Ein neues Auto muss her. Aber Geld ist knapp. Deshalb nimmt ein 22-jähriger Mazedonier einen Privatkredit über 10’000 Franken auf. Nicht bei der Cembra Money Bank oder einem anderen Kreditinstitut. Er sammelt das Geld über die Crowdlending-Plattform Cashare und verspricht, den Kredit innerhalb von 24 Monaten mit Zins zurückzuzahlen. Der Zinssatz: 8,7 Prozent. Sein Einkommen: 4206 Franken monatlich. Das Betreibungsregister: clean. Die Geldgeber: eine Schar von Kleininvestoren, die Bank spielen.

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Das Geschäft mit Crowdlending wächst von Jahr zu Jahr. Und die Zinsen, die Kreditgeber damit verdienen können, sind relativ attraktiv, wie das Beispiel des Mazedoniers mit Auto-Traum zeigt. Gleichzeitig ist das Risiko relativ bescheiden. Die Ausfallquote über die letzten fünf Jahre liegt bei Cashare bei 1,1 Prozent, wie Geschäftsführer Michael Borter sagt – «über alle Kredite, Laufzeiten und Ratings».

Dabei gilt natürlich: Je besser die Bonität des Schuldners, desto tiefer die Ausfallquote. Schuldner mit der höchsten Bonitätsnote landen in der Ratingkategorie A. Diese habe seit der Gründung von Cashare keinen einzigen Ausfall verzeichnet, so Borter. Am höchsten sei die Ausfallquote bei Schuldnern mit einem «C»-Rating. Der Mazedonier, der dringend 10’000 Franken für den Auto-Traum benötigt, fällt in diese Kategorie.

Geld für die Selbstständigkeit

Ebenfalls in dieser Kategorie landet der Schweizer, der 25’000 Franken für die eigene Firma will. «Ich bin frisch in die Selbstständigkeit gestartet», erklärt er im Projektbeschrieb. «Ich bin nun an dem Unternehmen beteiligt, in dem ich seit 2015 arbeite.» Selbstständig zu werden, koste zu Beginn eine Menge Geld. «Um diese Zeit zu überbrücken, benötige ich die finanziellen Mittel.»

Der Schuldner ist 1996 geboren, seit September 2021 an der aktuellen Adresse gemeldet. Er verdient 5416 Franken und 65 Rappen pro Monat, bezahlt 501 Franken für die Krankenkasse und 865 Franken für die Wohnung. Sicherheiten für die 25’000 Franken hat er keine hinterlegt, dafür verspricht er 9,7 Prozent Zins bei einer Darlehenslaufzeit von 48 Monaten. 

Das liegt am oberen Ende des gesetzlich Erlaubten. Der Maximalsatz bei Privatkrediten lag bis vor kurzem bei 10 Prozent. Wegen der Teuerung hat der Bundesrat aber den Deckel um einen Prozentpunkt auf 11 Prozent nach oben geschraubt. Der neue Maximalsatz gilt ab Mai 2023.

Cashare ist einer der Grössten im Segment der Crowdlender. Das Unternehmen wurde 2008 gegründet. Es ist ein Kind der ersten Finanzkrise und der älteste Player im Schweizer Markt. Vorreiter war das US-Unternehmen Lending Club, das zwei Jahre vor Cashare aus der Taufe gehoben wurde und 2014 an die Börse ging. Es war damals der grösste Tech-IPO in den USA. Heute beschäftigt das Unternehmen mit Sitz in San Francisco knapp 1600 Personen bei einem Marktwert von rund 770 Millionen Dollar.

Cashare ist eine andere Nummer. Das vermittelte Kreditvolumen seit der Gründung liegt bei 200 Millionen Franken. Die Firma ist damit ein Nischenplayer im gigantischen Schweizer Kreditmarkt. Zum Vergleich: Die Schweizerische Nationalbank beziffert das Kreditvolumen bei inländischen Schuldnern auf rund 1300 Milliarden Franken. 1100 Milliarden entfallen auf Hypothekarkredite, die Plattformen wie Cashare oder Lend.ch ebenfalls vermitteln.

