst allerdings keine Probleme. Der New Market ist lediglich das Gerüst. Für den individuellen Erfolg sind die Unternehmen selbst verantwortlich. Das musste auch das Medizinalunternehmen Card Guard erfahren. Als es im Herbst 2001 wegen des schlechten Image des New Market ans Haupttableau wechselte, zogen die Umsätze in den Aktien entgegen den Erwartungen des Managements kaum an. Erst als Card Guard Anfang 2002 mit einer Umsatzwarnung herausrückte, kam massiv Bewegung in den Handel – die Aktie stürzte ab.

Sind allerdings zu viele Ingredienzen faul, fällt irgendwann auch mal das Gerüst zusammen. Anfang Juni notierten rund 40 Prozent der Aktien unter zehn Franken. Damit die Wachstumsbörse am Ende nicht auch noch zum peinlichen Rappensegment verkommt, wurde börsenintern bereits über die Einführung einer Penny-Stock-Regelung analog zum Neuen Markt oder zur Nasdaq diskutiert. Doch New-Market-Chef Wyss stellte sich bislang quer. Eine Regel, wonach Aktien, die während einer bestimmten Dauer einen bestimmten Wert unterschreiten, aus dem Handel genommen würden, verunsicherte die Investoren nur noch mehr, befürchtet Wyss. Doch kommen nicht bald neue Firmen hinzu, kann der New Market seine Segel streichen. Aber wie wird man ihn wieder los?

Nichts leichter als das. Da sich die heutigen Marktsegmente nur durch ihre Zulassungsreglemente unterscheiden, würden ein paar Änderungen bezüglich Anforderungen an das Kapital und die Berichterstattung, um nur diese zu nennen, genügen. Anschliessend müsste man die einzelnen New-Market-Firmen auf andere Segmente, wie das Haupt- oder das Local-Cap-Segment, verteilen. Dort gibt es schon eine Vielzahl von Unternehmen, deren Aktien ähnliche Abstürze und vergleichbar tiefe Volumen aufweisen wie das Gros der New-Market-Titel. Ein Beispiel: Das in die roten Zahlen abgetauchte und an der Hauptbörse kotierte Elektronikunternehmen Elma (Umsatz 2001: 122 Millionen Franken) wies auf dem tiefsten Punkt der Börsenbaisse eine ähnlich tiefe Bewertung auf wie die New-Market-Softwarefirma Pragmatica. Möglicherweise drängt sich in nächster Zukunft aber gar eine tiefer greifende Restrukturierung auf. Denkbar wäre beispielsweise, dass man die Schweizer Börse künftig in eine Technologie- und eine «normale» Börse aufteilen würde – so wie das in Amerika mit der Nasdaq und der New York Stock Exchange (NYSE) der Fall ist. Drastischer, aber weniger wahrscheinlich wäre eine Fusion des SWX New Market mit dem Neuen Markt analog zum deutsch-schweizerischen Optionen- und Futuresmarkt Eurex.

An der Börse sind solche möglichen Manöver derzeit zwar ein Thema, aber noch lange kein Faktum. «Würden wir nicht sehen, dass es neue Unternehmen gibt, die an den SWX New Market kommen wollen, hätten wir schon längst etwas unternommen», versichert Wyss.

Nur, wo sind die IPO-Kandidaten?

Die einstigen Hoffnungsträger aus der High-Technology-Branche sind entweder pleite (Allcom, Red Cube Portal Services, Viviance New Software), in den Schoss der Mutter geflüchtet (Bluewin) oder hängen am Tropf der Venture-Kapitalisten (Obtree, HMT, SIS). Vielen Managern ist die Lust am Börsengang mittlerweile eh vergangen. «Wenn wir mal nachhaltig profitabel sind, sind wir für private Investoren sicher auch ein interessanter Fall», erklärt Frank Boller, Chef der Softwarefirma Obtree, deren Börsengang eigentlich für Oktober 2000 geplant war. Die Swisscom-Tochter Bluewin, die ihre IPO-Pläne Ende 2000 auf Eis legte, kommt – wenn profitabel – allerfrühestens, wenn die Muttergesellschaft Geld benötigen oder eine grössere Partnerschaft anstehen würde (Aktien als Umtauschwährung). Beides sei auf absehbare Zeit nicht der Fall, heisst es bei Bluewin.

Bleibt noch der Hoffnungsträger Life-Science. Mit Actelion, Biomarin, Jomed, Modex und SHL verfügt der New Market hier bereits über eine Hand voll Vorzeigefirmen, die seit dem IPO erste Erfolge mit ihren Produkten erzielen konnten. Allerdings wagt sich die Börse hier nicht mehr auf die Äste hinaus: Statt von «Life-Science am SWX New Market» spricht Wyss heute vorsichtigerweise von «Life-Science in der Schweiz».
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