BILANZ: Herr Hummler, in Ihrem jüngsten Anlagekommentar stellen Sie eine gefährliche Gemütlichkeit an den Finanzmärkten fest. Weshalb?

Konrad Hummler: Die expansive Geldpolitik der Notenbanken hat den Märkten grosse Gewinne ermöglicht. Viele Investoren haben die tiefen kurzfristigen Zinsen genutzt, um Kredite aufzunehmen und das Geld in langfristige Anleihen zu investieren, die einen deutlich höheren Zins abwerfen.

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Sie sprechen die so genannten Carry-Trades an (siehe «Die wunderbare Welt der Kredite» auf). Wo sehen Sie da Gefahren?

Die zunehmende Verbreitung der Carry-Trades hat dazu geführt, dass sich die Marktteilnehmer gegenseitig kannibalisieren. Sie sind also gezwungen, immer grössere Risiken auf sich zu nehmen, um eine zusätzliche Rendite zu erzielen. Wenn die Zinsen stärker als erwartet steigen, könnte das einige Investoren auf dem falschen Fuss erwischen.

Nun hat die US-Notenbank Fed begonnen, die Leitzinsen zu erhöhen. Trotzdem sind die langfristigen Zinsen nicht gestiegen, und die Carry-Trades haben kaum abgenommen. Was läuft falsch?

Das Fed ist gewissermassen ein Opfer seiner selbst geworden. Alan Greenspan hat den Märkten signalisiert, dass er sie nicht mit einer abrupten Zinserhöhung brüskieren wird. Genau darauf verlassen sich nun die Investoren. Das heisst, es ist ein gigantischer «moral hazard» entstanden: Da sich die Marktteilnehmer durch die Notenbank abgesichert fühlen, ist ihre Risikoneigung gestiegen. Greenspan hat sich, in seinem Bemühen um Verlässlichkeit, selber einem Diktat der Finanzmärkte unterworfen.

Wie kommt die Notenbank aus diesem Dilemma wieder heraus?

Aus meiner Sicht darf die Geldpolitik nicht zu transparent und durchschaubar werden. Ich plädiere dafür, dass die Notenbanken in einem gewissen Masse unberechenbar bleiben. Im Grunde ist das ein Aufruf zu weniger Transparenz. Dieser Hang von Alan Greenspan, sich ständig in der Öffentlichkeit zu exponieren, führt zu einer Selbstbindung, die ich ungünstig finde.

Welche Alternative schlagen Sie vor?

Ich könnte mir durchaus eine Geldpolitik vorstellen, in der die Notenbank ihre Handlungen gar nicht kommentiert. Sie würde lediglich agieren und nichts weiter. Die zunehmende Publizitätsfreude der Notenbanken beurteile ich dagegen überhaupt nicht positiv.

Als die Schweizer Nationalbank im letzten Juni erstmals wieder die Zinsen erhöhte, kam diese Massnahme für viele Experten unvorbereitet. Vom Wirtschaftsverband Economiesuisse und von den Gewerkschaften gab es Kritik. Ihnen müsste der Schritt, im Sinne der propagierten Unberechbarkeit, gefallen haben.

Jede Handlung der Notenbank, mit der sie ihre Unabhängigkeit markieren kann, ist positiv zu werten. Mit diesem Schritt hat die Schweizer Nationalbank ihren eigenen Spielraum erhöht. Ausserdem war er durch die konjunkturelle Entwicklung erklärbar. Meine Achtung vor Äusserungen von Economiesuisse und Gewerkschaftsbund ist ohnehin nicht allzu hoch. Wer, wie die Gewerkschaften, ständig eine Öffnung der Geldschleusen fordert, macht es sich einfach. Damit drückt man sich vor der Analyse, dass die Wirtschaft letztlich nur durch strukturelle Reformen gestärkt werden kann.

Die Notenbanken unterliegen einem enormen Erfolgsdruck, insbesondere in den USA. Vielerorts herrscht der Glaube vor, Greenspan könne mit seiner Geldpolitik die Wirtschaft steuern.

Dieser Glaube ist falsch. Die Notenbank kann die Leitzinsen festlegen und insofern die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft beeinflussen. In den kapitalhungrigen neunziger Jahren war es wichtig, die nötige Liquidität bereitzustellen. Doch jetzt muss das Fed aus der Geldschwemme wieder herausfinden. Falls der bisherige Kurs gemütlich beibehalten würde, wäre das nicht ungefährlich.

Also müsste die US-Notenbank die übertriebenen Erwartungen vieler Marktteilnehmer enttäuschen?

Aus meiner Sicht braucht das Fed mehr Distanz zu den Finanzmärkten. Greenspan schielt zu stark auf die Wall Street. Zudem macht er wertende Aussagen über die Kursentwicklung an den Börsen. Dies ist nicht die Kernaufgabe einer Notenbank, sondern die Sicherstellung der Geldversorgung im Rahmen des gegebenen Wirtschaftswachstums. Die zweite Funktion ist die Stabilisierung des Finanzsystems in einer gravierenden Krise. Dass dazu auch das Platzen des Hedge-Fund LTCM gehört, bezweifle ich allerdings.