Wenn die Bank nicht mehr zahlt

Häufig handelt es sich dabei um Überbrückungskredite, so etwa beim Beispiel einer Eigentumswohnung in Zürich, für die eine dreissigjährige Holländerin einen Kredit in Höhe von 539’000 Franken sucht. Laufzeit: zwölf Monate. Zins: 3,9 Prozent. Die Hypothek ist grundpfandbesichert, heisst: Im Extremfall können die Gläubiger die Liegenschaft zwangsverwerten und ihre Investition zurückholen. 

Die Holländerin ist ledig und seit Januar 2020 bei einer «renommierten» IT-Firma als Senior Software Engineer festangestellt. So steht es im Kreditbeschrieb. Nettoeinkommen: 7666 Franken. «​​Die Kreditnehmerin will eine neue Eigentumswohnung erwerben und danach ihre bestehende Eigentumswohnung verkaufen», heisst es weiter. «Da ihre Eigenmittel bereits im bestehenden Objekt gebunden sind, ist eine Finanzierung des Kaufs über eine herkömmliche Kreditbank nicht möglich.» Der Kredit erlaube es der Holländerin, die neue Wohnung zu kaufen und danach die alte Wohnung zu verkaufen. «Wir gehen davon aus, dass der Verkauf und die Umschuldung innert zwölf Monaten vollzogen werden können.»

Mit 100 Franken sind Sie dabei

Wenn Sie selbst Bank spielen wollen, sind Sie bereits ab 100 Franken dabei. Bei Cashare können Sie mit einem Hunderter-Nötli in einen Privatkredit investieren. Bei KMU-Krediten liegt die Latte bei 1000 Franken. Lend.ch fordert eine Mindestanlage von 500 Franken pro Kredit, bei grösseren Projekten sind es mindestens 1000 Franken. Ein Totalausfall droht nur selten, vor allem, wenn Sie sich an die Diversifikationsregel halten: Ab 30 Kredit-Tranchen im Portfolio wirkt die Diversifikation gut – 100 plus sind ideal, schreibt etwa die KMU-Crowdlending-Plattform Swisspeers, an der die Basellandschaftliche Kantonalbank BLKB beteiligt ist. 

Häufig haftet der Darlehensnehmer bei KMU-Schulden solidarisch als Privatperson. Gewisse Kreditnehmer haben überdies eine Ausfallversicherung abgeschlossen, die gegen Tod oder unerwartete Arbeitslosigkeit schützt. Hypothekarkredite sind in aller Regel grundpfandversichert. Und trotzdem kann es zu Ausfällen kommen. Für Kreditforderungen besteht kein Einlegerschutz wie er etwa beim Bankkonto oder beim Fonds-Vermögen besteht.

Bei Plattformen wie Cashare und Swisspeers werden Kredite via Auktionsverfahren vergeben. Heisst: Investoren können bei jedem Kreditprojekt einen Betrag und einen Zinssatz wählen, den Sie für angemessen halten. Ein Algorithmus wählt am Ende der Auktion die besten Angebote für den Schuldner aus. Ein Beispiel: Bei einem gesuchten Kredit über 50’000 Franken gehen fünf Gebote über gesamthaft 100’000 Franken ein. Einer ist bereit, 10’000 Franken zu 2 Prozent zur Verfügung zu stellen. Ein Zweiter bietet 20’000 zu 4 Prozent, ein Dritter 30’000 zu 5 Prozent, ein Vierter 30’000 zu 3 Prozent, ein Fünfter 10’000 zu 4 Prozent. 

In diesem Beispiel können nicht alle Gebote berücksichtigt werden. Das teuerste Gebot fällt raus. Die günstigsten Gebote werden einbezogen, ergeben aber zusammen nur 40’000 Franken. Für die restlichen 10’000 Franken kommen die Gebote zwei und fünf infrage, beide zu 4 Prozent. Da Gebot zwei zeitlich vor Gebot fünf abgegeben wurde, wird Gebot zwei berücksichtigt – allerdings nur mit 10’000 Franken. Alle Tranchen werden mit demselben Zinssatz verzinst, entsprechend dem höchsten berücksichtigten Gebot, in diesem Beispiel mit 4 Prozent.

