Im Gasthaus zum Gupf in Rehetobel führt die Treppe zum Keller in eine Kathedrale des Weins. Sechs Gewölberäume, 30’000 Weine, 800 Grossflaschen, insgesamt 3000 Positionen. Alles ist perfekt klimatisiert, elektronisch gesteuert, himmlisch ausgeleuchtet und majestätisch in der Erscheinung. Im vielleicht eindrücklichsten der Räume hängt der Himmel voller Grossflaschen. Grandios orchestriert, die ganz Grossen beim Eingang, nach hinten folgen die kleineren Formate, womit sich der Raum optisch verlängert.

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Und ganz hinten steht sie dann – die Mutter aller Flaschen. Übermannsgross. 480 Liter, 2,40 Meter hoch, gefüllt mit Krachers Trockenbeerenauslese, der «Grande Cuvée». Ein Monument in Wein.

Das alles im Restaurant mit der vielleicht schönsten Aussicht der Schweiz. Der Blick kann über den Bodensee bis hin zum Alpsteingebirge schweifen, weil der «Gupf» auf über tausend Meter Höhe liegt. Dort oben mag man nicht darüber reden, wie viel der 2,4-Meter-Flaschen-Koloss im Keller kostet. Über den Daumen gepeilt dürfte sich allein für den Inhalt der Flasche eine Summe von 50'000 Franken ergeben.

Kathedrale des Weins: Im Keller des Gasthauses zum Gupf in Rehtobel lagern rund 30'000 Weine.
Foto: digitalemassarbeit.ch
Foto: digitalemassarbeit.ch

Die Flasche selbst wurde im Jahr 2007 vom Guinness-Buch der Rekorde als grösste Weinflasche der Welt zertifiziert. Nun steht sie noch genau so da, und das wird sie noch lange: Vertraglich wurde festgehalten, dass sie erst in dritter Generation geöffnet werden darf. Macht nichts, denn Süssweine halten sehr lange, in Grossflaschen sowieso.

Es muss nicht gleich eine Flasche mit 480 Litern Fassungsvermögen sein. Schon eine Magnumflasche mit 1,5 Litern bietet viel Trinkgenuss. Aber ist eine Magnum für einen Profi schon eine Grossflasche? «Ach, was», winkt Roger Hirzel, Besitzer des Restaurants Wunderbrunnen in Opfikon ab. «Das ist genau die richtige Grösse für zwei Personen für einen schönen Abend.»

Die drei Musketiere: Die 15-Liter-Massetto, eingerahmt von zwei Doppelmagnums, einem 2003er Sassicaia und einem 2011er Sito Moresco von Gaja.

Die drei Musketiere: Die 15-Liter-Massetto, eingerahmt von zwei Doppelmagnums, einem 2003er Sassicaia und einem 2011er Sito Moresco von Gaja.

Quelle: digitalemassarbeit.ch

Angebot und Nachfrage steigen

Der «Wunderbrunnen» ist neben dem «Gupf» in Rehetobel das zweite Mekka für Liebhaberinnen von gut gelagerten Weinen in Big Bottles. Fast 47’000 Flaschen verteilen sich über diverse Lager und Keller, davon über 800 Grossflaschen. Das sprengt fast alle Vorstellungen. Eine Sechs-Liter-Massetto bitte? Kein Problem. Château Latour? In allen Grössen und Formaten. Pétrus, Mouton, Sassicaia? Alles auf Lager.

Ein Gang durch die Wunderkeller ist eine vinophile Weltreise im Schnelldurchlauf. 15 bis 20 Grossflaschen schenkt Chefsommelier Juan Luis Biedma pro Woche im «Wunderbrunnen» aus. Tendenz steigend. «Es macht einfach mehr Spass, Wein aus einer Grossflasche zu trinken. Und es ist etwas Spezielles. Und klar, ein Showeffekt ist durchaus auch vorhanden.»

Chefsommelier Juan Luis Biedma

«Wunderbrunnen»-Chefsommelier Juan Luis Biedma mit einer 15-Liter-Massetto. Die Nebukadnezar des vielleicht besten Merlots der Welt kostet im Restaurant 69'000 Franken.

Quelle: cheshirevisual.com

Das Trinkfenster ist grösser

Natürlich sind die grossen Dinger im Vergleich etwas teurer – und die Differenz ist in den vergangenen Jahren sogar noch gestiegen. Aber sie haben ihre Vorzüge. «Das Trinkfenster ist ganz klar grösser», sagt «Gupf»-Chefsommelier Stefan Schachner, der so oft wie wenige Menschen mit Jéroboam und Co. zu tun hat.

