«Europa brennt. Wie können Sie da noch Aktien empfehlen?» So schrieb mir eine Leserin. Stimmt, Aktien stecken in einer Vertrauenskrise, die Anleger wenden sich in Scharen von der Börse ab. Und immer mehr Anlageexperten prognostizieren das Ende der Aktie als Finanzierungsinstrument. Die «Financial Times» etwa titelte «Out of stock» und schrieb, die letzten 60 Jahre hätten zwar der Aktie gehört, in Zukunft jedoch würden sich Unternehmen primär über Obligationen finanzieren.

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Dass Aktien auf der Strecken bleiben, glaube ich nicht. Oblis sind eine feine Sache. Doch wer mag sich nur mit Zins zufriedengeben? Gerade langfristig ist es vielversprechender, mit Aktien an der Wertsteigerung einer Firma zu partizipieren – und dazu noch einen Zins, sprich Dividende, zu kassieren.

Sogar in der aktuell schlechten Verfassung der Finanzmärkte kommt der Anleger kaum an Aktien vorbei. Die Alternativen sind wenig renditeträchtig. Mit vielen erstklassigen Staatsanleihen – ja, das gibt es noch – sind lediglich negative Realverzinsungen zu holen. Weshalb also in Papiere investieren, bei denen unter dem Strich ein Verlust resultiert, wenn ich mit manchem Schweizer Blue Chip locker fünf Prozent an Dividendenrendite einstreichen kann?

Wer sein Portfolio breit diversifiziert, kommt – neben Obligationen, Immobilien, Edelmetallen und Rohstoffen – an Aktien nicht vorbei. Je mehr Geduld ein Investor hat, desto mehr Aktien kann er hineinpacken. Achten Sie auf den Währungsaspekt: Ich bevorzuge heimische Titel. Doch auch Aktien aus Grossbritannien, den USA und Asien haben ihren Reiz, da winken unter Umständen noch Währungsgewinne. Doch lassen Sie sich Zeit; Europas Schuldenkrise ist noch lange nicht ausgestanden. Und halten Sie sich bei Aktien von Unternehmen aus zyklischen Branchen zurück.

Blaue Splitter. Waren denn die letzten Jahre so schlecht für Aktien? Mancher Analyst spricht vom verlorenen Jahrzehnt. Doch gerade Schweizer Blue Chips sind weitaus besser als ihr Ruf. Unter den 20 Valoren, die den SMI-Index ausmachen, sorgen vor allem die Tiefflieger für Gesprächsstoff. So haben UBS, CS, Swiss Re und Adecco über die letzten zehn Jahre je etwa 60 Prozent an Wert verloren. Da geht schnell unter, dass die Mehrheit der SMI-Titel teilweise saftige Gewinne vorzeigen. Actelion, Syngenta, SGS, Geberit, Richemont und Swatch haussierten über die letzte Dekade um 200 bis 300 Prozent! Daneben nehmen sich 40 bis 60 Prozent, wie sie Nestlé, Roche, Givaudan und ABB erzielten, eher bescheiden aus.

Überrascht? Ich war es, als ich Bilanz zog. Dabei sind die Dividenden noch gar nicht berücksichtigt – und die können massiv zur Performance beitragen. Der SMI-Börsenindex liegt heute um magere vier Prozent über dem Stand im Juni 2002. Der SMIC dagegen, der den Kursverlauf inklusive reinvestierter Dividenden anzeigt, kletterte in derselben Periode um gut 30 Prozent – trotz Miesepetern wie UBS oder CS. Die Dividende kann auch ein Minus in ein Plus kehren. Beispielsweise bei Swisscom: Die Aktien verloren 11 Prozent, unter Berücksichtigung der Dividende dagegen resultierte ein Gewinn von 46 Prozent. Das ist doch beste Reklame für Aktien.

Gut versichert. Zu den Top-Blue-Chips zählen auch Swiss Life. Jahrelang war ich gegenüber diesem Versicherer negativ eingestellt, und zwar wegen der Aquisition der Drückerfirma AWD. Nicht zuletzt deshalb haben die Aktien über die letzten vier Jahre gegen 70 Prozent an Wert verloren – weitaus mehr als andere inländische Versicherungswerte. Ich halte den Milliardenkauf des Allfinanzdienstleisters bis heute für verfehlt. Zudem leidet Swiss Life unter den tiefen Zinsen und dem für Lebensversicherer garstigen Marktumfeld.

Die Aktien allerdings sind inzwischen derart in den Keller gerasselt, dass sie schon wieder als kaufenswert erscheinen. Obwohl in diesem Jahr der Gewinn zurückgehen dürfte, stellt sich das geschätzte Kurs-Gewinn-Verhältnis auf gerade mal 4,8, das Kurs-Buchwert-Verhältnis erreicht 0,4.

Noch mehr gefällt mir die Dividendenrendite von 5,1 Prozent. Viele Banken führen die Valoren denn auch auf der Kaufliste. Helvea setzt das Kursziel auf 130 Franken fest – rund 50 Prozent über dem aktuellen Preis. Doch warten Sie mit einem Einstieg: Der schlechte Geschäftsgang bei AWD setzt Swiss Life immer mehr unter Druck, auf dem Töchterlein einen heftigen Abschreiber vorzunehmen. Das löst einen weiteren Kurstaucher aus.

Auf schnellen Sohlen. «Mit Interesse habe ich Ihren Artikel zu den sportlichen Grossereignissen und den Sportartikelherstellern gelesen. Da käme noch die Tour de France dazu, und mit Airesis haben wir gar die Möglichkeit, in Schweizer Franken zu investieren», schrieb Leser W.R. Ich habe die Holding aus Montreux in meiner letzten Kolumne bewusst nicht erwähnt. Denn im Vergleich zu Adidas, Puma und Nike ist Airesis ein Leichtgewicht; 2011 fiel ein Umsatz von 169 Millionen Franken an. Allerdings ist die Firma jung. 2004 übernahm eine Aktionärsgruppe unter Führung des inzwischen verstorbenen Rohstoffhändlers Robert Louis-Dreyfus, der Adidas wieder auf Vordermann trimmte, den Aktienmantel von Hermes Precisa. Er wechselte den Firmennamen und erwarb zwei Sportartikelhersteller.

Boards & More ist der weltweit führende Anbieter für Wind- und Kitesurfing. Die wichtigere Beteiligung ist Le Coq Sportif, an der Airesis 69 Prozent hält. Der sportliche Hahn aus Frankreich hat sich auf Sport- und Freizeitschuhe spezialisiert und stellt zunehmend auch Bekleidung her. Bei beiden Firmen läuft das Geschäft gut, die Airesis-Aktien haben sich über die letzten drei Jahre im Wert verdreifacht. «Die Produkte sind etabliert und entwicklungsfähig. Das Wachstum sollte für einige Jahre zweistellig bleiben», schreibt Marmite Capital in einer Studie. Der Schweizer Vermögensverwalter bezeichnet die Aktien als «einen der aussichtsreichsten Wachstumswerte unter den Schweizer Small & Mid Caps» und sieht mittelfristig eine Kursverdoppelung. Ich bin ebenfalls zuversichtlich für Airesis; nur sind die Aktien mit hohen Risiken behaftet.

Frank Goldfinger ist der anonyme Börsenspezialist der BILANZ.
Schreiben Sie ihm an: bahnhofstrasse@bilanz.ch