Die Plattformen prüfen die Kreditnehmer auf Herz und Nieren. Sie sammeln Betreibungsinfos, holen eigene und externe Bonitätsdaten ein, recherchieren im Netz und verlassen sich auf komplexe Big-Data-Analysen. Sie kümmern sich um die Administration, das Eintreiben und Weiterleiten der Ratenzahlungen, um Verzug und Inkasso.

Dafür erheben sie eine kleine Gebühr. Cashare etwa verlangt 0,75 Prozent der erhaltenen Darlehenssumme. Eine Mahnung kostet mindestens 30 Franken, Adressnachforschungen schlagen mit 25 Franken zu Buche, die Bearbeitungsgebühr bei einem Inkassoverfahren liegt bei 100 Franken pro Stunde. Die Verzugszinsen richten sich nach dem Kreditvertrag. Alles zulasten des Schuldners natürlich, nicht des Gläubigers, der kann sich zurücklehnen und die Rendite als Kredithai geniessen, im schlimmsten Fall ein Teil-Investment abschreiben.

«Die grossen Plattformanbieter arbeiten seriös», sagt Andreas Dietrich, Professor an der Hochschule Luzern und Verwaltungsrat der Luzerner Kantonalbank. Er hat die Angebote schon persönlich getestet und Kredite an Private vergeben. «Das waren sechs bis sieben Kredite à 100 bis 200 Franken», sagt er. «Ich habe alles zurückbekommen – mit einem anständigen Zins.»

Die Plattformen seien interessiert daran, eine seriöse Bonitätseinschätzung vorzunehmen und die Gläubiger sorgfältig zu prüfen. Niemand möchte, dass die Ausfallquoten massiv ansteigen und die ganze Branche dadurch in Verruf kommt. Die gängigen Crowdlending-Anbieter würden ausserdem dem Konsumkreditgesetz unterliegen – und orientieren sich entsprechend an dessen Grundsätzen. Das Gesetz schützt Kreditnehmer vor eigenen, unüberlegten Handlungen mit langfristigen Folgen. Es verbietet das Ausnutzen von misslichen finanziellen Situationen.

Corona-Kredite als Problem

Ein Beispiel: 2,9 Milliarden Franken hoch ist das beantragte Kreditvolumen bei Lend.ch seit Januar 2016. Den Grossteil – 1,9 Milliarden Franken – haben Private als Kredit verlangt. Das tatsächlich ausbezahlte Kreditvolumen summiert sich aber nur auf 280 Millionen Franken. Heisst: 90 Prozent des Kreditvolumens ging nicht durch, zu schlecht war die Bonität, zu hoch das Ausfallrisiko, zu mies das Risiko-Rendite-Profil. 

182 Millionen Franken haben Privatpersonen erhalten – als Konsumkredit, Überbrückungskredit oder gewöhnliche Hypothek. Kleine und mittlere Unternehmen sind für 84 Millionen Franken des ausbezahlten Volumens verantwortlich. Die relativ geringe Nachfrage der KMU ist dabei eine Folge der Corona-Politik des Bundes. Die vom Bund verbürgten Sofort-Darlehen zum Nullzins haben das Geschäft der Crowdlender im KMU-Bereich zerhauen. 

«Die Hilfsprogramme waren für alle Crowdlender ein Problem, denn sehr viele KMU haben davon profitiert, Kredit zu null Prozent aufnehmen zu können», sagt Lend.ch-Geschäftsführer Florian Kübler. «Seit einem halben Jahr sehen wir jetzt aber vermehrt Anfragen von KMU, die den Covid-19-Kredit via uns refinanzieren möchten.»

Finanziell schwachen Kreditnehmern können wir deshalb schon heute aus Rendite-Risikoüberlegungen keine Offerte mehr unterbreiten.

Florian Kübler, CEO Lend.ch

Die Ausfallquote von Lend.ch liege im Schnitt bei 0,2 bis 0,7 Prozent im Jahr, sagt der ehemalige UBS- und ZKB-Banker. Die Plattform, an der die Postfinance beteiligt ist, habe derzeit rund 80'000 User, 7000 davon seien Anleger.