«Eine Magnum ab zehn Jahren schmeckt etwa fünf Jahre jünger.» Bei noch grösseren Flaschen ist der Effekt noch stärker. Apropos Jéroboam: Weshalb haben eigentlich fast alle Grossformate biblische Namen? Das hat historische Gründe. Schon im 18. Jahrhundert wurden Grossflaschen abgefüllt und Jéroboam genannt. Der Name hat abgefärbt, weshalb man später bei grösseren Volumen bei den biblischen Namen blieb.

Die Nachfrage nach Grossflaschen ist in den vergangenen Jahren gestiegen, das Angebot ebenso. Viele Weinliebhaber stellen sich statt einer Zwölferkiste Bordeaux lieber ein Sixpack und zwei Magnum oder eine Doppelmagnum in den Keller. Die sind vielleicht etwas sperrig, aber der Wein – so bestätigen fast alle Expertinnen – bleibt länger frisch, jugendlich und viril. In der Alterungsphase wiederum wird der Wein komplexer und baut weniger schnell ab.

«Ich habe in all den Jahren, in denen ich mit Grossflaschen handle und sie auch trinke, nicht einmal eine gehabt, bei welcher der Wein schlechter gewesen wäre als in der normalen Flasche», sagt Jürg Richter. Seine Online-Weinhandlung Orvinum ist auf Big Bottles spezialisiert. Und eine Grossflasche verleiht jedem Abend mit Gästen etwas Spezielles. «Die Zeremonie zeigt dem Gast eine gewisse Wertschätzung und erhöht das Erinnerungspotenzial», sagt Weinpapst René Gabriel.

480 Liter Wein, 2,40 Meter hoch, gefüllt mit Krachers Trockenbeerenauslese – der «Grande Cuvée». Preis: mindestens 50'000 Franken.

480 Liter Wein, 2,40 Meter hoch, gefüllt mit Krachers Trockenbeerenauslese – der «Grande Cuvée». Preis: mindestens 50'000 Franken.

Quelle: Fabienne Bühler für RASCH

Vor allem in der Champagne wurde bereits ab etwa 1880 Champagner auf Grossflaschen gezogen. Vorher war der Bezug nur fürstlichen und kaiserlichen Kunden vorbehalten. Ab etwa 1920 wurden dann auch normale Weine in Grossformate abgefüllt. Erst in Magnum, dann wuchsen die Flaschen. Bis auf Grössen wie die 27-Liter-Flasche.

Nicht nur geschmacklich, sondern auch anlagetechnisch sind Grossflaschen interessant. Je älter ein Wein, desto grösser ist die Differenz zwischen den erzielten Preisen für eine normale und eine Grossflasche.

Eigentlich logisch: Die Chance ist sehr gross, dass ein 1982er Bordeaux, egal von welchem Château, sich in einer Doppelmagnum besser gehalten hat als in der 75-cl-Flasche.

Einfluss des Krieges in der Ukraine

Was die Grossflascheneuphorie etwas dämpfen könnte, ist die Lage auf dem Glasmarkt. Die Big Bottles waren im Verhältnis schon immer teurer als das normale Format. Nun setzt auch der Krieg in der Ukraine der Branche zu. Nach dem Überfall Russlands sind die Glaspreise weltweit um 20 Prozent gestiegen. Die hohen Energiepreise sind der Hauptgrund. In Europa gibt es derzeit 162 Glasfabriken, die durchgehend betrieben werden müssen. Werden Sie abgestellt, erstarrt das Glas, und die Maschinen werden zerstört.

Der Schweizer Vetropack-Konzern betreibt in der Ukraine ein riesiges Glaswerk, das seinen Betrieb aufgrund des Krieges einstellen musste. Vetropack-Sprecherin Sabrina Oberholzer sagt: «Unser Ziel ist die Wiederaufnahme der Produktion, sobald die Beschädigungen repariert sind und dies angesichts der politischen Lage zu verantworten ist.» Und das könnte noch eine Weile dauern. «Langfristig», so ist Sommelier Stefan Schachner überzeugt, «wird sich an der Attraktivität der grossen Formate nichts ändern.»

Von Magnum bis xxx

Von Magnum bis Melchisedech – wer die Namen der grossen Flaschen kennt, kann mit Weinwissen auftrumpfen.

Quelle: Bindella / HZ-Montage