Der frühere Fed-Präsident William McChesney Martin prägte den berühmten Satz, wonach es die Aufgabe der Notenbank sei, die Punschbowle wegzuräumen, wenn die Party richtig in Fahrt kommt. Hat Greenspan zu spät damit begonnen, die Zinsen anzuheben?

Diese Sichtweise hat einiges für sich. Nur muss man sehen, dass mit den höheren Zinsen ein wirtschaftlicher Anpassungsprozess in Gang kommt, der auch grosse soziale Kosten nach sich zieht. Eine Rosskur von Seiten der Notenbank wäre der falsche Weg gewesen, weil sich die Weltwirtschaft in einer schwierigen Phase befindet. Wir wollen ja keine Zustände, wie wir sie in den dreissiger Jahren hatten.

Wird dieser Anpassungsprozess, wenn er hinausgezögert wird, nicht umso schwieriger?
Durch die tiefen Zinsen ist die Verschuldung der Staaten und Haushalte gestiegen. Zudem ist in einigen Ländern eine Immobilienblase entstanden.

Wer am kurzen Zinsende stark verschuldet ist, spielt mit dem Feuer. Allerdings muss man differenzieren: Gerade die amerikanischen Hausbesitzer haben ihre Hypotheken typischerweise langfristig angebunden. Ich bin daher nicht so skeptisch. Die Kreditfähigkeit der US-Haushalte ist heute viel grösser als früher. In den dreissiger Jahren zum Beispiel war das ganze Land von der Schwerindustrie abhängig. Wenn damals ein zyklisches Tief kam, hat dies das ganze Land mitgerissen. Ich denke, man sollte die Stärke der amerikanischen Wirtschaft nicht unterschätzen.

Auch die Finanzbranche hat von den tiefen Zinsen profitiert. Der Anteil dieses Sektors am gesamtwirtschaftlichen Gewinn hat sich in den USA innert zehn Jahren auf rund 40 Prozent verdoppelt. Lässt sich ein solcher Anteil halten?

Meiner Ansicht nach ist der weltweite Finanzsektor insgesamt überdimensioniert. Seine eigentliche Funktion ist es ja nicht, auf die Steilheit der Zinskurve zu spekulieren, sondern die Kapitalallokation zu steuern. Dies ist im Wesentlichen eine logistische Aufgabe. Die Ausweitung der Kapazitäten in der Finanzbranche erklärt sich aus dem grossen Kapitalbedarf im letzten Jahrzehnt, bedingt durch die weltweite Deregulierung und den technologischen Fortschritt. Diese effektiv wertschöpfende Grundlage erodiert nun. Zwar hat das günstige Zinsumfeld einen Abbau der Überkapazitäten vorerst verhindert, doch eines Tages wird es dazu kommen.

Der Zinserhöhungs-Zyklus hat begonnen. Wie soll sich der Anleger positionieren?

Höhere Zinsen haben immer zwei Seiten: Zwar sind sie unangenehm, weil man auf den bestehenden langfristigen Anleihen Kursverluste erleidet. Doch umgekehrt hat man die Möglichkeit, das nicht investierte Geld zu besseren Konditionen anzulegen. Die wesentliche Frage ist natürlich, wie stark die Zinsen noch ansteigen. Solange wir nur eine Korrektur der bisherigen Untertreibung erleben – und davon gehe ich aus –, sollte man nicht allzu nervös werden.

Bei langfristigen Obligationen ist derzeit Vorsicht angesagt. Gewinnen die Aktien dadurch an Attraktivität?

Im Prinzip sind Aktien ohnehin die einzige wirklich langfristige Anlage. Beim Geldanlegen unterteile ich das Portefeuille gerne in verschiedene Töpfe, um diesen die entsprechende Anlagekategorie zuzuordnen. Der Sicherheitsteil sollte also nur durch weitgehend risikolose Investitionen abgedeckt werden. Dafür muss im Wachstumsteil die Rendite im Vordergrund stehen. Und diese ist bei den Aktien über lange Frist am grössten. Wer daneben noch Lust aufs Spekulieren hat, kann einen Teil seines Portefeuilles für diesen Zweck reservieren.

Wo sehen Sie neue Chancen an den Finanzmärkten?

Bisher war die globale Kapitalverteilung sehr Wall-Street-lastig. Ich denke, da zeichnet sich eine grosse Strukturveränderung ab. Während der amerikanische Finanzmarkt an Bedeutung verliert, wird in vielen Regionen auf der Welt der Bedarf an Kapital, insbesondere auch an Aktienkapital, ansteigen. Dies ist der interessante Teil, in dem man künftig Geld verdienen kann.