Sie profitieren jetzt von der Zinswende, denn das allgemein steigende Zinsniveau macht sich auch bei Privatinvestoren, die gerne mal Bank spielen, bemerkbar. «Wir haben unsere Zinsen angepasst. Anleger erhalten im Schnitt 0,7 Prozent mehr als vor 18 Monaten. Bei den KMU-Krediten sind es sogar 1,2 Prozent mehr im Durchschnitt. Ausfälle verzeichnen wir weiterhin sehr, sehr wenige», sagt Kübler. «Bei weiteren Zinsanstiegen werden wir die Kreditzinsen weiter anpassen.»

Diversifikation ist zwingend

Die relativ geringe Ausfallquote hat auch schweizspezifische Gründe: Einrichtungen wie Betreibungsregister oder Verlustscheine wirken sich positiv auf die Zahlungsmoral aus. Und die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist gut. Die Arbeitslosigkeit verharrt auf tiefem Niveau. Anfangs Jahr erreichte sie ein 20-Jahres-Tief, was eine hervorragende Nachricht für Kreditgeber ist. Arbeit ist einer der wichtigsten Punkte, wenn es um Rückzahlungsverpflichtungen geht. 

«Bisher gibt es keine Hinweise, dass Ausfallquoten signifikant steigen oder Risiken deutlich zunehmen würden», sagt auch Finanzprofessor Dietrich. «Aber auf lange Sicht können höhere Zinsen zum Problem werden. Entscheidend sind hierfür aber wohl vor allem die Entwicklungen der Konjunktur respektive der Arbeitslosigkeit. Wenn der Zins relativ hoch und die Konjunktur schlecht sein sollten, wird dies einen direkten Einfluss auf die Kreditausfallquote haben.»

Für Investorinnen und Investoren relevant in diesem Zusammenhang: Die Grundregel der Diversifikation gilt auch beim Crowdlending. Nie alle Eier in den gleichen Korb legen. «Am besten verteilt man sein Geld sowohl an KMU wie auch an Private, und dies in verschiedenen Risikoklassen», sagt Dietrich. «Auch sollte man sich überlegen, wann man das Geld wieder braucht, und entsprechende Laufzeiten wählen.»

Abgrenzung zu Crowdinvesting

Crowdlending und Crowdinvesting sind zwei Paar Schuhe: Das eine vermittelt Fremdkapital, das andere Eigenkapital. Berühmtestes Beispiel für Letzteres ist Crowdhouse, wo Personen gemeinsam eine Liegenschaft erwerben und anschliessend als Miethaie entschädigt werden, nicht als Kredithaie.

Das Geschäftsmodell von Crowdhouse hat eigene Risiken. Das Mindestinvestment ist deutlich höher – es liegt bei 100’000 Franken. Investorinnen und Investoren haben ausserdem kein vertraglich garantiertes Renditeversprechen. Sie tragen das Zinsrisiko selber, dazu das Abwertungsrisiko und das Risiko, dass eine Renditeliegenschaft nicht vermietet werden kann. Schliesslich haben Sie auch nur einen begrenzten Einflussbereich auf das Mietgeschäft, das ein notorisches Reputationsrisiko ist.

Crowdhouse tritt am Markt als Vermieter der Liegenschaften auf, welche die «Crowd» finanziert – und es gibt einige, meistens ehemalige Mieter, die mit der Leistung von Crowdhouse unzufrieden sind und diesen Unmut auf Google unverhohlen äussern. Da wird unter anderem über Nebenkostenabrechnungen lamentiert, die mit zwei bis drei Jahren Verspätung verschickt werden. Das alles zahlt negativ auf die Reputation ein.

«Wir haben den entsprechenden Handlungsbedarf identifiziert und konsequent adressiert», sagt Michael Meier, Marketing-Chef bei Crowdhouse. «Die verspätete Zustellung von Nebenkostenabrechnungen entspricht selbstverständlich nicht unseren Qualitätsvorstellungen und wir legen aktuell sehr viel Fokus auf die schnellstmögliche Verbesserung der Situation für alle Beteiligten.»